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Mao und Moskau

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Unter den an Rätseln reichen Geschehnissen in China ist vielleicht das am meisten rätselhafte Maos erbitterter Kampf gegen die Sowjetunion. Daß Mao versucht, den von bürokratischer Erstarrung und Verbürgerlichung bedrohten Parteiapparat mit neuem revolutionärem Elan zu beseelen, kann man von Maos Grundprinzip der permanenten Revolution her verstehen. Aber bekanntlich deutet manches darauf hin, daß die große proletarische Kulturrevolution nicht eine ausschließlich innenpolitische Angelegenheit, sondern wesentlich auch aus Furcht vor einer amerikanischen Invasion inszeniert worden ist. Doch wenn eines der Motive dieser Kulturrevolution tatsächlich der Wille ist, im Hinblick auf eine mögliche militärische Auseinandersetzung mit Amerika, das ganze Land revolutionär „anzuheizen“ und in eine einzige Partisaneneinheit zu verwandeln — warum in aller Welt ist daran Mao so sehr darauf versessen, jetzt schon eine Art zweiter Front zu eröffnen und die Auseinandersetzung mit der Sowjetunion bis zum Bruch zu treiben?

Diese Frage erscheint als um so berechtigter, als Mao sich in den dreißiger Jahren in einer ähnlichen Situation ganz anders verhalten hat. Im Jahre 1937 bezeichnete er es als eine Hauptaufgabe der Kommunistischen Partei Chinas, im Widerstand gegen Japan „sich mit der Sowjetunion zu verbünden, die immer ein treuer Freund des chinesischen Volkes gewesen ist“. Ja, angesichts der japanischen Invasion ging Mao sogar noch viel weiter: er forderte die chinesischen Kommunisten auf, „sich um eines gemeinsamen Kampfes gegen den japanischen Imperialismus willen mit den imperialistischen Mächten zu verbünden, die augenblicklich den Frieden zw erhalten wünschen“.

Würde sich nun Mao heute ebenso verhalten wie damals im Kriege gegen Japan, dann müßte er größten Wert darauf legen, die Sowjetunion als Verbündeten zu gewinnen und über die Sowjetunion hinaus auch noch alle diejenigen nichtkonnnuni-stischen Länder, von denen er annehmen kann, daß sie an der Erhaltung des Friedens interessiert sind. In Tat und Wahrheit tut Mao aber gerade das Gegenteil. Während er früher die Kommunisten beschwor, sich nicht sämtlichen imperialistischen Mächten gleichzeitig entgegen-zustellen, scheint er heute geradezu versessen darauf zu sein, sich die ganze Welt zum Feinde zu machen.

Eine erste Antwort auf die Frage, was Mao zu diesem schwer verständlichen Verhalten veranlaßt, müßte wohl lauten: 1967 ist nicht 1937, damals stand China noch vor der bürgerlichen Revolution, während es heute bereits die sozialistische Revolution hinter sich hat. Damals waren die Kommunisten eine Minderheit, heute sind sie die unbeschränkten Herrscher Chinas. Sie brauchen also keinerlei Rücksicht mehr zu nehmen auf andere Kräfte im Lande

Aber diese Antwort löst das Rätsel des Verhaltens Maos der Sowjetunion gegenüber noch nicht. Eher zu überzeugen vermag die Überlegung, daß in der Sowjetunion eben jene Art von als „erstarrt“ bezeichneten Parteiapparat am Ruder ist, den Mao mit seiner Kulturrevolution im eigenen Lande beseitigen oder zumindest revolutionieren zu können hofft. Aber auch dies kann nicht der Hauptgrund sein, war doch Mao vor 30 Jahren durchaus bereit, sogar mit imperialistischen bürgerlichen Mächten zusammen zu arbeiten.

Soweit sich überhaupt eine rationale Erklärung für das Verhalten Maos der Sowjetunion gegenüber finden läßt, muß sie wohl in Maos Revolutionsstrategie gesucht werden. Was man gemeinhin „Maoiamus“ nennt, ist letztlich nichts anderes als eine Verbindung von Marxismus-Leninismus und altchinesischer Bauernrevolution. Die Rolle, die im Marxismus dem Proletariat zugesprochen wird, haben im Maoismus die Bauern zu übernehmen. Gleichzeitig hat Mao bekanntlich eine eigene Taktik und Strategie des Guerillakrieges entwickelt. Im Verlaufe der chinesischen Revolution ist Mao wegen all dieser Eigenheiten von der Partei immer wieder heftig kritisiert worden, und man warf ihm zum Teil sogar „Rechtsopportunie-mus“ vor. Aber der Verlauf der Revolution hat Mao auf eine so eindeutige Weise recht gegeben, daß man verstehen kann, wieso der nun alt gewordene Revolutionär dieser seiner einzigartigen Lebenserfahrung treu bleiben will.

Was Mao heute tut, ist der Versuch, seine in der chinesischen Revolution gemachten Erfahrunigen auf die Weltrevolution anzuwenden. Da die chinesische Revolution eine Bauernrevolution war, soll auch die Weltrevolution eine Bauernrevolution werden, und zwar soll diese Bauernrevolution in Form einer „Einkreisung der Stadt durch das Land“ erfolgen. Dabei zählt Mao alle entwickelten Industriestaaten — und damit eben auch die Sowjetunion und Osteuropa — zur „Stadt“, die durch das „Land“ der Entwicklungsländer eingekreist und revolutioniert werden soll. So gesehen kann man sein Verhalten der Sowjetunion gegenüber nur als einen Versuch erklären, die Welt endgültig in „Stadt“ und „Land“ aufzuteilen. Das Gefährliche an dieser Theorie der Weltrevolution ist, daß sie in einen planetaren Rassismus münden soll: Die „Stadt“ wird durch weiße, das „Land“ durch farbige Völker bewohnt. In den Schriften Maos deutet nichts darauf hin, daß er Anhänger irgendeiner Rassentheorie wäre, aber die Zweiteilung der Welt nach Rassen ergibt sich automatisch als Konsequenz seiner Weltrevolutionstheorie. Maos Hoffnung ist es offenbar, eines Tages alle Bauern der Welt, also die Entwicklungsländer, für den großen revolutionären Kampf des „Landes“ gegen die „Stadt“ gewinnen zu können,

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