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Männer vor» um und hinter Papen

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Ini entscheidenden Kampf um die Macht hatte das Volk, nämlich die breiten Schichten des deutschen beziehungsweise des österreichischen Volkes, die keinen Hitler als Zwingherrn wollten, keinerlei Mitsprache. Eine kleine Kamarilla von Herren um Hindenburg hat Hitler „regelrecht in die Macht geschoben“, wie es der bedeutende Historiker Walther Hofer treffend ausdrückt. Eine kleine Gruppe hat Österreich Hitler zugeschoben. Jenes österreichische Volk, das für Österreich kämpfen wollte und das durch seinen bewaffneten Widerstand den Gegnern Hitlers, nicht zuletzt im deutschen Heer, die Chance geboten hätte, in diesem März 1938 Hitler zu entthronen, wurde entwaffnet, nachdem man es in den Jahren zuvor, bald nach dem Tod von Dollfuß, demoralisiert, entmutigt, verwirrt, entmachtet hatte: durch von Tag zu Tag steigende Zugeständnisse an die Männer vor, um, hinter Papen.

Vom Fall Österreichs, das nicht zuletzt an Selbstverrat zugrunde ging, wird in Kürze zu reden sein, wenn sich nämlich das Vierteljahrhundert kalendermäßig erfüllt hat, am 13. März 1963. Wir sind heute schon neugierig, wie, mit welchen Worten und bei welchen Gelegenheiten, sich da die heute für unseren Staat verantwortlichen Männer zu Österreich bekennen werden.

Das deutsche Exempel

Das deutsche Exempel selbst, der Prozeß des Staatszerfalls, der Selbstaufgabe der Weimarer Republik, der Hitler vor genau drei Jahrzehnten zur

Macht getragen hat, besitzt immanente Bedeutung genug, für Deutsche und Österreicher, die aus ihrer eigenen Geschichte lernen wollen. Ein alter Spruch fernöstlicher Weisheit sagt: Wer nicht aus seiner Vergangenheit lernen will, wird gezwungen, sie zu wiederholen.

Die Stärke Hitlers beruhte auf der Schwäche der Weimarer Demokratie. Die Schwäche der Weimarer Demokratie beruhte in erster Linie darauf, daß die wichtigsten Kommandostellen in diesem Staate, in der hohen und mittleren Bürokratie, im Richterkorps, in der Armee, in der Wirtschaft, von Männern besetzt waren, die nicht an die Demokratie glaubten.

1918 kam es zu einem gewissen Zurückweichen, besser, zu einem gewissen In-den-Hintergrund-Treten der Männer, die Deutschland in den ersten Weltkrieg geführt und in ihm die Führung gehalten hatten. Die Weimarer Republik basierte im Kern im wesentlichen auf einer „großen Koalition“ des Zentrums und der Sozialdemokraten. Die Weimarer Republik starb, als diese große Koalition 1930 zerbrochen wurde. Die beiden hauptverantwortlichen Parteien, die denn auch zu Recht am erbittertsten von Hitler und Hindenburg als „schwarz-rote Koalition“ diffamiert wurden, haben ein hohes Maß von Mitschuld am Sturz der Weimarer Republik.

Die Schuld der Sozialdemokraten ...

Nur einige Elemente dieser Schuld können hier kurz angedeutet werden: Die deutsche Sozialdemokratie brachte eine Reihe von sachgerechten, nicht aber machtgerechten Politikern hervor (Eschenburg bezieht dieses Wortspiel auf Brüning): gute, ja hervorragende Kommunalpolitiker, bestens geeignet als Oberbürgermeister. Die Führung der deutschen Sozialdemokratie ließ ihren linken Lungenflügel lähmen durch ihre Angst vor den Kommunisten und ihren rechten Lungenflügel lähmen durch ihre notorische Angst, als „Vaterlandsverräter“ gebrandmarkt zu werden. Diese deutsche Sozialdemokratie verzichtete früh auf den Willen zur Gesellschaftsreform, zur sozialpolitischen Aktivität großen Stils. Sie baute um so emsiger und enger zentralistische Parteiführungen auf, nicht zuletzt in Berlin den Wasserkopf einer Gewerkschaftsführung, die mit bedeutendem Erfolg sich die politisch aktiveren und dynamischen Gewerkschaften in den Ländern, vor allem in Sachsen, unterordnete. Die überaus rasche und relativ reibungslose Gleichschaltung der deutschen Gewerkschaften, die imstande gewesen wären, ein großes Menschenpotential in den Kampf gegen Hitler zu werfen, wurde vorbereitet durch die überspannte Zentralisierung und Bürokratisierung in Berlin.

Angst (natürlich überwiegend unbewußte Angst) vor dem eigenen Volk, vor den Massen, im Innern und außenpolitisch orientierungslos, ohne den echten Willen zur Machtverantwortung im Gesamtstaat, erlag eine bürokrati-sierte, in der Parteiführung von wenig entschlossenen Männern verwaltete Partei dem Zug der Ereignisse.

... und des Zentrums

Über die Mitschuld des Zentrums und der ihm nahestehenden Bayerischen Volkspartei ist mit Fug und Recht in den letzten Jahren im westdeutschen Katholizismus eine ansehnliche Auseinandersetzung entstanden. Drei Momente wenigstens müssen hier kurz anvisiert werden: Die Männer des Zentrums liebten die Republik nicht; die Partei unternahm keinerlei Bemühungen, das deutsche Volk zur Demokratie zu erziehen; wenn in der Weimarer Republik sowohl die Demokratisierung von oben (in den Führungsgruppen) wie von unten, in den Massen, ausfiel, dann hat auch das Zentrum hier eine Mitschuld an dieser Entwicklung. Dieser Tatsache entsprach genau die andere, nicht minder verhängnisvolle: Die Partei wurde immer mehr von einigen wenigen Führern vertreten und entwickelte ihrerseits ein Führerprinzip, das nicht weniger gefährlich wurde als das einiger ihrer Gegner. Franz von Papen versuchte früh, aus dieser Führeranfälligkeit des Zentrums für seine eigene ehrgeizige Politik Kapital zu schlagen. In die entscheidende Auseinandersetzung um Hitler und mit Hitler ging das Zentrum — die Vertretung von Millionen deutscher Katholiken — nur mit einem Kopf: mit dem des Prälaten Kaas, der sich nach erfolgter Überspielung durch Hitler nach Rom absetzte.

Brünings Tragik

Die unselige „Vorbereitung“ der Regierungsübernahme durch Papen und Hitler fiel dem Dr. Heinrich Brüning zu, der nach dem Bruch der großen Koalition Kanzler wurde: gestützt einzig auf das Vertrauen Hindenburgs, der es ihm ermöglichte, mit Hilfe des Artikels 48 der Reichsverfassung, gegen deren Sinn, mit Notverordnungen zu regieren. «

„Dieser bleiche, sorgfältig rasierte Mann mit den feinen Zügen, den man für einen katholischen Prälaten oder einen anglikanischen Priester hätte halten können und der mit etwas zagender Stimme sprach, aber klar und bestimmt, ohne jemals laut zu werden, flößte Vertrauen und Sympathie ein.“ So sieht Francois-Poncet als Botschafter Frankreichs in Berlin den Kanzler Brüning. Dieser sachkundigste Kanzler besaß jedoch keinerlei inneren Kontakt zum Volk und war durch einen Offizierskomplex unheilbar an Hindenburg gebunden; er konnte sich einfach nicht von diesem Mann trennen, der als falscher Vater des deutschen Volkes bereits seit 1918, zunächst mit Ludendorff, eine „Führer“-Stellung einnahm.

Gegen Hindenburg entfesselten die Nationalsozialisten 1932 eine wütende Polemik im Wahlkampf, wobei ihnen die Deutschnationalen Hugenbergs sekundierten. Dennoch war Hindenburg, wie er selbst schrieb, fest entschlossen, seine „Bemühungen um eine gesunde Entwicklung nach rechts nicht einzustellen“. Hindenburg ärgerte sich darüber, daß die „Schwarzen“ und „Roten“ ihn wählten: „Es wird in der Rechtspresse und in Versammlungen mit der Behauptung gegen mich Stimmung gemacht, ich hätte meine Kandidatur für die Wiederwahl aus den Händen der Linken oder einer schwarzroten Koalition entgegengenommen. Diese Behauptung ist eine glatte Lüge!“ „Mit allem Nachdruck aber werde ich mich dagegen wehren, daß ich der Wahrheit und besserem Wissen zuwider als Kandidat der Linken oder einer schwarz-roten Koalition dargestellt werde. Wenn freilich die SPD ihren Wählern empfähle, ebenfalls Hindenburg zu wählen, so kann ich das nicht verhindern...“

18,65 Millionen „Schwarze“ und „Rote“ wählten am 13. März 1932 Hindenburg; Hitler erhielt 11,33 Millionen, Düsterberg 2,56 Millionen.

Der Sieg kam unverhofft

Am 23. Dezember 1932 notierte Goebbels in seinem Tagebuch: „Dal Jahr 1932 war eine ewige Pechsträhne. Man muß es in Scherben schlagen. Draußen geht der Weihnachtsfrieden durch die Straßen. Ich sitze ganz allein zu Hause und grüble über so vieles nach. Die Vergangenheit war schwer, und die Zukunft ist dunkel und trüb; alle Aussichten und Hoffnungen vollends entschwunden.“

Dr. Joseph Goebbels hatte recht, so trüb die Vergangenheit und Zukunft zu betrachten: die Partei hatte sich übernommen; die Kassen waren leer; in schweren innerparteilichen Auseinandersetzungen hatte sich einer der gescheitesten Köpfe der NSDAP, Gregor Strasser, von der Partei getrennt.

Fünf Wochen später ist Hitler Reichskanzler.

Franz von Papen hat ihm die Macht in die Hände gespielt, unter geschickter Ausnutzung der dreifachen Angst des greisen Hindenburg: seiner Aversion gegen „Schwarze“ und „Rote“, seiner Angst vor einem „Verlust“ seiner Güter. Die ostelbische Junkerschaft, die sich um ihn sammelte, fürchtete den „Agrarbolschewismus“, nämlich die Aufdeckung der Skandale um die von ihnen verwirtschafteten Staatsgelder und eine Agrarreform der Regierung Brüning. Dazu kam die große Angst der Industrie: sie wurde durch Hitlers Versprechen, einen starken Staat zu schaffen und aufzurüsten, erstmalig durch sein Auftreten am 27. Jänner 1932 im Industrieklub in Düsseldorf „gewonnen“. Die Entscheidung fiel in der durch Franz von Papen arrangierten Zusammenkunft Hitlers im Hause des Bankiers Schröder in Köln am 4. Jänner 1933.

So kam Hitler vor 30 Jahren zur Macht: durchaus illegal im Realsinn des Wortes: Das haben deutsche Historiker der Gegenwart eindeutig aufgezeigt!

„Es waren durchaus unverantwortliche, außerverfassungsmäßige Exponenten politischer und wirtschaftspolitischer Bestrebungen und Illusionen, die Hitler die Macht in die Hände spielten. Die rechtmäßig politisch verantwortlichen Instanzen dagegen, vor allem die Parteien, der Reichstag und der Reichspräsident, ließen sich von diesen Vorgängen ausschalten oder irreführen. Der Geist dieses Regierungswechsels war dem Sinn der Verfassung gänzlich zuwider“ (Karl Dietrich Bracher, Bonn).

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