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Marshall-Plan und Cherriere-Plan

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In Moskau wurde übrigens von österreichischer Seite bei Aussprachen mit sowjetischen Stellen wiederholt die Frage geprüft, ob die Möglichkeit von sowjetisch-österreichischen Vorabmachungen bestehe, die dann, von allen vier Mächten anerkannt, dem Vertrag angeschlossen werden könnten. Aus diesen Unterhaltungen muß!fe man aber den Eindruck gewinnen, daß die Sowjetunion lediglich nach einer vorbehaltlosen Durchsetzung ihres Rechtsstandpunktes strebe. Als es klar wurde, daß die Konferenz resullat-los zu Ende gehen würde, wurde von der österreichischen Delegation zunächst mit allen Beteiligten die Frage der österreichischen Kriegsgefangenen besprochen und eine entsprechende Note Außenminister Molotow übergeben. In einem an General Marshall gerichteten Schreiben wurde mitgeteilt, welche schwerwiegenden Folgen die Verzögerung des Abschlusses des Staatsvertrags für Österreich haben würde, und die Bitte um erweiterte Lebensmittel- und Kohlenhilfe ausgesprochen. General Marshall stand diesem österreichischen Ansuchen mit Sympathie gegenüber, eine österreichische Kohlenkommission wurde nach den Vereinigten Staaten eingeladen, und tatsächlich hat sich auf diesem Gebiet die Lage bald gebessert. Vor Abschluß der Außenministerkonferenz konnte übrigens noch die Einsetzung einer Vertragskommission zum Studium der Frage des deutschen Eigentums erreicht werden. Diese begann am 12. Mai 1947 in Wien ihre Beratungen. Nach zahlreichen Sitzungen und endlosen Beratungen kam es zutage, daß eine Vereinbarung über juristische Formulierungen für die Definition des deutschen Eigentums kaum gefunden werden könnte. Deshalb wurde der Cherriere-Plan ausgearbeitet, der die Frage des deutschen Eigentums auf eine kommerzielle Grundlage stellen sollte. (Als weniger günstig erwies sich eine Veröffentlichung aus Konferenzkreisen, die den Wert des deutschen Eigentums in der sowjetischen Ostzone gemäß der sowjetischen Formel mit 800 Millionen Dollar bewertete.)

Inzwischen waren in Paris in rascher Folge die Marshall-Plan-Konferenzen zusammengetreten. Es war klar, daß Österreich in seiner Notlage nicht darauf verzichten konnte, einen entsprechenden Anteil an der Gesamthilfe zu erhalten, andererseits entsprach es den Idealen und der Denkungsart unseres Volkes, diese auf wirtschaftliche Zusammenarbeit gerichtete Organisation Europas zu unterstützen. Die Gründe für den Beitritt Österreichs zum Marshall-Plan waren so zwingend, daß selbst der kommunistische

Minister seine Zustimmung nicht versagen konnte. Am 3 0. Juni 1948 fand derBeitrittsbeschluß die Zustimmung des parlamentarischen Hauptausschusses.

Im November trat erneut die Außenministerkonferenz in London zusammen. Der rauhe Wind des Kalten Krieges ließ die Blume der Verständigung aber nur mehr vorsichtig ihr Köpfchen emporheben. Immerhin erklärte sich auf dieser Konferenz die Sowjetunion zur A n-nahme des Cherriere-Plans grundsätzlich bereit. Sie forderte jedoch 200 Millionen Dollar, zahlbar in zwei Jahren. Auf der anderen Seite zog zunächst Großbritannien, dem sich später Frankreich anschloß, die Forderung auf Kompensation für Kriegsschäden zurück. Auf dieser Basis begannen am 20. Fe: bruar 1948 die Stellvertreter in London neuerdings die Beratungen. