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„Linkskatholizismus“ im Untergrund

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In einer vor kurzem veröffentlichten Artikelserie des „ABC", der Tageszeitung der spanischen Aristokratie und Hochfinanz, brachte es J. Cortes Cavanillas, der römische Korrespondent des Blattes, fertig, die Erfolge des Kommunismus in Italien der — Democrazia Cristiana und besonders ihrem Führer Degasperi zuzuschreiben!

Das Unbehagen der besitzenden Klassen Spaniens vor der zunehmenden Tätigkeit der katholischen Kirche auf sozialem Gebiet konnte nicht besser zum Ausdruck kommen. Sind doch Spaniens soziale Probleme in manchem ähnlich gelagert wie jene Italiens, und erlangt doch auch in Spanien der soziale Katholizismus, obwohl er sich hier natürlich noch nicht als Partei oder Parteirichtung kristallisieren konnte, ein immer fühlbareres politisches Gewicht.

Auch die spanischen Bischöfe verschließen sich nicht dem Auftrag Roms, aktiv in den Kampf um die Lösung sozialer Probleme einzugreifen. Etwa um 1950 begann ihre Offensive zur sozialen „Erlösung" redenciön der verelendeten Massen des spanischen Volkes. Damals wurde außerhalb Spaniens der Bischof von Malaga, Dr. Angel Herera, wegen seiner revolutionär klingenden Hirtenbriefe bekannt; aber er ist längst nicht mehr der dem Staat unbequemste Mahner. Einige Jahre vorher hatte es die „Acciön Catölica Espanola" vermocht, über die Metropolitenkonferenz von der Regierung die Genehmigung für die Gründung ihrer Arbeitersektionen zu erhalten. HOAC Herman- dades Obreras de Acciön Catölica und die im Geiste des belgischen Prälaten Cardijn arbeitenden JOAC Juventudes Obreras de A. C. wurden somit, seit Zerschlagung der Parteien und Gewerkschaften durch das Falange-Regime, zu den ersten vom Staate nicht kontrollierten Arbeiterorganisationen und waren daher alsbald heftigsten Anfeindungen ausgesetzt.

„Die HOAC scheinen mir ein schwerer politischer Irrtum“, entrüstete sich 1950 der Gouverneur und Falange-Chef der Provinz Santander, Joaquin Reguera. „Man versteht eine katholische Organisation im Kampf gegen das .laizistische und gottlose Regime der Republik’ I, aber was haben diese Organisationen in unserer Bewegung d. h. in der Falange zu suchen?"

Dagegen steht das emste Wort des Bischofs von Mälaga:

„Die übertriebene Einschränkung der Versammlungsfreiheit und der ihr untergeordneten Freiheiten, nämlich die eigenen Ideen zu verbreiten und echte Repräsentanten zu wählen, bedeutet, den sozial schwächsten Klassen die einzige Waffe zu entreißen, mit der sie wahre Gerechtigkeit in der Verteilung der von allen produzierten Güter erlangen könnten. Es bedeutet außerdem, die Stellung des Staates zu schwächen gegenüber den sogenannten führenden Gesellschaftsschichten.“

Aber dann kommen wieder Dolchstöße wie der folgende:

„Die Reichen schweben eher in Gefahr, auf ewig verloren zu gehen, als die Arbeiter … Eine Organisation, die Barmherzigkeit mit den Reichen ausübte, welche wissentlich die zehn Gebote verletzen und Hauptsünden begehen, würde viele Seelep der Verdammnis in der Hölle entreißen. Das wäre ein besserer Kampf, über den wir Katholiken uns alle freuen würden, denn er wäre viel wirksamer als die Arbeiterorganisationen der Katholischen Aktion, an denen ich gewisse politische Schattierungen bemerke, hinter denen sich Demagogie, Klassenkampf und Aufspaltung des Proletariats verbergen können."

So ein Gouverneur, der von Santander, des- -?n Sprache, wie an den Berichten des „ABC"- ‘ Korrespondenten aus Rom so gut zu ersehen ist, allgemein Schule unter den Anhängern des politischen Systems Francos gemacht hat.

Dieser in plumper Nachahmung geistlicher Denkart und Diktion von einem durch und durch unchristlichen Gouverneur gegen die Arbeiterbewegung der Katholischen Aktion gerichtete Verbalangriff wurde damals befehlsgemäß in der Presse ganz Spaniens aufgenommen, und Bischöfe und „Acciön Catölica" hatten alle Hände voll zu tun, dem Angriff die giftige Spitze abzubrechen. Wertvolle Hilfe leistete dabei der Vatikan, indem Kardinal Pizzardo in einem Schreiben vom 24. August 1950 an den Kardinal-Primas von Spanien mitteilte, derHeiligeStuhl verfolge mit größtem Wohlwollen die soziale Arbeit der katholischen Kirche in Spanien und begrüße die Gründung der HOAC. Seitdem mußte „Ecclesia", das Zentralorgan der „Acciön Catölica Espanola" — die als Massenbewegung mächtiger als die Falange mit ihren vielen opportunistischen Mitläufern ist — ihren Arbeiterzweig noch mehrere Male sehr energisch in Schutz nehmen. Nur das Verbot der Zeitschrift der HOAC, des Wochenblattes „Tu", konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden: „Tu" verschwand kurz nach den Streiks von 1951.

Die Rolle der AC, HOAC, JOAC sowie gewisser Funktionäre der vom Staat kontrollierten Syndikate in jenen Streiks ist der spanischen Oeffentlichkeit nie enthüllt worden. Erst im Frühjahr dieses Jahres wurden in Vitoria die angeblichen Hauptdrahtzieher des Streiks zu Gefängnisstrafen bis zu sechs Jahren verurteilt, nachdem in der Zwischenzeit wenig erbauliche Gespräche zwischen Ministerien, Staatssicherheitsdienst, Partei, Bischöfen und den betroffenen katholischen Organisationen stattgefunden hatten. Die HOAC rückten — gezwungenermaßen, aus Selbsterhaltungstrieb — von ihren zu Aufwieglern und Vaterlandsverrätern erklärten Mitgliedern und Gebietsführern ab; schon 1951 hatten sie erklärt, die Organisation habe „in der Vorbereitung und Durchführung eines gewerkschaftlichen oder politischen Streiks nicht teilgenommen" — was allgemein als ein lahmes Dementi aufgefaßt wurde, denn der soziale Charakter jener Streiks stand außer Frage.

Die sozialen Sektionen und Arbeitergruppen der „Acciön Catölica" wie überhaupt alle sozial besorgten Katholiken Spaniens lehnen es natürlich meist ab, als „Linkskatholiken" bezeichnet zu werden. Für sie wie für alle vernünftigen Menschen handelt es sich in sozialen Fragen nicht um „Rechts" und „Links", sondern um Christentum der Tat und Christentum der Pose. Es sind jedoch die unehrlichen Gegner des göttlichen Gebots der Nächstenliebe, die das Christentum der Tat, der Katholischen Aktion, in die Situation eines schon, bevor, er überhaupt fest umrissen ist, hier so übel beleumdeten „Linkskatholizismus" und darüber hinaus in den Anklagezustand des Krypto- kommunistnus und in den Untergrund drängen.

Es ist nicht ohne Reiz, sich vorzustellen, was in Spanien einmal geschehen könnte, wenn Franco, wie gelegentlich angedeutet wurde, aus irgendeinem Grunde aus dem Amt des Staatschefs ausschiede. Zwar zählt er erst 61 Jahre, aber Don Juan, den Thronanwärter, wird er dennoch nicht so lange warten lassen wollen, bis er, Franco, das Alter Churchills oder Adenauers erreicht. Sobald Don Juan — er hat soeben sein Bachillerat Matura bestanden — den verwaisten Thron Spaniens bestiege, stünde ihm als beratende Institution der Kronrat zur Seite. Dieser „Consejo del Reino" besteht zwar schon jetzt, würde aber im Moment der Thronbesteigung des Infanten erst eigentlich zur Geltung kommen. Da die monarchistischen und kirchlichen Elemente in ihm überwiegen, könnte man annehmen, daß besonders letztere die Gelegenheit nützen würden, die so kompromittierende Verbindung mit dem Falan- gismus zu lösen. Als diesem zahlenmäßig nicht nur ebenbürtige, sondern zweifelsfrei überlegene Bewegung wäre die parteimäßige Aktivierung des politischen Katholizismus Spaniens die naheliegendste Lösung. Damit würde dann auch die katholische Kirche Spaniens ihre „Democrazia Cristiana" besitzen, in einer Partei, die „Partido Catölico" oder „Partido Cristiano" heißen könnte. Daß in der wiederbegründeten Monarchie auch die Monarchisten ihre Partei haben werden, ist logisch. Der Falange bliebe die Rolle der Hüterin der nicht ganz rühmlichen „Tradition" des Bürgerkrieges. Das Zwei- oder Dreiparteiensystem wurde in den letzten Jahren einige Male als ideale Lösung für eine künftige Neuordnung angeregt. Bezeichnenderweise kam daraufhin aus der Falange, der Partei, die dann nur als Franco gegenüber pietätvolles Aphängsel mitgeführt werden würde, heftiger Protest. Franco selbst kann sich längst berechtigtermaßen als über künftigen Parteien stehender „Pater patriae" fühlen.

In einer spanischen „Partido Catölico" oder wie sie heißen möge, würden dieselben konservativ-katholischen, aber auch dieselben starken sozialen und leicht links orientierten Tendenzen herrschen, wie sie spanische Rechtskreise so sehr bei den italienischen Democristiani verurteilen. Ja, diese Linkstendenz würde sich hier noch ausgeprägter als bei der Democrazia Cristiana bemerkbar machen, denn in die spanische Partei würden alle jene Bevölkerungsgruppen einströmen, die sich in Italien bei den hier auf keinen Fall vorgesehenen sozialistischen Parteien und bei den Kommunisten gut aufgehoben fühlen.

Diese Vorstellung ist der Albdruck so vieler Spanier, die, ohne selbst Falangisten zu sein, sich an „straffe und autoritäre Führung" gewöhnt haben. Sie sind unfähig geworden, die ernsten Mahnungen zu hören, die ihnen aus geistlichem Munde aus dem eigenen Lande entgegentönen: jene Mahnrufe der „Sozialen Wochen" im Baskenland, wo der Bischof von Bilbao sagte, den spanischen Arbeitgebern müßte die „Angst vor dem sozialen Fortschritt“ genommen werden; jene Anklage des Erzbischofs Dr. Olaechea von Valencia, der sagte: „Der Arbeitgeber, der seinen Arbeitern den zum Leben unerläßlichen Lohn nicht zahlt, ist ein schlechter Katholik und Helfershelfer des Kommunismus." Das ist eine den spanischen Feudalkatholiken so müßte man diesen Sektor von Leuten, die allein „die Wahrheit" zu besitzen beanspruchen, nennen unverständliche Sprache. Noch sind sie am Zug und bestimmen, wo Kommunisten und ihre Helfershelfer zu suchen sind: in Italien bei La Pira und Degasperi —- denen das gleichgültig sein kann, denn sie befinden sich außerhalb der peinlichen spanischen „Reevangelisierungs"- und „Bekeh- rungs"methoden —, in Spanien bei den Streikführern von Vitoria, die das Nachsehen haben und brummen. Aber die Zeit schreitet fort.

Wie in Italien, steht also auch in Spanien der Katholizismus im politischen und sozialen Feld vor schweren Problemen, in denen er sich nicht mehr lange der Entscheidung wird ent- schlagen können. So sehr und so oft auch der Vatikan sein Wohlgefallen mit dem spanischen Katholizismus zum Ausdruck bringt, er unterläßt es doch nie, auf die dringlichen sozialen Anliegen der Stunde hinzuweisen — und der Uhrzeiger ist auch für Spanien schon bedenklich weit vorgerückt.

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