6732441-1966_04_06.jpg
Digital In Arbeit

Lübkes Herbsteedanken

Werbung
Werbung
Werbung

Der Schatten der großen Koalition :st wieder einmal über die Bonner Bühne getanzt, aber es ist auch dies- nal bei einer Episode geblieben, solche Zwischenspiele werden sich iller Voraussicht nach noch des öfteren wiederholen. Doch ist es mehr als fraglich, ob es vor Ablauf der Legislaturperiode tatsächlich zu jinem Umschwung kommen wird.

Ausgelöst wurden die Geschehnisse diesmal durch ein Interview des ieutschen Bundespräsidenten mit dem Schweizer Journalisten F. R. Alleman. Lübke hatte dabei lediglich bestätigt, was seit langem bekannt gewesen war, weil er es nie verschwiegen hatte: Er hatte im Som mer und im Herbst vorigen Jahres, schon vor den Bundestagswahlen, darüber nachgedacht, ob nicht eine große Koalition das Gebot der Stunde werden könnte. Lübkes Interview mit der „Weltwoche” wurde jedoch überall in der Bundesrepublik richtig gelesen. Deshalb wurde vielfach daraus abgeleitet, es handle sich um ein neues Pronunziamiento augunsten der großen Koalition.

Große Koalition

Bei Lübkes Herbstgedanken hatte die Überlegung mitgespielt, die CDU/CSU könnte das Rennen mit der SPD verlieren oder, zumindest, mit nur knappem Vorsprung durchs Ziel gehen. Des weiteren hatte Lübke aber auch Überlegungen angestellt, daß bestimmte Aufgaben in den nächsten Jahren ohne die SPD nicht gelöst werden könnten, weil dazu deren Stimmen im Bundestag benötigt würden, zum Beispiel die Finanzreform und die Steuergesetzgebung. Abgesehen davon ist die große Koalition seit je ein Lieblingswunsch Lübkes. Er teilt ihn mit einer ansehnlichen Zahl von Politikern der CDU und der CSU, denen die Partnerschaft der FDP stets unangenehm war.

Spekulationen und Gerüchte

Sobald das Stichwort große Koalition fällt, gerät in der Bundesrepu blik unverzüglich die Maschinerie der Spekulation und Gerüchte in heftige, teilweise sehr gezielte, teilweise recht unkontrollierte Bewegung. So auch dieses Mal. Auch der bevorstehende Wechsel im Parteivorsitz der CDU — Adenauer wird auf dem Parteitag im Frühjahr zurücktreten — wurde damit in Verbindung gebracht. Barzel oder Kiesinger oder wer sonst als Kanzler? Strauß ins Kabinett? Es gab keine Frage, die nicht gestellt, keine Mutmaßung, die nicht in Umlauf gesetzt wurde. Die Verantwortlichen an den Schaitstellen blieben jedoch mit ihren Auslassungen sparsam und zurückhaltend. Offensichtlich ist jeder sorgfältig bemüht, seine Absprungbereitschaft nicht zu frühzeitig zu erkennen zu geben, anderseits aber auch nicht zu spät, um den Anschluß nicht zu verlieren.

Die Freien Demokraten sahen freilich die Lage sehr ernst an und warfen ihr ganzes Gewicht in die Waagschale, um den Anfängen zu wehren. Dies führte zu der ungewöhnlichen Kritik, die Bundeskanzler Erhard anläßlich des Neujahrsempfanges des Bundespräsidenten an dessen Interview übte. Ohne dieses Interview zu erwähnen, stimmte Erhard ein Loblied auf die kleine Koalition an und jedermann wußte, was gemeint war. Der Bundespräsident gab dn diesem Augenblick keine überzeugende Figur ab — aber dies kam einfach daher, daß der Angriff Erhards ihn vollkommen überraschte. Man darf annehmen, daß er beim Betreten des Empfangssaales nicht geahnt hatte, was ihm bevorstand. In der Tat war auf Erhard, insbesondere von seiten der FDP, in letzter Stunde mit aller Macht dahin eingewirkt worden, ein öffentlichles Bekenntnis zum Fortbestand der kleinen Koalition abzulegen. Milt seinen Erklärungen, die von ebenso eindeutigen Entschließungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gefolgt wurden, kann nun aber diese Episode als abgeschlossen gelten.

