7108615-1995_42_03.jpg
Digital In Arbeit

Marienfeiertag als „Geschäftsstörung”

19451960198020002020

Diesmal scheint es mit dem alljährlichen Angriff auf den 8. Dezember ernst zu werden. Man will die allgemeine Geschäftsöffnung erzwingen.

19451960198020002020

Diesmal scheint es mit dem alljährlichen Angriff auf den 8. Dezember ernst zu werden. Man will die allgemeine Geschäftsöffnung erzwingen.

Werbung
Werbung
Werbung

Dieser Festtag hat in seiner Identitätskarte einen Vermerk, den sonst keiner hat: Er wurde in schwerer Nachkriegszeit aufgrund von 1,5 Millionen Unterschriften eingeführt. Aber dieser demokratische Background wird ihm wahrscheinlich nicht viel nützen. Für den Abbau von Feiertagen genügen viel weniger, aber eben gewichtigere Stimmen. Der 8. Dezember ist eine Geschäftsstörung. Und das ist im Europa des Jahres 1995, in dem nun einmal etwas anderes als wirtschaftliches Interesse kaum Gewicht hat, ein schwerer Vorwurf.

Man sagt zwar, man wolle den Feiertag nicht abschaffen. Es ist allerdings von einer Partei im Parlament schon angekündigt worden, sie werde den Antrag auf ersatzlose Streichung einbringen. Aber ich glaube nicht, daß das Hauptinteresse in der Einführung eines neuen Arbeitstages liegt. Der 8. Dezember soll für andere Gesellschaftsbereiche ruhig freibleiben. Er soll nur ein Kauf-tag werden, nicht ein Werktag.

Nun gibt es in unserer Tradition im Land im Gebirge seit urdenkli-chen Zeiten Ausnahmen von der Geschäftsruhe. In den Bergtälern haben schon vor hundert Jahren Gemischtwarenhandlungen nach dem Gottesdienst offengehalten, weil das die einzige Zeit war, in der die Leute von den Höfen ins Tal kamen. Es gibt bei allen menschlichen Gesetzen Ausnahmen, die das Leben erzwingt.

Aber im Fall des 8. Dezember muß man Fragezeichen hinter die vorgebrachten Argumente setzen. Es ist mir wohl bewußt, daß der allgemeine Kaufkraftabfluß über die Grenze für unsere seriöse Kaufmannschaft ein schweres Problem darstellt. Aber man hat vor der EU-Wahl gerade von Wirtschaftskreisen die Öffnung der Grenzen und die damit verbundenen Segnungen in den schönsten Farben ausgemalt. Jetzt verwendet man diese offenen Grenzen als Argument für die praktische Abschaffung des 8. Dezember.

Für diese Belastung ist aber der Muttergottesfeiertag weder die Ursache, noch ist seine Abschaffung dafür die geeignete Therapie. Solange sich die Einkaufsfahrt samt Mittagessen und Fahrtkosten glänzend rechnet, wird es diese Fahrten geben - ob nun der 8. Dezember bei uns ein Feiertag ist oder nicht.

Die Gründe für diese Situation werden vielfältig sein: Währungsprobleme und unterschiedliche Steu-erbelasturtgen, Ungereimtheiten in der Preisbildung und - wie Zeitungsberichte über den Automarkt nahelegen - die Versuche europäischer Lobbies, für ihre Waren in Österreich einfach höhere Preise zu beschließen und sich damit goldene Nasen zu verdienen. Trotz allen Geredes vom freien Markt können es sich manche in Europa richten. Für alle diese Zustände ist der Angriff auf den 8. Dezember weder eine Wurzelbehandlung noch eine Symptombekämpfung. Wenn jemand, der diese Absicht hat, sich am 8. Dezember jenseits der Grenze nicht eindecken kann, wird er es halt an einem anderen Tag machen.

Ein Blick auf die Feiertagsordnungen der europäischen Staaten zeigt sofort, daß wir. eben damit leben müssen, daß sie nicht ganz identisch sind. Übrigens hat eine Reihe europäischer Staaten den 8. Dezember als Feiertag, die wirtschaftlich bedeutend weniger potent sind als Österreich. Und den Kalender-Ein-topf vom Nordkap bis Sizilien wird es nie geben.

