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Maria Theresia und die Akademie der Wissenschaften

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Die große Reform der Wiener Universität, die Maria Theresias Leibarzt Gerhard van Swieten im Auftrage der Kaiserin in den Jahren 1749 bis 1752 durchführte, bleibt für immer eines der denkwürdigsten Ereignisse in der Geistesgeschichte Österreichs. Gegner der Jesuiten, aber selbst überzeugter Christ und Katholik, hatte der schon in jungen Jahren als Arzt bedeutende Holländer seine Heimat verlassen, um in Österreich sein Lebensglück zu finden. Die Neuordnung der Hochschule, ein Markstein für die Entwicklung der medizinischen und der Rechtswissenschaft, erwies sich als Ganzes auf die Dauer doch nur als halber Erfolg. Der bereits spürbare Geist des Josephinismus und der Versuch, das ganze geistige Leben unter die Leitung des Staates zu stellen, ein Streben, dessen Wirkungen noch unser Jahrhundert in seinen Folgen schmerzlich zu spüren bekam, machte jede Lehr- und Lernfreiheit illusorisch und stempelte auch die Hochschule zu einer durch pedantische Regeln geleiteten Vorbereitung für gewisse im Staatsleben notwendig Berufe.

Es ist daher durcHaus verständlich, wenn genau zur gleichen Zeit der Ruf nach einer wissenschaftlichen Akademie, einer Vereinigung der führenden Gelehrten, einer Pflegestätte des reinen Strebens nach freier Erforschung der Wahrheit immer stärker wurde. Kein Geringerer als Leibniz hatte im Gedankenaustausch mit Prinz Eugen diesen Plan lebhaft erörtert, der auch nach seinem ersten Scheitern nie wieder ganz zur Ruhe gekommen war. Angeregt durch einen Besuch Gottscheds in Wien, erteilte Graf Haugwitz dem Freiherrn Joseph von Pe-trasch den Auftrag, den Plan für eine österreichische Akademie der Wissenschaften auszuarbeiten.

Die Wahl fiel auf keinen Unwürdigen. Dieser Sproß des österreichischen Militäradels, 1714 in Brod geboren, hatte durch Jesuiten und Offiziere eine ausgezeichnete wissenschaftliche Ausbildung erhalten. Nach dem Besuche mehrerer Universitäten hatte er alle Länder zwischen Schottland und Griechenland durch Reisen kennengelernt und war auf Grund seiner schöngeistigen, dichterischen und sprachwissenschaftlichen Werke selbst Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Gesellschaften geworden. Schließlich ließ er sich in Olmiitz nieder. -

Sein im Jänner 1750 Haugwitz überreichter Entwurf ist eines der kulturgeschichtlich interessantesten Dokumente der Zeit.

Petrasch gab zuerst einen Oberblick über die bereits bestehenden Gründungen. Die Vorgänger in Italien, Frankreich und England hatten meist einen eng umschriebenen Aufgabenkreis, wie die Ausgrabung und Bearbeitung römischer Altertümer, die Pflege der französischen Sprache, oder — wie bei der Royal Society — die Erforschung mathematisch-physikalischer Probleme. Die im 18. Jahrhundert gegründeten Institute, die Akademien von Sdiweden, Pvußland, Preußen und Sachsen, dagegen verglich er mit Universitäten, die, anstatt der einzelnen Fakultäten, aus mehreren Klassen aufgebaut seien. Schließlich gab er doch der Akademie mit zwei Klassen — sowie sie hundert Jahre später in Österreich dann auch verwirklicht wurde —: den Vorzug. Petraschs Plan, dessen Original •.ich heute noch im Unterrichtsarchiv befindet, läßt an Vielseitigkeit, an Gründlichkeit und an Umfang der aufgeworfenen und behandelten Probleme nichts zu wünschen übrig. Petrasch war einer der wenigen Geister des theresianischen Österreichs, die aus einem stark traditionell betonten Kulturbewußtsein und aus kirchentreuer Haltung diesen damals ganz modernen Weg einer Reorganisation des wissenschaftlichen Lebens vorgeschlagen haben — einer der vielen halb vergessenen bedeutenden Männer der Geschichte Österreichs.

Trotzdem wanderte der Entwurf zu den Akten, da Maria Theresias Interesse durch die Reformen an der Universität sowie die 1753 gegründete Orientalische Akademie abgelenkt war. Die Idee einer wissenschaftlichen Akademie scheiterte abermals im Mai 1771, da eine Kabinettsakt des Staatsrates erklärte, die Gründung müsse auf bessere Zeiten verschoben werden. Wieder einige Jahre später erklärte die Kaiserin, mit einem Chemieprofessor und drei Ex-jesuiten könne man keine Akademie gründen. Schließlich entschied 1776 ein Protokoll der Studienhofkommission, „daß es mit Errichtung einer Akademie der Wissenschaften zu Wien dermalen noch auf sich zu beruhen habe“. Dann wurde es für längere Zeit in dieser Angelegenheit still.

Der Plan einer Akademie hatte einen großen Förderer in der Person des Staatskanzlers Fürsten Kaunitz *. An der Universität in Leipzig herangebildet und nach längerer Tätigkeit im Reichshofrat auf diplomatischem Posten in Florenz und Rom sowie in Turin, Brüssel und Paris hatte sich der hochbegabte Mann mit dem Geiste der französischen Aufklärung bekanntgemacht und war von ihr gewonnen worden. Aus Familientradition und wohl auch, weil es dem Dienste am Hofe Maria Theresias entsprach, hielt er am Katholizismus fest, aber seine Neigung gehörte der zeitgenössischen französischen Literatur und den Ideen Voltaires, der in einem Aufsatz die Akademien mit den Universitäten verglichen und sie das reife Alter gegenüber der Kindheit, “die Kunst der vollendeten Rede gegenüber der Elementargrammatik, die vollkommene Umgangsform gegenüber den ersten Sdiritten der Zivilisation genannt hatte.

Unter dem Einflüsse dieser Anschauung erstrebte Kaunitz für Künste und Wissenschaften staatliche Förderung, verlangte aber innerhalb ihres Wirkungskreises möglichst freie Entfaltung. Wenn der spätere Liberalismus Kaiser Joseph II. als seinen Ahnherrn gefeiert hat, so darf Kaunitz — in rein geistiger, nicht in politischer Hinsicht — dieses Verdienst in viel höherem Grade für sich in Anspruch nehmen.

Bei der Verfolgung seiner Akademiepläne hatte Kaunitz das Ziel im Auge, der Universität, die van Swieten, damals auch Leiter der staatlichen Zensur, reorganisiert hatte, eine wahrhaft freie Stätte wissenschaftlicher Forschung gegenüberzustellen. Die 1772 gegründete Kunstschule, deren Protektor Kaunitz wurde, hatte er ursprünglich als Akademie der schönen Künste und der Wissenschaften gedacht, und noch 1781, bei der Aufhebung der Kartause von Mauerbach, hat er sdiriftlich seine Absicht kundgetan, einen Teil des besdilagnahmten Vermögens der Klöster für die Gründung einer Akademie der Wissenschaften zu verwenden.

Faßt man alle diese Strömungen zusammen, so ergeben sich drei tiefere Ursachen für das Scheitern der Idee;

Die starke Divergenz der Anschauungen über den wissenschaftlichen Betrieb. Gottfried van Swieten, der Sohn des Arztes, hatte den ungebundenen Aufbau der Göttinger Universität getadelt und diese Hochschule eine lehrende Akademie genannt. Eine österreichische Akademie im Zeitalter des Josephinismus wäre das Gegenstück dazu geworden: eine engbrüstig geschnürte, durch den Staat scharf kontrollierte Universität ohne Unterrichtsbetrieb. Noch 1784 entwickelte Sonnenfell in einer Abhandlung, „Ein patriotischer Traum“, sein Ideal einer Akademie — es stand zu den nüchternen Anschauungen des Josephinismus in starkem Gegensatz.

Ein weiterer Grund für das damalige Scheitern des Planes war, daß die meisten Pläne, vor allem der Plan Petraschs, ich als zu umfangreich erwiesen. Hätte der Staat das Projekt von 1750 verwirklicht, dann wäre das größte wissenschaftliche Institut entstanden, das bisher existierte. Daraus ergab sich der immer wiederkehrende Vorwurf, daß der Plan zu kostspielig und seine Ausführung unmöglich sei. Das stärkste Hemmnis aber für die Verwirklichung des Projektes bildete die Spannung der Weltansdiauungen. Kirchliche Gesinnung und freireligiöse Haltung standen einander seit der Mitte des Jahrhunderts in scharfem Gegensatze gegenüber. Petrasch hatte in seinem Entwurf vor „deistischen Geheimlehren“ gewarnt und sich gegenüber Einwänden nachdrücklich dafür eingesetzt, daß auch Ordensgeistliche Mitglieder der Akademie werden könnten. Die Begünstigung des Freimaurerordens durch Kaiser Franz I. hatte die Gegner der Gegner gestärkt. Drückend wie Gewitterschwüle lag der Gegensatz über Kunst und Wissenschaft. Ihn zu überbrücken war niemand imstande ich Kaunitz nicht, der dazu am eh* rten berufen schien.

So mußte der Plan einer Akademie def Wissenschaften vorerst scheitern. Erst eta Jahrhundert nach Petraschs Entwurf, wurde die Idee in anderer Form Wirklichkeit! 1847 wurde die Wiener Akademie der Wissensdiaften gegründet, deren 100. Geburtstag das ganze geistige Österreich in diesen Tagen in würdigem Rahmen feiert.

Drei hervorragende Institute, die ich neben der Vorbereitung zu besonderen Berufen gleich der Akademie der Wissenschaften die ernste Pflege der Wissenschaften zur Hauptaufgabe machten, die TheresU-nische, die Orientalische und die Akademie für bildende Künste, bilden die zeitlich Brücke zwischen dem ersten Plan einer Akademie der Wissensdiaften und der tatsächlichen Gründung. Es mutet wie ein Sinnbild für den tiefen Zusammenhang der geistigen Strömungen des 18. und 19. Jahrhunderts an, daß ein Zögling eines dieser Institute, der Orientalischen Akademie, der erste Präsident der Akademie der Wissenschaften wurde: Hammer-Purgstall, der große Orientalist. Seine Epoche erfüllt in reichem Maße die Idee, für die die Zeit des Josephinismus noch nicht reif gewesen war.

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