Sie hat die Anfälligkeit der deutschen Politiker und der deutschen Öffentlichkeit für das Thema große Koalition, die für viele im guten wie im bösen geradezu ein Alpdruck ist, abermals enthüllt. Bei dem verwirrenden Spiel, das sich dann fast immer entfaltet, kommt indes die entscheidende Grunditatsache so gut wie gar nicht ins Blickfeld. Ein Wechsel im Bundeskanzleramt ist nämlich nach der Verfassung nur möglich, wenn der Bundeskanzler entweder von sich aus zurücktritt oder durch Zweidrittelmehrheit des Bundestages hiezu gezwungen wird. Erhard denkt aber nicht daran, aus dem Palais Schaumburg auszuziehen, zumal er überzeugt ist, eine Aufgabe und eine Sendung zu haben. Vielleicht wäre er 1969, wenn Lübkes Amtszeit abläuft, bereit, in die Villa Hammerschmidt zu übersiedeln. Bisher hat lediglich seine Frau einmal so nebenher die Bemerkung fallen lassen, noch vier Jahre, bis 1969, gedenke er in seinem derzeitigen Amit zu bleiben.

Nur noch zwei Jahre für Erhard?

Undenkbar ist ferner, daß die CDU den Bundeskanzler zum Rücktritt zwingt. Es hat zwar Kreise gegeben, die um die Zeit der Bundestagswahlen daran dachten, Erhard nur noch zwei Jahre Zeit zu geben. Aber auch sie gingen zunächst davon aus, das Wahlergebnis würde verfälscht und der Wähler würde sich hintere Licht geführt fühlen, wenn Erhard gehen würde, mit dem als Vormann und Lokomotive die CDU die Wahlen bestritten hatte. So hat es sich denn auch bei dem letzten Zwischenspiel um die große Koalition gezeigt, daß — um es einmal ganz vorsichtig auszudrücken — zur Zeit eben nicht genügend Abgeordnete der CDU/ CSU bereit sind, gemeinsam mit der SPD die Zweidrittelmehrheit zu bilden, die zum Sturz Erhards nötig wäre.

Dennoch werden von allen Beteiligten unverkennbar noch alle Wege offengehalten. Die SPD hatte zunächst nach den Wahlen den Eindruck erweckt, daß sie nur auf den Augenblick warte, in dem es heißen würde: „Dann wird er die Fanfare blasen lassen”. Die Fanfare erweist sich jedoch bisher als Chamade. Herbert Wehner verhält sich wohl temperiert, ebenso Helmut Schmidt aus Hamburg, von dessen Neuauftreten im Bundestag vielfach ein scharfer Oppositionskurs erwartet worden war, jedoch hat Schmidt zu seinem spürbaren Mißvergnügen sehr rasch entdeckt, daß der Apparat von Partei und Fraktion auch ihm Zügel anlegt, gegen die man sich schwer aufbäuöien kann, ohne sich Von Anfang an Gegner zu schaffen. So gingen denn CDU/CSU und SPD in einer kurzen außenpolitischen Aussprache am 12. Jänner — eine Neuerung in der Geschäftsordnung des Bundestages — mit einander fein säuberlich um. Jeder versicherte dem anderen, er werde diesem nun eine Spritze setzen, aber er möge unbesorgt sein, man werde dabei ganz behutsam verfahren, damit möglichst kein Schmerz entstehe — und so verfuhr man dann auch.

… und die Opposition?

Die große Preisfrage bleibt danach, ob es auch in Zukunft bei dieser sanften Gewalt bleibt oder ob die sozialdemokratische Opposition eines Tages doch noch die Samthandschuhe auszieht und dann mit harten Bandagen gekämpft wird.

die Knesseth schickte, und zwei Ministerposten erhalten hat (Gesundheit und Wohnbau), erhielt zusammen mit der Achdut Ha’Awodah (Anbeit, Transport und Minister ohne Portfeuille) das Recht, sich bei Abstimmungen über Beziehungen mit der Bundesrepublik der Stimme enthalten zu können. Bekanntlich sind die beiden Parteien wegen ihrer antideutschen Haltung bekannt. Sollte es zu einer Knesseth- Abstimmung in dieser Angelegenheit kommen, hätte die Koalition keine Stimm ehrheit.

Die Mapam erhielt außerdem die Erlaubnis, als einzige Partei in der Koalition für atomare Neutralisierung des Ostens zu stimmen. Doch noch eine Stunde vor der endgültigen Unterzeichnung des Koalitions- Vertrages war bereits die erste Regierungskrise mit der Mapam im Anzug. Diese Partei wallte im Regierungsprogramm eine gerechtere Verteilung des Nationaleinkommens

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung