6719462-1965_06_03.jpg
Digital In Arbeit

Manches kam anders

Werbung
Werbung
Werbung

Die alte Gewißheit des Sozialismus, die Gesellschaft benötige nichts anderes als einen institutionellen Wandel hin zum Gemeineigentum, ist durch die gesellschaftliche und ökonomische Wirklichkeit unserer Tage auch für den Sozialismus ernsthaft in Frage gestellt. Die wirtschaftliche Steuerungstechnik ist nicht unmittelbar von der Verfü-gungsmaoht über das Eigentum an Produktionsmitteln abhängig, Totalplanung einer entwickelten Industriewirtschaft wahrscheinlich nur unter weitgehendem politischem Freiheitsverlust, verbunden mit Wohlstandsminderung möglich. Die schrankenlose wirtschaftliche Willkür, legitimiert durch den Besitz des Eigentums an Produktionsmitteln, ist auf institutionalisiertem Wege zähmbar geworden. Das wäre Grund genug, manch alte ideologische Fahne einzuziehen.

Aber auch auf der anderen Seite hemmen die gleichen alten ideologischen Ressentiments, nur ist der Strauß von Meinungen und Ansichten bunter: vom Nein zur Verstaatlichung bis zum Personalismus des „Wiener Programms, des ÖAAB, der Mißbräuche und schrankenlose Ausnützung der Eigentümerposition gegenüber dem Nichteigentümer verhindern will, wenn es sein muß auch durch Verstaatlichung. „Wenn wir die Verstaatlichung aller Produktionsmittel als Lösungsversuch der Streitfragen zwischen Kapital und Arbeit ablehnen, so heißt das nicht, daß wir gegen jede Verstaatlichung sind...

... Wir sind der Ansicht, daß solche Fragen nach dem Grundsatz der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit von Fall zu Fall fachlich zu lösen sind.“ Wer sich so freigespielt hat, hat alle Chancen, erfolgreiche politische Alternativen anzubieten.

Gegenstand des permanenten politischen Verhandeins ist ein Industriekomplex, der für die österreichische Wirtschaft von wesentlicher Bedeutung ist. Zu ihm gehören Unternehmungen der Eisen- und Stahlindustrie, der Elektroindustrie, des Maschinen- und Schiffsbaues, der Chemie, der Verkehrswirtschaft, des Bergbaues, Erdölfirmen. Unternehmungen mit insgesamt mehr als 130.000 Beschäftigten, einem Grund-(Stamm)-kapital von ungefähr 6,3 Milliarden Schilling, ausgewiesenen Reserven von rund 7,4 Milliarden Schilling, einem Jahresumsatz von mehr als 25 Milliarden Schilling. Es ist eine gemischte Industriegruppe mit den deutlichen Schwerpunkten: Eisen und Stahl und Erdöl, mit unterschiedlichen Wachstumschancen, mit starken Unternehmungen und mit schwachen. Das Management der einzelnen Firmen, die alle Kapitalgesellschaften sind, ist, verglichen mit dem Management von Töchtern internationaler Konzerne, freizügig in der Geschäftsführung; vielfach nicht zum Nachteil der Unternehmungen. Für österreichische Verhältnisse eine gewaltige Industriegruppe, auch International gesehen, ist sie beachtlich, aber keineswegs gigantisch. Mit Ausnahme des Eisen- und Stahlbereiches handelt es sich durchweg um“,an internationalen Maßstäben gemessen, höchstens mittelgroße Firmen.

Der rasche technische Fortschritt, die ebenso rasch voranschreitende Konzentration, moderne Techniken der Betriebsführung, scharfe internationale Konkurrenz auf den Exportmärkten, die Finanzkraft internationaler Konzerne, würden mit unerbittlicher Zwangsläufigkeit auch der österreichischen verstaatlichten Industrie vorschreiben, das gleiche zu tun, was im westlichen Ausland seit langem geschieht. Zu einem guten Teil wird der wirtschaftliche Fortschritt von den großen Industrien getragen; langfristige Investi-tionspläne, koordinierte Forschung, enge internationale Zusammenarbeit und Aufnahme neuer chancenreicher Produktionen. Die Dynamik der Philosophie des permanenten Wirtschaftswachstums spiegelt sich in der Industrie wider. Wer nicht mithalten kann, wird unterliegen.

Außerordentlich große Sachkenntnis, technisches Know-How, eine immer ausgeklügeltere Führungsund Planungstechnik sind unentbehrlich geworden. Die großen Unternehmungen leisten häufig Pionierarbeit. Hohe Investitionen, die nur der Konzern finanzieren kann oder die nur durch Riskengemeinschaft des Konzerns finanziert werden können, müssen ständig durchgeführt werden. Gewaltige Forschungs- und Entwicklungsausgaben, deren Erfolg unsicher ist und die Antriebskräfte der rndustriewirtschaft sind nötig. Österreich liegt nicht an der Spitze de* Industrienationen, > es liegt im letzten Drittel, so daß die Devise nur lauten kann: aufholen, nicht zurückfallen.

Diese Fragen sollten Gegenstand der politischen Verhandlungen sein: wie können die Unternehmungen gestärkt, wie die Voraussetzungen für eine weitere Expansion geschaffen werden? Das ist keine Sache einer Partei, einer Gruppe, oder gar einer Ideologie, das ist eine Sache Österreichs, ein nationales Anliegen, kein parteipolitisches. Für Österreich ist die Organisation der „Verstaatlichten“ ein staatspolitisches Problem erster Ordnung, eine staatsmännische Aufgabe. Die Vergangenheit muß nicht bewältigt, sondern überwunden werden.

Gibt es gegen solche Überlegungen Widerstände aus Kurzsichtigkeit, ideologischen Vorbehalten, dann ist es Aufgabe des Politikers, diese Widerstände zu überwinden. Kapital ist dort zu beschaffen, wo es am vernünftigsten zu bekommen ist. Zu Investieren ist dort, wo die günstigsten Zukunftschancen zu liegen scheinen. Jede Verzögerung belastet die österreichische, die verstaatlichte Industrie ebenso wie die private, belastet den Unternehmer ebenso wie den Arbeitnehmer, den Beamten, Pensionisten und Bauern.

1965 ist nicht 1919, Mentalreservationen, Hypotheken der Vergangenheit sind keine solide Verhandlungsunterlage. Wir sind nicht genügend reich, um uns solchen Luxus leisten zu können.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung