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Licht in letzte Hintergründe

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In einer stürmischen Märznacht 1946 zog ein 76jähriger Mann mit der Laterne in der Hand durch einen einsamen bayrischen Bergwald, um in einer abgelegenen Senke mit seiner Gattin Selbstmord zu verüben. Es war der Meister der Geopolitik, der frühere deutsche General und spätere Professor Karl Haushofer, der durch seine Schriften und seine Lehrtätigkeit auf die Formung der nationalsozialistischen Begriffswelt tiefstgehenden Einfluß genommen hatte. „Viele sind der Ansicht“, schreibt Robert W. Cooper in seinen aufsehenerregenden Berichten über den Nürnberger Prozeß , „daß Haushofer vor allen anderen auf die Nürnberger Anklagebank gehört hätte.“

Die Welt hat bereits eingehende Berichte über die Greuel der Konzentrationslager empfangen. Die Gestalt jenes Mannes aber, der das wissenschaftliche Rüstzeug, dis geistige Gerippe zu jener Anschauung lieferte, die die Ausrottung zum Staatsprinzip erhoben hat, steht noch im Schatten. Denn: „nichts entspräche weniger der Wahrheit, als die Vorstellung, daß die Deutschen in den besetzten Ländern die Politik wahllosen Abschlachtens als Mittel verfolgt hätten, um beispielsweise der Bevölkerung ihre Macht spüren zu lassen“, schreibt Cooper auf Grund der Nürnberger Feststellungen Diese Taten haben vielmehr ihre Wurzel in einem wohl ausgeklügelten geistigen Begriff, der „Artausrottun g“, für die inzwischen der Fachausdruck „genoci- dium“ geschaffen wurde, ein Begriff, dessen Anwendung 12 Millionen europäischer Nichtkämpfer das Leben gekostet hat und der auf Haushofers Lehren zurückgeht.

Mit ungeheurer Intensivität hatte sich Haushofer auf das geopolitische Gebiet geworfen. Seine zahlreichen Schriften, seine Lehrtätigkeit, seine mann:gfaltigen wissenschaftlichen und organisatorischen Arbeiten haben die verschiedenartigsten Staats- und Parteistellen, gelehrten Gesellschaften, die politische und militärische Abwehr, den Generalstab, die Propaganda Deutschlands und die Organisationen der Ausländsdeutschen erfaßt. Rudolf Heß war schon vor Gründung der Partei ein begeisterter Schii-. ler Haushofers, dessen Prägungen in die Sprache der Parteischriften und dadurch fer deutschen Literatur jener Ara Eingang fanden und uns daher überall begegnen: Die Wendungen vom „Lebensraum“, den „HaVnichtsen und den Habenden“ wurden von Hitler oft verwendet und auch in „Mein Kampf“, an dessen Abfassung Rudolf Heß stark beteiligt war, finden sich Spuren von Haushofers Gedankengängen. Beim Plan für die Welteroberung und dem Rezept für die „Artausrottung“ stand er Pate, ob er es wollte oder nicht.

Das letzte Kapitel. Humboldt-Verlag, Wien.

Haushofer war der Ansicht, Deutschland müsse seine Kolonien auf dem europäischen Kontinent, „seinen natürlichen Lebensraum“, suchen, da es niemals eine Seemacht wie Großbritannien werfen könne. „Das Dreieck Berlin-Rom-Tokio“ war die Krönung seines Leber,swerkes da es die Weiten des Stillen Ozeans in seine geopolitischen Träume einbezog. Haushofer hatte, was man nicht vergessen darf, vor dem ersten Weltkrieg als Instruktor der japanischen Armee gearbeitet und die geistige Affinität zwischen den preußischen und den japanischen Militärkreisen ist bekannt. Vor dem zweiten Weltkrieg fanden in Haushofers Haus in München Besprechungen hoher Parteifunktionäre mit japanischen Staatsmännern und Admirälen statt. Es nimmt daher nicht Wunder, daß Haushofer im September 1940 über den genannten Dreierpakt schrieb: „200 Millionen Menschen reiner Rasse seien bereit, ihre vereinte Kraft für den Enderfolg dgr Vereinigung zu verwenden, während ihr weitere 10 8 Millionen als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.“

Für Karl Haushofer und seine Schüler wurde aus der Legalität ein geopolitischer Begriff, das bekannte Wort Franks „Recht ist, was dem deutschen Volke nützt", war die logische Folge dieser Ideen. In einer Ansprache vom 5. November 1937 an die Oberbefehlshaber sagt Hitler bereits über seine Zu- kunftspiäne, die Einverleibung Österreichs und der Tschechoslowakei werde die Eroberung von Nahrungsmitteln für 5 bis 6 Millionen Menschen bringen, unter der Voraussetzung einer zwangsweisen Auswanderung von 2 Millionen aus der Tschechoslowakei und 1 Million aus Österreich. In seiner Weisung für die geplanten Landungsoperationen gegen England (Operation „Seelöwe“) vom 6. Oktober 1939 spricht Hitler das entsetzliche Wort: „Die dienstfähige männliche Bevölkerung (Großbritanniens) im Alter von 17 bis 45 Jahren ist baldmöglichst auf das Festland abzuschieben."

Durch Haushofers mit bestechender Phantasie und Diktion vorgetragenen Theorien war die „wissenschaftliche“ Grundlage für die Unterjockung des Kontinents gegeben und wir haben gesehen, wie sie von Mensel; en wie Heinrich Himmler in die Tat umgesetzt wurde. „Die biologische Ausrottung durch Förderung des Lasters oder durch Geburtensenkung bei ausgewählten Rassen oder Gruppen, zunächst durch Trennung der Männer' und Frauen und dann durch Aussetzung von Prämien für Mütter mit deutschen Vätern, ist eine auf weitere Sicht berechnete, aber unheimliche Waffe“, sagt darüber Cooper.

Die Lehre, die den Darwinschen Daseinskampf, die Zwangsläufigkeit der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Staaten, die Notwendigkeit der Übermach- tung des Schwächeren, der in die „Kraftlinien“ eines Stärkeren fiel, zum Königsgedanken der Weltpolitik machte, diese Lehre mußte eben in den Händen politischer Desperados eine Handhabe zu ungeheuerlichen Taten werden. Als der Nationalsozialismus 1939 vom Gedanken der nationalen Einigung zur uferlosen Großraumpolitik übersprang, folgte er Haushofers Doktrinen. Die Kolonie Europa wurde mit Konquistadorenmethoden erobert.

Die Drachensaat der Lehren Haushofers war aufgegangen. Ihn selbst hat die Nemesis doppelt ereilt: Sein ältester Sohn, ein begeisterter Widerstandskämpfer, wurde wegen Teilnahme am Attentat gegen Hitler hingerichtet, er selbst überwarf sich später mit Hitler und wanderte ins Konzentrationslager; sein dramatisches Ende ist am Eingang dieses Aufsatzes erwähnt. Der Traum von der geopolitischen Weltherrschaft mit seinen" Verzweigungen und furchtbaren Verirrungen war ein Alpdruck und ist ausgeträumt.

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