Vielleicht erinnert man sich daran, daß vor nicht allzulanger Zeit die Elektrogeschäfte in Wien von Käufern aus dem ehemaligen Ostblock gestürmt wurden. Man kann doch nicht die offene Grenze nur dort zur Kenntnis nehmen, wo sie Vorteile bringt. Ein weiteres Bedenken geht in die Richtung jener Menschen, deren Anliegen kaum in gewisse Etagen der Macht vordringen. Wer denkt schon daran, was es für eine berufstätige Mutter bedeutet, an einem Tag arbeiten zu müssen, an dem der Kindergarten geschlossen ist? Natürlich wird sie sich dem Druck fügen und vielleicht auch ein paar Schillinge mehr verdienen. Einen Babysitter wird sie davon kaum bezahlen können.

Die religiöse Seite des Feiertages kann man natürlich ziemlich einfach wegwedeln: Den einen Teil der Bevölkerung berührt das nicht, und für die anderen gibt es ja Abendgottesdienste. Das stimmt. Aber der Sinn von Sonn- und Feiertagen liegt auch nach der Schrift nicht nur in einem Kirchgang. „Der Sabbat ist für den Menschen da”, sagt Christus.

Einbuße an Lebensqualität

Und hier liegt mein tiefster Einwand gegen die Aushöhlung einer Feiertagsordnung: Menschliches Zusammenleben braucht einen festen Kalender, wie immer er im einzelnen aussehen mag. Familien wie Alleinerzieher müssen über Zeiten verfügen können, die sicher und möglichst für alle frei sind. Und wenn es darauf hinausläuft, daß bestimmte Pressuregroups diese Freizeitordnungen mit Argumenten ändern können, die immer und überall gelten, dann ist das auf weite Sicht eine Einbuße an Lebensqualität.

Es genügt nicht, die individuelle Freizeit für den einzelnen zu garantieren, es braucht auch die Freizeit der Gemeinschaften. Zunächst der familiären, dann aber auch darüber hinaus der vielen Sozialisationen, die einen guten Teil des gesellschaftlichen Lebens ausmachen. Sie brauchen alle den gesellschaftlichen Schutz der Freizeit - Sportvereine und Musikkapellen, religiöse Gruppierungen und Jugendorganisationen, Feuerwehr und Dorfgemeinschaften für ihre Veranstaltungen, Unternehmungen, Proben, Ausflüge,

Spiele und Feste. Auf all das vergessen Menschen, die über den vordergründigen wirtschaftlichen Vorteil ebensowenig hinausdenken, wie manche Spraydosenfabrikanten ans Ozonloch denken.

Ich möchte denen in unserem Lande, die in der Sache des 8. Dezember anders denken als ich, keineswegs so pauschale Absichten hinsichtlich des Kalenders unterstellen. Aber es steht außer Zweifel, daß es im Zuge eines rücksichtlos rationalisierenden Wirtschaftsdenkens in Europa diese Tendenzen gibt, die nicht nur den einen oder anderen Feiertag, sondern überhaupt die gleitende Arbeitswoche im Visier haben. Und bei unserer „europäischen Adaptionsbereitschaft” kann man sich vorstellen, wohin der Hase läuft.

Ich weiß nicht, ob die Demontage des 8. Dezember kommen wird. Ich sehe als Bischof die Aufgabe, ihn aus vielen und weitreichenden Gründen zu verteidigen. Für die bedrängten Kaufleute hoffe ich, daß die Preisanpassungen in der EU bald besser greifen als jetzt. Ich möchte auch dafür plädieren, daß man nicht jeden Schilling umdrehen soll, wenn es darum geht, die heimische Geschäftswelt leben zu lassen. Das muß uns das Einkaufen vor der Haustüre wert sein. Ich glaube auch nicht, daß der Streit um den 8. Dezember einen großen Kulturkampf auslösen wird. Wir haben im Land größere Sorgen - und größere Gemeinsamkeiten.

Aber einen kleinen Sarkasmus möge man mir am Schluß noch gestatten: Nachdem man mit der Geburt des Sohnes seit Jahrhunderten ein so großes Geschäft macht, würde es die einfachste Courtoisie verlangen, mit dem Tag der Mutter etwas respektvoller umzugehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung