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Mann im Zwielicht

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Die Schwierigkeit, sich in unserer Zeit über weltpolitische und weltanschauliche Vorgänge oft ersten Ranges ein klares Bild zu machen, wird noch erhöht durch die Tatsache, daß es oft fast unmöglich erscheint, über die Hauptakteure, die „Männer, die Geschichte machen", ein Urteil zu gewinnen, das objektiv ist und zugleich der ganzen Schwere der Verantwortung, die jene auf sich nahmen, gerecht wird. Eine der umstrittensten Persönlichkeiten der deutschen Geschichte zwischen den beiden Weltkriegen ist Franz von Papen. Lm Kreis der Stimmen, die heute über ihn laut werden, verdient ein Leitaufsatz im „Vaterland", dem hochangesehenen. „Konservativen Zentralorgan für die deutschsprachige Schweiz“, vom 19. August 1952 Beachtung: wir geben ihn hier wieder, als ein Beispiel dafür, wie ernst dicht jenseits der Grenzen des Raumes, in dem dieser große Spieler wirkte, die Verantwortung gerade der führenden Repräsentanten des mitteleuropäischen Konservativismus empfunden wird. Ohne uns mit diesem Aufsatz zu identifizieren, glauben wir ihn doch unseren Lesern nicht vorenthalten zu dürfen: als ein Exempel, das nachdenklich stimmen muß, und das uns alle angeht, deren Schicksal in den politischen Entscheidungen Mitteleuropas mitent6chieden wird.

„Die österreichische Furche

Der ehemalige deutsche Reichskanzler in der Zeit zwischen der Weimarer Republik und der Diktaturherrschaft Hitlers, Vizekanzler unter Hitler und nachher dessen Botschafter in Wien und Ankara, v. Papen, hat in London seine Lebenserinnerungen herausgegeben. Der englische Band ist für die weiteste Öffentlichkeit bestimmt; die deutsche Ausgabe, die im Herbst dieses Jahres im Paul-List-Verlag, München, erscheinen wird, wird durch eine breitere Darstellung der Vor-Hitler- Zeit ergänzt werden. Soweit deutsche Auszüge aus der englischen Ausgabe bekannt wurden, enthalten diese Lebenserinnerungen wenig Neues, Wirklich neu sind die Angaben v. Papens, daß er im Auftrag der Männer vom 20. Juli versucht habe, mit Präsident Roosevelt in Verbindung zu treten, um die Haltung der Westmächte im Hinblick auf einen Putsch gegen Hitler zu sondieren. Die Anfrage sei aber ohne Antwort geblieben. Neu ist auch die Erwähnung, daß ihm von amerikanischen Stellen während seiner Inhaftierung in Nürnberg Giftpillen vermittelt worden seien. Diese Tatsache wirft auch neues Licht auf den Selbstmord Görings unmittelbar vor der Hinrichtung der Kriegsverbrecher in Nürnberg. Vielleicht sind auch Göring bewußt Giftpillen zugespielt worden.

Im übrigen sind die Memoiren v. Papens selbstverständlich ein Rechtfertigungsversuch des Autors für seine politische Haltung in der Zeit nach Ende des ersten Weltkrieges bis zu seiner Verhaftung unmittelbar vor der deutschen Kapitulation im Jahre 1945. Einer der wohlwollendsten englischen Kritiker dieser Memoiren, der frühere englische Diplomat Harold N i c o 1 s o n, billigt v. Papen den guten Glauben zu, das Gute gewollt zu haben, daß er glaubte, stark und klug genug zu sein, um Schlechtigkeit in Gutes verwandeln zu können. Aber er war nicht so schlau wie Hitler und nicht so raffiniert wie Göring und Goebbels, v. Papen rechtfertigt seine Zusammenarbeit mit Hitler als einen Versuch, die radikalen Elemente der nationalsozialistischen Bewegung zu neutralisieren. Mit welchem Erfolge ist bekannt. v. Papen spricht von den „abscheulichen Ereignissen des 30. Juni“, aber nicht davon, daß er damals darum bat, „Hitlers Hand in Dankbarkeit für diese Ereignisse schütteln zu dürfen", und dafür ausgezeich-

Das Katholikentag-Sonderpostamt der Internationalen Briefmarkenausstellung „Diechrist- liche Welt im Markenbild im Ausstellungssaal der österreichischen Staatsdruckerei, Wien I, Wollzeile 27 a, verwendet einen Sonderpoststempel, der ein Kreuz neben einer Erdkugel mit entsprechendem Text und Datum zeigt net wurde, neben Hitler photographiert zu werden, obwohl die Maschinenpistole für ihn bereits geladen war. Dafür wurden die engsten Mitarbeiter v. Papens, Edgar Jung, von Bose, Dr. Klausener, abgeknallt. Diese Männer sind in den Memoiren v. Papens entweder überhaupt nicht oder nur so nebenbei erwähnt. Nur dem „engsten Freund“ von Ketteler, der drei Jahre nach dem 30. Juni „liquidiert“ aus der Donau gezogen wurde, sind einige wenige Worte gewidmet. Dafür wird Hindenburg, von dem er nach seinem Rüdetritt als Reichskanzler sein Bild mit der eigenhändigen Widmung „Ich hatt' einen Kameraden“ als Andenken erhielt, als der große Schuldige an der verhängnisvollen Entwicklung zum Nazi- regime hin dargestellt, Man mag Hindenburg beurteilen, wie man will, die Darstellung v. Papens läßt doch jedes Gefühl füt den „guten Kameraden" vermissen. Aber nicht sosehr das, was der Verfasser Sagt, ist interessant, sondern, was er nicht sagt, und er sagt nichts oder nur sehr wenig von dem, was an Verhängnisvollem und Katastrophalem seiner Politik anhaftete. Man weiß von Herrn v. Papen nun doch zu viel, als daß durch das Ver schweigen in seinen Memoiren von diesem „Zuviel" Abstriche gemacht werden könnten.

Bei allen positiven Qualitäten, die Herr v. Papen zweifellos aufzuweisen hat, war er doch eine der verhängnisvollsten Figuren der unmittelbaren Vor-Nazi-Zeit, vor allem der Nazi-Zeit selber. Er war der Beinahe-Staatsmann, zum ganzen Staatsmann fehlte ihm aber die Hauptsache, Charakter. Wo er nach außen noch Charakter zeigte, bekam er sofort Angst vor sich selber, bekam er Angst vor dem Charakter. Er zeigte in vieler Hinsicht Klugheit und Mut, aber er war auch hier nur beinahe klug und beinahe mutig und nahm im entscheidenden Momente Klugheit und Mut wieder zurück. Klugheit wurde von ihm in Intrigantentum umgefälscht, Mut in substanzlose Verwegenheit. Der alte Herrenreiter und Derbybesucher wettete immer auf mehrere Pferde, am liebsten auf Durchbrenner. Der Start seiner politischen Ritte begann meistens verheißungsvoll, aber im entscheidenden Momente scheute der Gaul oder der Reiter. Er war Moralist mit ma- chiavellistischen Allüren oder Machiavel- list mit moralischen Allüren. Er war auch hier beinahe Moralist und beinahe Machia- vellist. Er war klug genug, um die deutsche Katastrophe, die von Hitler heraufbeschworen wurde, vorauszusehen, und er begann den Wettlauf mit dieser Katastrophe. Er war verwegen genug, mit dem Gift von Verfasisungsbrüchen das Gift des Nationalsozialismus unwirksam machen zu wollen, das nationalsozialistische Gift aber war wirkungsvoller. Er glaubte, die nationalsozialistische Korruption lenken und den Teufel am Nasenring führen zu können. Aber man kann den Teufel nicht lenken, sondern ihm nur gehorchen oder widerstehen, v. Papen gehorchte beinahe und widerstand beinahe. Er war kein Teufel, aber beinahe.

v. Papen hatte konstruktive Ideen, namentlich in wirtschaftspolitischer Hinsicht. Das Wirtschaftsprogramm seiner Kanzlerzeit darf sich sehen lassen, aber der Mann hinter diesem Programm genoß wegen seiner charakterlichen Haltung kein Vertrauen. In seinen Memoiren greift er B r tini n g heftig an, weil er keine ausschließliche Rechtspolitik betrieb. Aber heute weiß doch jedes politische Kind, daß die extreme Rechte zu jener Zeit mit dem unglückseligen Hugenbergan der Spitze ein unmöglicher Koalitionspartner war. Seine Seelenverwandtschaft mit Hugen- berg übte aber eine seltsame Anziehungskraft auf v. Papen aus, der aber glaubte, Hugenberg überspielen zu können, v. Papen wollte mit seiner Konkordatspolitik den Frieden zwischen der Kirche und dem neuen Staate herstellen, aber er war zu schwach, um zu verhindern, daß das Konkordat zu einem bloßen Instrument der Fesselung der deutschen Katholiken wurde. Statt in die Freiheit, führte er die Katholiken ins Ghetto.

Am raschesten hatten ihn seine ehemaligen politischen Freunde der Zentrumspartei erkannt, die ihn aus ihrer parlamentarischen Fraktion ausschlossen. Daher auch die Rache an seinem erbittertsten Gegner in der Fraktion, an Brüning in den Memoiren v. Papens. Die ganze demokratische Entwicklung in Deutschland war ihm in der Seele zuwider, und er hat mit seiner Totengräberarbeit an der Demokratie wie kein zweiter dem Nationalsozialismus zum Siege verholten. Jede beinahe mutige Tat wurde unter seiner Hand zu einer Tragödie für andere. Das war der Fall nach seiner Münster Rede im Jahre 1932, war vor allem der Fall nach seiner Marburger Rede 1934, die seinen engsten Mitarbeitern das Leben kostete. Daß er selber haarscharf am Tode vorbeiging, verdankte er nur seiner Charakterlosigkeit, die für

Hitler wertvoll genug war, um sie für seine politischen Zwecke auszunutzen. Er war von einer ungeheuren ehrgeizigen Unruhe getrieben, die , ihn ständig zur Flucht vor sich selber trieb. Er kannte keine Treue als die Treue zu seiner Charakterlosigkeit, die beinahe eine Art von Größe aufweist, wenn für dieses Wort überhaupt der Ausdruck „Größe“ angewandt werden kann.

v. Papen wurde in Nürnberg von der Schuld des Kriegsverbrechens freigesprochen, wohl mit Recht. Das spricht ihn aber nicht frei vor der Geschichte, der letzten und höchsten Instanz in der Beurteilung geschichtlicher Persönlichkeiten, v. Papens politische Haltung kann ganz gewiß nicht unter einen Tatbestand des Strafrechtes gestellt werden. Auf das, was er getan hat, kann aber das schlimme Wort angewandt werden, das abwechslungsweise Talley- rand und Fouchė zugeschrieben wird: plus qu'un crime — une betise.

Daß sich v. Pajpen erneut der Öffentlichkeit stellt, zeigt nur, daß er auch nach dem Fallen des Vorhanges über seine politische Tätigkeit nicht Fingerspitzengefühl genug besitzt, um, zu wissen, daß seine Rechtfertigungsschrift nur aufzeigt, wie ungerechtfertigt seine politische Tätigkeit war. Wenn seine Lebenserinnerungen ihn als einen Mann mit weißer Weste erweisen, dann wird auch der wohlwollendste Leser nur eine mit allen Wassern gewaschene weiße Weste sehen.

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