6687204-1962_22_01.jpg
Digital In Arbeit

„Löscht den Geist nicht aus!“

Werbung
Werbung
Werbung

VIELE, SEHR VIELE, die bei der grofjen Schluftkundgebung des Katholikentages 1952 die Forderungen desselben vernommen hatten, schüttelten die Köpfe und hielten sie für utopisch, für unreal, zumindest für unerfüllbar. Viele Forderungen schienen tatsächlich die Bezeichnung „Utopie“ zu verdienen:

schon einmal der Wunsch der Katholiken, die Besetzung Österreichs möge aufhören, klang gut gemeint, aber hoffnungslos;

die Forderung nach Anerkennung des Konkordates von 1934 schien ebenfalls hoffnungslos;

die Forderung nach energischer Hilfe für die sozial benachteiligten Schichten, nach wesentlicher Besserung der Lage der geistigen Arbeiter, der Ruf nach einer familienfreundlichen Steuergesetzgebung wurde mit der Frage beantwortet, wer denn dies alles bezahlen solle;

der Hinwels, daft Österreich durch seine Kinderfeindlichkeit ein sterbendes Land sei, wurde mit einem resignierten Achselzucken übergangen.

ZEHN JAHRE sind nun vergangen, sind rasch vergangen, und alle jene müden Zweifler, alle, die resigniert den Wünschen des Katholikentages 1952 gegenüberstanden, sind auf vielen Gebieten eines Besseren belehrt worden: Österreich Ist frei; das Konkordat zumindest formell anerkannt und eine Einigung auf vielen Gebieten zwischen Kirche und Staat erfolgt; Österreich ein kinderreiches und kein sterbendes Land mehr; Steuergesetze, die auf die Familie, die Kinder Rücksicht nehmen; Förderung der geistigen Arbeit, wenn auch noch nicht in idealster Weise, doch viel weifergehend, als oft kühne Träume zu hoffen wagten. Und über allem lagernd eine wirtschaftliche Prosperität, die nichf abzunehmen scheint, ein Hinaufllzltie-ren Immer höherer sozialer Wünsche durch die Parteien und Verbände, die den perfekten Wohlfahrtsstaat in greifbare Nähe rücken.

Warum dann schon wieder ein neuer Katholikentag, noch dazu unter der Devise „Löscht den Geist nichf aus“! Eine Verlegenheitsveransfaltung, abgehalten, nur damit etwas geschieht!

JOHN HENRY KARDINAL NEWMAN sagte einmal, daft Jede Definition eines Dogmas seitens der Kirche eine zwingende Notwendigkeit darstelle, „ein furchtbar schmerzliches Gebot der Stunde, zur Stärkung der Gläubigen, wenn ein grofjes Übel oder eine grobe Häresie droht“. Wer die Geschichte der österreichischen Katholikentage überblickt, kann sagen, dcfj dieses Wort des Kardinals, abgewandelt, auch für sie gilt. Auch sie fanden statt, „um die Gläubigen zu stärken, weil ein grofjes Übel oder eine grofte Häresie drohte“, auch sie waren ein „furchtbar schmerzliches Gebot der Stunde“. Ein kurzer Uberblick kann diese Behauptung beweisen:

Der erste Katholikentag — 30. April bis 3. Mal 1877 — war der „Katholikentag der Schule“. Er sollte auf die Gefahren hinweisen, die der Erziehung der Kathollken durch das areligiöse Staatsschulsysfem drohten;

der zweite — 29. April bis 2. Mal 1889 — war der „Katholikentag der sozialen Frage“. Das Elend der Arbeiter und Bauern und die Heilung der sozialen Schäden war sein Zentralproblem;

der dritte — 8. bis 11. August 1892 — war der „Katholikentag der Presse“. Die hoffnungslose Inferiorität der österreichischen Katholiken auf diesem Sektor war Mittelpunkt seiner Diskussion (die Gründung der „Relchs-posf“ ging auf die Beschlüsse dieses Katholikentages zurück);

der vierte — 31. August bis 3. September 1896 — war der „Katholikentag der Bauern“. Er lenkte das Augenmerk auf die Immer mehr sich verschlechternde Situation der ländlichen Bevölkerung;

der fünfte — 18. bis 21. November 1905 — war der „Antl-Los-von-Rom-Kafholikentag“. Vor allem war er eine Demonstration der katholischen Stärke und Einheit gegen die riesigen Angriffe von nationaler Seite. Er brachte darüber hinaus die Gründung des Piusvereines für die katholische Presse;

der sechste — 16. bis 19. November 1907 — war der „Katholikentag der Hochschule“. Der erstarkende Katholizismus Österreichs wandte seine Sorge den österreichischen Universitäten und sonstigen Hochschulen zu, die ja damals völlig in antikirchlichen Händen waren. Auf diesem Katholikentag sprach Lueger das berühmte Wort von der „Rückeroberung der Universitäten“;

der siebente — August 1910 — setzte die Bestrebungen seiner Vorgänger fort;

der achte — September 1933 — war der „Katholikentag äer Hoffnung“. Die Erinnerung an glanzvolle Zeiten — an die Vollendung des Stephansdomes im Jahre 1433 und die Befreiung Wiens von den Türken im Jahre 1683 sollte die Hoffnung der Kathollken für die kommenden

SELBST DER oberflächlichste Beobachter der Dinge muff bemerken, daft sich innerhalb der letzten zehn Jahre — also seit dem letzten Katholikentag auf den geistigen und materiellen Gebieten Österreichs ein ungeheurer Wandel vollzogen hat. Ein Erdrutsch, vergleichbar vielleicht nur der Ablösung des Barockzeifalfers durch die josephlnische Epoche. Das Wirtschaftswunder, das fast ganz Europa umfahr, das in der benachbarten Bundesrepublik Deutschland aus dem „Volk ohne Raum“ trotz verkleinerter Bodenfläche einen Raum mit zuwenig Arbeitskräften werden lieft, das aus dem armen Italien ein reiches Land werden läfjt (trotz Verlust aller Kolonien), dieses Wirtschaftswunder hat auch nach Österreich seine Arme ausgestreckt und seine Struktur verändert. ,

Es gibt keine Zehnfausende von Armen und Darbenden mehr, wie sie noch vor drei Jahrzehnten vorhanden waren. Es gibt auch kaum mehr ganz Reiche, da die grofjen Vermögen fast alle verschwunden sind. Kaum bemerkt, hat sich ein Wirtschaftssystem in Österreich ausgebreitet, das fast schon „volksdemokratische“ Formen hat, nur mit dem Unterschied, daft die persönliche Freiheit des Menschen nichf angegriffen ist. Denn die Verstaatlichung der Wirtschaft hat einen unr leuren Grad erreicht, nicht nur die direkte, sondern vor allem auch die indirekte. Gehören doch weife Zweige der österreichischen Industrie, des Gewerbes usw. den Großbanken, die Ja selbst wieder in staatlichen Händen sich befinden. Die wirtschaftliche Unabhängigkeif gegenüber dem Maat Ist nur noch auf wenige beschränkt. Wie lange werden auch diese noch Ihre Unabhängigkeit bewehren könne-'

DAS WIRTSCHAFTSWUNDER hat eine seltsame Form des Menschen hervorgebracht: er Est ein Nomade geworden. Nichf nur Zehntausende fahren täglich mit der Bahn, mit dem Moped, mit dem Kleinwagen bis zu Hunderten von Kilometern an ihre Berufssfäften, andere Zehnfausende wechseln alljährlich ihren Betrieb. (In Deutschland machen beide Arten von Pendlern jährlich sechs Millionen aus.) Und jene, die vielleicht/weder zu der einen noch zu der anderen Kategorie gehören, wandern auch ständig In der Welt umher: kaum ist Ihre Berufsarbeit zu Ende, bleiben sie nichf zu Hause, sondern werfen sich in Irgendein Fahrzeug und hetzen — noch am gleichen Abend, sicher aber am Wochenende — über die Straften. Die Wohnung hat aufgehört ein Helm zu sein, sie ist eine Schlafsfelle geworden, ein stabiler Wohnwagen, ein stabiles Zelt. Das Zell aber ist das fypische Zeichen des Nomaden.

Diese Unrast des heutigen Menschen ist eine Flucht vor einer Erscheinung, vor der er sich besonders bedroht fühlt: vor der Langeweile. Diese Langeweile macht — nach Aussagen der Psychologen — den Menschen mehr zu schaffen als alle anderen Nöte. Ganze Industrien existieren davon, daft sie dem Menschen helfen, der Langewelle zu entfliehen. Ja, Morde geschehen schon aus keinem anderen Grund, nur weil dem Mörder „so fad war“.

Im Grunde genommen ist diese Flucht vor der Langeweile nichts anderes, als der Ausdruck, daft der heutige Mensch Angst hat vor — der Stille. Er flieht aber vor der Stille, well in dieser die vielen Ängste, die Ihn bedrohen, derart stark aufsfeigen und Ihn überspülen, daft er allein schon durch diese Existenz bedroht wird. Trotz Wirtschaftswunder hat der heutige Mensch dauernd Angst, Ist behaftet mit Katastrophenkomplexen jeder Art. HaJ Angst vor Kriegen, Krankheiten, vor Arbeitslosigkeit, vor dem Alfwerden. Und versucht, durch die gigantischesten Ver-slcherungssysfeme der Ängste Herr zu werden.

WARUM ABER hat dieser Mensch, der so zwischen Langeweile und Angst dahinlebt, diese Ängste! Die Antwort ist die einfachste der Welt: weil im Leben der Menschen Gott keinen oder nur mehr einen sehr geringen Raum einnimmt. Unendlich viele Menschen kennen Gott gar nicht mehr, weitere Massen haben keine Beziehung zu Ihm. Die Christen leben mehr denn je in einer Diaspora. Wo aber kein Glaube an Gott, da wächst der Glaube an die Versicherung. Wo keine Ehrfurcht mehr vor der Allmacht Gof. fes, da steigt die Angst vor den Mächten dieser Welt. Nichf, daft der Christ nichf auch Ängste hätte, aber Im Letzten weift er sich geborgen in der Allmacht Golfes. Der Christ hat deshalb auch keine Ursache, die Stille zu fliehen. Denn in ihr erfährt er nicht nur die Existenz der Ängste, sondern wird zum Nachdenken über die Existenz Gottes „verführt“.

„Löscht den Geist nicht aus“, diese Devise des kommen« den Katholikentages klingt wie ein Notschrei, den die Mut-fer Kirche austtöftt. Nicht nur für die Christen, ihre Angehörigen, sondern für alle Menschen. Denn wie eine echte Mutter sieht sie mit Schrecken dieses Herumfaumeln der Menschenkinder zwischen Angst und Langeweile, das doch nur erfolgt, um nicht nachdenken zu müssen, um den Gelsf zum Schweigen zu bringen. Was aber isf der Mensch, wenn sein Geist schweigt, wenn er erlischt! Eine Marionette, mit der die Mächte dieser Welt verfahren können, wie es ihnen beliebt, ein hohles Gefäft, das sich versperrt dem Eindringen des HEILIGEN GEISTES.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung