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MacArthurs Werk in Ostasien

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Die Augen der ganzen Welt sind auf die Rolle der Vereinigten Staaten als Mandatsträgerin und Vollstreckerin des Friedensgebotes der UNO in Korea gerichtet. Der Friedensbrecher entwickelt Kräfte, welche die militärische Perspektive, aus der die ersten Maßnahmen der Vereinigten Staaten erfolgten, korrigieren, und das Unternehmen, dem Auftrag der UNO Geltung zu verschaffen, in seinen ganzen großen Ausmaßen erkennen lassen. Die Pazifikation Koreas wird auch zu einer Bestandfrage der UNO. Ihre blaue Flagge verträgt keine entscheidende Niederlage. Die Verantwortung, die sich an ihre Träger knüpft, ist groß. Es konnte sie kaum ein Würdigerer übernehmen als MacArthur, der Siebzigjährige, der mit den Erfährungen des alten Soldaten die Weisheit eines Staatsmannes paart. Mehr noch als auf seine militärischen Siege gründen sich die Hoffnungen, die in der jetzigen Lage die friedenswillige Welt auf ihn setzt, auf die Leistungen, die er als Generalstatthalter in dem besiegten Japan vollbracht hat, ein redlicher Menschenfreund in vielsagender Erprobung.

Als General Douglas MacArthur am 2; September 1945 an Bord des Schlachtschiffes „Missouri“ in der Bucht von Tokio die bedingungslose Kapitulation Japans entgegennahm, hatten wohl nur die wenigsten, selbst unter den Fachleuten des amerikanischen Staatsdepartments, eine sichere Vorstellung von der Größe der Aufgaben, die des siegreichen Feldherrn und nunmehrigen Gouverneurs des geschlagenen Inselreichs harrten. Mit der völligen Entwaffnung Japans und der Zerstörung des japanischen Kriegspotentiäls war ja nur der erste und verhältnismäßig leichteste Teil seiner Mission erfüllt. Die eigentlichen und zunächst unübersehbaren Schwierigkeiten begannen mit jenem Abschnitt seiher Direktive, der ihm auftrug, auch alle Institutionen zu beseitigen oder durchgreifend zu reformieren, in denen man die Grundläge und die Triebfeder des japanischen Imperialismus und ein Hindernis für die Umerziehung des japanischen Volkes in der Richtung westlich-demokratischer Gedankengänge und einer friedlichen Gesinnung erblickte. Zugleich aber hatte er den Wiederaufbau des völlig verarmten und kriegserschöpften Landes in Angriff zu nehmen und dafür Sorge zu tragen, daß die breiten Massen nicht durch Hunger und hoffnungsloses Elend zur Verzweiflung gebracht und in die Fallen der radikalsten Demagogie getrieben würden.

Verglichen etwa mit der Rolle, die den Bevollmächtigten der Alliierten in Westdeutschland zugeteilt worden war, wies die Stellung MacArthurs allerdings fürs erste einen unschätzbaren Vorteil auf: sein militärischer und administrativer Befehlsbereich erstreckte sich über ganz Japan, und so blieben ihm all die Auseinandersetzungen und zweifellos schweren Reibungen erspart, die sich aus einer Teilung des Landes in mehrere alliierte Besatzungszonen unweigerlich ergeben hätten; und obzwar er sein Mandat formell namens der Alliierten und unter Kontrolle eines alliierten Rates auszuüben hatte, war es letzten Endes allein die Regierung der Vereinigten Staaten, der er verantwortlich blieb. In manch anderer Beziehung aber mußte sich seine Mission noch weit verwickelter gestalten als jene, die man seinen Kollegen in Westdeutschland, um bei diesem Vergleich zu bleiben, übertragen hatte.

