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Man kann Milliarden aus Brüssel herausholen

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diefurche; Meinungsumfragen weisen aufwachsenden Unmut über unsere EU-Mitgliedschaft hin. Was sollte man den Kritikern erwidern? alois mock: Da gibt es ein sozial-psychologisches Gesetz: Wenn man heiratet und sehr glücklich ist, so stellen sich alsbald die ersten Schwierigkeiten ein, Scherereien mit der Wohnung ... So bleibt zwar eine Begeisterung, aber anders als am Hochzeitstag. So ist das auch bei der EU-Frage. Die Österreicher bekennen sich zur EU, auch wenn sie derzeit Schwierigkeiten beklagen. Das beunruhigt mich nicht. Was mich beunruhigt ist, daß die Information nach der Abstimmung schlecht war. Sie hat über EU-Fragen praktisch aufgehört und sollte wieder aufgenommen werden. Die Unterbrechung war ein Fehler.

WKFllRCHE: Man hätte weiter informieren müssen?

mock: Die EU ist ein kompliziertes Gebilde. Da braucht es viel Information, um das Gefühl zu bekommen, dort Einfluß zu haben. Das dauert noch lange. Es war ein Fehler, daß wir mit der Information aufgehört haben. Weiters kommt noch dazu, daß die Entschädigung der Bauern nicht rechtzeitig geklappt hat. Da war genau festgelegt, was die EU, was Osterreich zahlt. Die Bundesländer haben aber mit dem Finanzminister gestritten und die Bauern haben warten müssen. Das hat mit der EU nichts zu tun. Ebenso die Abwertung der italienischen Lira. Sie hat Schwierigkeiten am wichtigsten Fleisch- und Viehmarkt gemacht. Aber: Wir haben heute Zugang zu diesem Markt. Und er kann in drei Jahren wieder interessant sein.

Man kann über ein solches historisches Unternehmen jetzt kein abschließendes Urteil abgeben, sondern erst nach zehn, 15 Jahren. Auch die Argumente der Gegner waren nicht zutreffend. Es wurde weder das Wasser der Alpen nach Spanien abgeleitet, noch kam der Goldschatz nach Frankfurt...

Sogar das Interesse an einer gemeinsamen Währung steigt. Wenn wir das Bisiko dauernder Abwertungen bei den Nachbarn vermeiden wollen, dann müssen wir dafür eintreten, daß die Währungsunion bei der Beform-konferenz 1996 beschlossen wird und daß die Kriterien dafür nicht verwässert werden.

dieFurche: Welche positive Effekte des Beitritts kann man schon jetzt erkennen?

mock: Daß mindestens 25.000 Arbeitsplätze in der Textilindustrie gesichert werden konnten. Ein Vorarlberger Unternehmer hat mir erst kürzlich gesagt, ohne EU wäre er heuer nach Deutschland übersiedelt. Das zweite ist, daß einige Preise gesunken sind, die Inflationsrate ist bei weitem nicht so stark, wie wir es erwartet haben. Leider sind die Betriebsmittelpreise für die Bauern nicht so gesunken, wie man gehofft hatte. Wir haben aber nie das Paradies versprochen. Ich bin trotzdem optimistisch.

diefurche: Vor der Abstimmung war von Beibehaltung der Neutralität die Rede. Jetzt scheint man sie stillschweigend unter den Tisch zu kehren... mock: Ich habe immer gesagt: Der Beitritt zur EU verlangt in keiner Weise den Verzicht auf die Neutralität. Das Neutralitätsgesetz bleibt wie es ist, vor allem der Kern der Neutralität: Keine Truppenstützpunkte, keine Teilnahme an klassichen Kriegen. Das gilt weiterhin. Sollte es einmal zu

einer Nato- oder WEU-Mitglied-schaft kommen, dann muß der Oster-reicher und das Parlament entscheiden, was besser für unsere Sicherheit ist. Glauben sie, daß wir unsere Sicherheit allein schützen sollen?

diefurche: Was mußten die Schwerpunkte einer solchen Werbe- oder Informationskampagne sein? mock: Zwei Themen: Was kann die EU geben, wenn man ihre Möglichkeiten in Anspruch nimmt? Wer sich gut bei den Gesetzesbestimmungen auskennt, kann sehr viel an Unter -stützngen herausholen. Wer sich in Brüssel gut auskennt, kann Milliarden dort herausholen. Ich habe den Landeshauptleuten immer wieder gesagt: Schickt zwei tüchtige Leute nach Brüssel, die Kontakt zu den entscheidenden Beamten halten. Da ist sehr viel drinnen. Da muß man sehr pragmatisch sein.. Zweitens sollten wir überhaupt sehr viele Beamte rausschicken ...

diefurche: Information vor allem also für jene, die Förderungsmitteln in Anspruch nehmen könnten? mock: Ja, junge Beamte hinaus. Sie sind in 20 Jahren einflußreich... Noch etwas: Österreich sollte sich in der Vermittlerrolle profilieren bei Themen, die uns nicht unmittelbar selbst betreffen, wie etwa bei Fischereistreitigkeiten. Damit kann man sich einen guten Buf erwerben und Sympathien für die Unterstützung eigener Anliegen gewinnen. Dafür müßte man Leute ausbilden. Wie gesagt, es gibt sehr viele Möglichkeiten...

dieFurche; Wie kann man die Bevölkerung im Inland wieder für eine Pro-EU- Stimmung gewinnen? mock: Man muß die positiven Seiten in den Vordergrund stellen. Auch darauf hinweisen, was zeitweise danebengehen kann. Am meisten fürchte ich mich davor, daß die Österreicher die Illusion haben, es gäbe Alternativen zur EU. In dieser Frage geht es nämlich vor allem auch um unsere Sicherheit. Irrt man sich da, so kann es zu spät sein

diefurche: Die Sicherheit halten Sie für einen zentralen Punkt? mock: Ja. Das ist existentiell. Ich war wirklich betroffen, als ich in einer Zuschrift der Katholischen Jugend las, der Präsenzdienst gehört abgeschafft. Wo bleibt da die Solidarität? Wir schauen zu, wie in Bosnien die Leute umgebracht werden. Das ist eine Schande. Wir sind aufgrund unseres Lebensstandards nicht bereit, vielleicht nicht mehr fähig, für unsere Überzeugung einzutreten, für Freiheit, Toleranz und Demokratie Opfer zu bringen. Das ist gefährlich. Ich bin für die Steigerung des Lebensstandards, aber wenn das Ethos nicht mitkommt, dann findet eine Umkehr zum Negativen statt. Die Moral muß vorausgehen, dann wird das andere normalerweise auch positiv.

diefurche: Überrascht Sie die negative Stimmung heute?

mock: Ich glaube es wird noch schwieriger werden im Zuge. Die Zustimmung in der Bevölkerung wird noch sinken, wenn es zu den Verhandlung 1996 kommt. Es herrscht wenig Bereitschaft, Brüssel weitere Souveränitätsrechte zu geben. Erweiterung ja, wird es heißen, aber Vertiefung nein. Da könnte es zur Blockade bei den Verhandlungen kommen. Vielleicht ist ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten der Ausweg. Auch andere Sachen können passieren: Die Gefahr aus dem Osten ist nicht mehr so sichtbar wie nach 1945. Die Erinnerungen an den Wahnsinn des Zweiten Weltkriegs verblassen. Vielleicht wird man sich wieder Nationalismus leisten. Dann könnte man meinen, wir brauchen die EU nicht und es könnte dieses Werk zerfallen. Ich persönlich denke, der Prozeß ist noch nicht unumkehrbar. Dann könnte es in Europa wieder furchtbare Katastrophen geben...

Wir dürfen nicht vergessen: Europa hat ein politisches Ziel. Zum ersten Mal in der Geschichte besteht die Hoffnung, ja die Möglichkeit, daß die Geißel des nationalen Krieges endgültig verschwindet.

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