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Machtkämpfe in Ägypten?

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In Ägypten wartet man wieder auf einen Putsch. Die zweite Regierungsneubildung seit der Juniniederlage war, meinen politische Beobachter, mehr als die bisher gewohnten sporadischen Machtumgruppierungen in der nasseristischen Führungsspitze.

Der „Bund der Revolution”, der 1952 zur Macht gelangt war, überdauerte 15 Jahre lang persönliche Zerwürfnisse, innerpolitische Krisen und außenpolitische Rückschläge. Abdel Nasser, sein Gründer und Boß, trennte sich nacheinander von seinen einstigen Mitkämpfern Nagib, Baghdadi, Hussein und Ibrahim, ersterer sein Vorgänger als Präsident und die anderen langjährige Vizepräsidenten, doch es geschah ihnen kein Leid. Das Land verbrauchte allein im letzten Jahrfünft drei Ministerpräsidenten, aber sie behielten nach ihrer Ablösung führende Stellungen. Dadurch blieb die nasseristische Führung ein fast unangreifbarer monolithischer Machtfaktor.

Das änderte sich nach dem Sechstagekrieg und dem Tod Feldmarschall Amers. Die Bevölkerung war enttäuscht über die korrupte und unfähige Armee, doch ihr Oberbefehlshaber blieb erstaunlicherweise einer der beliebtesten Politiker. Bis heute glaubt niemand an seinen „Selbstmord”. Einer seiner Söhne sagte am offenen Grab: „Gamal hat ihn auf dem Gewissen!” In Ägypten geht das seitdem von Mund zu Mund. Man vermutet, Amer sei gezwungen worden, sich zu vergiften, weil er gedroht habe, in einem etwaigen Prozeß „auszupak- ken”.

Fort mit den „alten Kämpfern”

Die unterschiedliche Beurteilung von Armee und Oberbefehlshaber ist nicht schwer zu erklären. Die Ägypter besitzen ausgeprägtes politisches Talent. Ihnen wurde schon kurz nach der Niederlage bewußt, obwohl sie lange nichts ahnten von deren katastrophalem Ausmaß, daß sich nicht die Generalität schuldig gemacht hatte, sondern die politische Führung, von der sie berufen worden war und die sie in den Krieg gehetzt hatte. Der Diktator konnte daher den Scheinrücktritt vom

9. Juni 1967 nur überstehen, weil der von ihm bestimmte Nachfolgekandi- tat zu unbeliebt war, sich den Massen kein anderer anbot und die Staatspartei „Arabische Sozialistische Union” (ASÜ) organisiert für Abdel Nasser auf die Straße ging. Damals hörte man zum erstenmal öffentliche Kritik: „Wir haben ihn wiedergewählt, und nun soll er sich bewähren!”

Wie sehr die bis dahin politisch entmündigten Massen künftig mitzubestimmen gedachten, zeigte sich bald. Als der erste Offiziersprozeß zu versanden drohte, kam es im Industriekombinat Heluan und in den Kairoer Universitäten zu Arbeiter- und Studentendemonstrationen. Der „Rais” mußte versprechen, jeden Zentimeter arabischen Bodens zurückzuerobem, die bereits ergangenen milden Verratsurteile zu revidieren und einen Generationswechsel einzuleiten.

Die zahllosen „alten Kämpfer”, die sich 15 Jahre lang in Regierung, Armee, Verwaltung, Wirtschaft und Polizei gehalten hatten, waren hoffnungslos disqualifiziert. Ihr Treueverhältnis untereinander und zum „Rais” war zwar die sicherste Stütze des Regimes gewesen, sie lähmten es aber durch Unfähigkeit, Vetternwirtschaft und Korruption.

Abdel Nasser scheint das schon selbst bemerkt zu haben. Er trennte sich immer leichter von den engsten früheren Mitkämpfern und entließ andere aus ihren einträglichen Stellungen. Von den zwölf Offizieren, die 1954 die Macht mit dem „Rais” teilten, bekleiden nur noch drei öffentliche Ämter: Parlamentssprecher Sadat, Vizepremier Schaf ei, ASU- Generalsekretär Sabri. Zwei sind tot: Salah Salem starb eines natürlichen Todes, und Amer beging einen unaufgeklärten Selbstmord. Fünf demissionierten und stehen unter Hausarrest: Der ehemalige Präsident Nagib und die Vizepräsidenten Baghdadi, Hussein, Ibrahim und Mohieddin.

Verjüngte Regierung?

Will sich nun das Regime verjüngen und mit Hilfe unpolitischer Fachleute die schwierigen inneren Sachprobleme bewältigen? Die Regierungsneubildung ist in Wirklichkeit jedoch kein Generationswechsel.

Einerseits entließ man so hervorragende Experten wie den noch verhältnismäßig jungen und als langjährigen Direktor der Suezkanalbehörde sehr erfolgreichen Minister Mahmut Junis und den hervorragenden Finanzfachmann Abdel Moneim el-Kaissuni. Anderseits zählt der jüngste neue Minister 39 und der älteste 63 Jahre. Zwar war noch keiner von ihnen jemals Kabinettsmitglied, aber bei allen handelt es sich um bewährte Parteigänger des Regimes.

Das Revirement kennzeichnet nur scheinbar einen Generationswechsel. Je näher der Volkszom dem „Rais” rückt, um so rascher muß er das Kabinettskarussell kreisen lassen, um ständig neue Schuldige für die politische, wirtschaftliche und soziale Misere zu finden. Unter seinen Altersgenossen findet er kaum noch geeignete Mitarbeiter. Also greift er notgedrungen zurück auf jüngere Kräfte. Die Schlüsselpositionen halten nach wie vor Abdel Nasser und seine alten Vertrauten Howeida (Geheimdienstchef), Schafei (Vizepremier), Riad (Außenminister), Goma (Innenminister) und Soliman (Staudamm- und Energieminister). Die Regierungsumbildung diente ausschließlich der Machtkonsoliidierung. Unfreiwillig offenbart sie jedoch einen weiteren Machtzerfall.

Zwei im Hintergrund

Die bisherigen Vizepräsidenten Ali Sabri ,und Žak aria Moh ieddin, seither linker und rechter Flügelmann des Regimes, sind nicht mehr Regierungsmitglieder. Sie bezogen ihre Ausgangspositionen für den Machtkampf um die Nachfolge Abdel Nassers.

Sabri hat es dabei leichter als sein Rivale. Der „Rais” betrachtet die Massenpartei ASU, deren Generalsekretär jener ist, neben der Armee als wichtigste Regimestütze. Sabri 1st nicht mehr mitverantwortlich für die Regierungspolitik und genießt dennoch weiter das Vertrauen Abdel Nassers. Seine jetzige Stellung verschafft ihm heute schon eine davon unabhängige Machtposition.

Mohieddin ist in der schwierigeren Situation. Sein Rücktritt — von dem niemand weiß, ob er freiwillig erfolgte oder erzwungen wurde — entkleidete ihn aller öffentlichen Ämter. Das macht ihn zum möglichen Mittelpunkt einer Fronde. Die potentiellen Umstürzler, denen bisher eine zugkräftige Persönlichkeit fehlte, setzen wahrscheinlich auf ihn ihre Hoffnung. In der Armee, aus der er hervorging, und in Polizei und Geheimdienst, die er reorganisierte und leitete, hat er noch viele Anhänger.

Beabsichtigt Mohieddin einen Umsturz, muß er rasch handeln und den desolaten Zustand der staatlichen Überwachungsorgane ausnützen, oder er wird bald so vergessen und machtlos sein wie zahllose Vorgänger. Kenner der Verhältnisse erwarten daher in den nächsten Wochen noch folgenschwere innerpolitische Auseinandersetzungen in Ägypten.

Abdel Nasser ist noch nicht aus der Gefahrenzone. Das ist der Schlüssel für die sich wieder gefährlich zuspitzende nahöstliche Krisensituation. Sein Regime und die seiner arabischen Diktatorenkollegen überleben nur durch dauernde Ablenkungsmanöver. Kleingefechte und Terrorüberfälle erzeugen künstlich ein äußeres Gefahrenklima. Und das begründet dann den nach wie vor ausbleibenden wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt. Arabische Intellektuelle ziehen daraus den Schluß: Einer nahöstlichen Friedensregelung vorausgehen müsse die Flurbereinigung der innerpolitischen Landschaft der arabischen Staaten. Mit anderen Worten: Ihre institutioneile Schwäche hindert die gegenwärtigen Regimes an jeglicher Initiative. Verhandeln können nicht die Verlierer Abdel Nasser, Salah Dschedid und Hussein Ibn Talal, sondern nur die imbelasteten potentiellen Nachfolger.

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