Von einer Ziffer von etwa 43 Millionen zu Beginn des Jahrhunderts, war die Bevölkerung Japans schon vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges auf 70 Millionen angewachsen. Heute beträgt sie, zum Teil als Folge der durch den Kriegsausgang bedingten Rückwanderung aus Korea, Formosa, dem chinesischen Festland und anderen Gebieten, nahezu 84 Millionen, also das Doppelte beispielsweise der französischen Volkszahl. Dabei umfaßt Nachkriegsjapan eine Bodenfläche, die wenig größer ist als zwei Drittel Frankreichs, aber nur in einem Ausmaß von etwa 15 Prozent landwirtschaftlich nutzbar ist. Trotzdem wäre es, bei der für Europäer fast unvorstellbaren Anspruchslosigkeit und dem Bienenfleiß der Japaner, nicht zu der schweren Ernährungskrise gekommen, unter der das Land seit dem Kriege und auch heute noch fast unvermindert leidet, wenn Japan in der Lage wäre, seine lebenswichtigen Importe, so wie früher, mit dem Erlös seiner Exporte zu bezahlen. Nun hat zwar General MacArthur schon vor langem die Aufhebung aller ursprünglich auferlegten Produktionsbeschränkungen, soweit sie nicht aus Gründen militärischer Sicherheit aufrechtbleiben mußten, durchgesetzt, und die finanzielle Hilfe, die Amerika der japanischen Wirtschaft bisher zukommen ließ, übertrifft die Unterstützung, die irgendeiner anderen Nation, England ausgenommen, seit 1945 von amerikanischer “Seite zuteil wurde. Trotzdem müßten die japanischen Ausfuhrzi f f ern gegenüber dem jetzigen Stand verfünffacht werden, um die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung halbwegs erträglich zu gestalten und die Handelsbilanz, die vor dem Kriege hoch aktiv war, nur annähernd auszugleichen. Davon aber kann vorläufig kaum die Rede sein, weil Umstände Vorliegen, an denen zur Zeit weder die Japaner selbst noch ihr amerikanischer Protektor Wesentliches zu ändern vermögen. Von der stolzen japanischen Handelsflotte, einst der drittgrößten der Welt, ist kaum ein Viertel übriggeblieben, durchwegs altes Material, und selbst für diese unökonomischen Überreste ist nur schwer Ersatz zu schaffen, weil die eigene Stahlerzeugung, heute noch nicht 2 Millionen Tonnen im Jahre, kaum für den laufenden industriellen Bedarf hinlangt. Ebenso steht es mit dem Bedarf an Kohle, den Japan früher vorwiegend in Korea, Sachalin und in der Mandschurei zu dek-ken pflegte. Es fehlen überhaupt die Produkte der modernen, leistungsfähigen Bergwerks- und Schwerindustrieanlagen, die sich Japan in jahrzehntelanger Arbeit in Korea und der Mandschurei geschaffen hatte, ebenso wie ihm heute die mandschurischen Soyabohnen fehlen, der Reis aus dem malaiischen Archipel, die Fische aus den ihm jetzt verschlossenen nördlichen Gewässern, der Zucker von Formosa, das Bauholz aus den mandschurischen Wäldern. Nicht abzuwenden war ferner der tödliche Schlag, den einer der früher wichtigsten Devisenverdiener des Landes, die Seidenindustrie, durch den Siegeszug der Nylangewebe erlitten hat. All dessen ungeachtet, blicken japanische Wirtschaftskreise mit einem gemessenen Opimismus in die Zukunft, dank vor allem dem Umstand, daß es General MacArthur im Einvernehmen mit amerikanischen Baumwollproduzenten gelungen ist, die japanische Textilindustrie, trotz heftigsten Einspruchs von seiten Englands, wieder auf hohe Touren zu bringen. Schon heute hat sie die Erzeugnisse von Lancashire aus manchen Märkten verdrängt, und auch in anderen Produktionszweigen, namentlich der Ieichtmetallindustrie und des Gewerbes, macht die aufstrebende japanische Konkurrenz den Engländern bereits schwere Sorgen.

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Kein Volk, und am allerwenigsten ein so selbstbewußtes, wie die Japaner sind, erträgt leichten Herzens die Herrschaft des Eroberers oder die ' Erziehungsversuche fremder, ungebetener Lehrmeister, und es hafte keineswegs'der bestehenden wirtschaftlichen Nöte bedurft, um der antiamerikanischen Propaganda, wie sie nicht nur von den Linksradikalen, sondern auch von Nationalisten betrieben wird, den Boden zu bereiten. Trotzdem scheint die Stimmung in politisch einflußreichen Kreisen wie auch in den breiten Schichten der Bevölkerung den Vereinigten Staaten gegenüber günstiger, als es nach Lage der Dinge zu erwarten war. Das Verdienst hiefür gebührt zweifellos in erster Linie dem Geschick MacArthurs, der es verstanden hat, strenge Entschiedenheit,- wo immer möglich, mit Entgegenkommen zu paaren, und sein Amt als Generalstatthalter mit praktisch unbegrenzten Vollmachten nach und nach, und rascher, als es manchem „Experten“ jenseits der Meere recht war, in die

Stellung eines Mentors überzuleiten, der lieber rät als befiehlt, und lieber warnt als verbietet. Er gehörte eben nie zu jenen seiner Landsleute, für die das Weltgeschehen erst mit dr Declaration of Independence seinen Anfang nahm, und die der Meinung sind, daß amerikanische politische Auffassungen und Institutionen sich auch in jedem anderen Lande in gleichem Maße bewähren müßten, selbst dort, wo ihre Einführung einer uralten Geschichte und Tradition und vielleicht auch dem Willen des betreffenden Volkes widerspricht. So begnügte er sich auch, in betontem Gegensatz zu einem erheblichen Teil der öffentlichen Meinung Amerikas, den Kaiser seiner „Göttlichkeit“ zu entkleiden, ohne damit einer Entscheidung über die künftigen Funktionen des Tenno im Leben der Nation vorzugreifen. Schon jetzt läßt sich sagen, daß diese Behandlung einer ganz besonders heiklen Frage einen Akt weitschauender politischer Klugheit darstellte. Der „irdisch“ gewordene Kaiser, um den sich heute, wo immer er erscheint, die Massen in Ehrfurcht drängen, und vor dem selbst Kommunisten ihre roten Fahnen verbergen, genießt dasselbe unvergleichliche Ansehen, wie früher in seiner tJnnahbarkeit. MacArthur hat sich durch diese Politik die Mitwirkung des stärksten Einflusses gesichert, der in Japan zu finden war, um die wertvolle Kraft dieser Nation für die Sache des friedlichen Fortschritts zu gewinnen.

Freilich, die Weltlage ist einer solchen Entwicklung nicht günstig. Die Etablierung des rotchinesischen Regimes und die jetzigen Ereignisse in Korea haben die Flamme akuter Gefahren im Fernen Osten hoch aufzüngeln lassen. Aber wenn einer, so ist MacArthur der rechte Mann, um die schwierige Lage zu meiste.

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