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Man schrieb Oktober 3 8

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Am 7. September 1938 hatten die österreichischen Bischöfe beschlossen, die seit Juni mit Partei und Staat ergebnislos geführten Verhandlungen über eine vertragliche Abgrenzung der beiderseitigen Rechte, also über einen „Modus vivendi“, abzubrechen. Die Taktik Gauleiter Bürckels und seiner Bevollmächtigten, die Bischöfe mit leeren Versprechungen hinzuhalten und unterdessen katholische Schulen und Knabönseminare zu schließen, kirchliches Vermögen zu beschlagnahmen und die Rechte der Kirche fortlaufend einzuschränken und zu verletzen, war zu deutlich erkennbar geworden, um nicht auch die Langmut und Geduld des Episkopats zu erschöpfen. Rom bestätigte die Kenntnisnahme vom Abbruch der Verhandlungen am 17. September. Am 28. September erklärte Gauleiter Bürckel seinerseits die Diskussion für beendet, was der am selben Tag in Wien versammelten Bischofskonferenz mitgeteilt wurde. Die Appeasementphase mit der Hoffnung auf einen Modus vivendi gehörte der Vergangenheit an.

Der Wiener Kardinal Innitzer hatte daher bereits am 11. September in Kirchschlag eine Predigt über den Kreuzweg der Kirche und der Christen „in unserer Zeit" gehalten. Es habe den Anschein, als ob eine Zeit der Verfolgung, die immer das Zeichen der wahren Kirche wäre, schon da sei. Die Gläubigen müßten aber ausharren und standhaft bleiben, selbst wenn noch schwerere Zeiten kommen sollten. Diese brachen nur allzubald an: Die Katholische Jugend Wiens hatte für das Rosenkranzfest am Herz-Jesu- Freitag, dem 7. Oktober 1938, zu einer Abendandacht im Stephansdom eingeladen, die zugleich auch eine Treuekundgebung zur Kirche sein sollte. Ungefähr 7000 Wiener Katholiken im Alter von 14 bis 30 Jahren folgten dieser Einladung, von deren Initiatoren hier nur der Jugendseelsorger Doktor Martin Stur und der Jugendführer Anton Burghardt genannt sein sollen.

Der Kardinal ergreift das Wort

Die Andacht begann am Freitagabend programmgemäß um 20 Uhr. Die Predigt hielt, wie angekündigt, der Jugendseelsorger Dr. Stur. Nach dem Gebet zur Myttergottes und einer Rosenkranzandacht ergriff Kardinal Innitzer spontan und tief bewegt das Wort zu einer kurzen Ansprache. Nach seinem herzlichen Dank für die so zahlreiche Teilnahme und das Bekenntnis zum Glauben, der Ehre und Stärke der Gläubigen sei, fuhr er wörtlich fort:

„Liebe katholische fugend! Ihr habt in den letzten Monaten viel verloren; eure Verbände, eure Jugendgemeinschaften, die ihr mit einem so schönen Idealismus aufgebaut hattet, sind nicht mehr da.

Eure Fahnen — ihr dürft sie nicht mehr tragen. Ihr habt aber auch etwas gewonnen, was noch mehr wert ist, als was ihr jetzt verloren habt und was all das überdauern kann und muß, etwas, was wir alle eigentlich selbst gleichsam neu entdeckt haben: Das ist unsere Pfarre, das ist die Gemeinschaft, die wir haben als Katholiken in der kleinen Gemeinschaft der Pfarre und in der größeren der Kirche, unsere Gemeinschaft der Kinder Gottes — und wenn man uns das eine nimmt, dann greifen wir auf das andere zurück, und wir lassen uns nicht entmutigen. Das erste, meine Hebe katholische Jugend: Steht treu zu eurer Pfarre, eurem Pfarrer und allen seinen Mitarbeitern, den Pfarrseel- sorgern, und lebt mit ihnen in einer lebendigen Pfarrgemeinde, und laßt euch durch gar nichts beirren. Diese sind eure guten Freunde, und sie beten und opfern mit euch und führen euch, sie wollen euch Kraft und Führer sein zum wahren christlichen Leben. Diese Gemeinschaft müssen wir finden. Meine liebe katholische Jugend Wiens! Wir wollen gerade jetzt in dieser Zeit um so fester und standhafter unseren Glauben bekennen und uns zu Christus bekennen, unserem Führer und Meister, unserem König, und zu Seiner Kirche. Ich weiß, das ist nicht so leicht, das verlangt viel von euch. Nicht wahr, ihr gebt ihn nicht her?!“

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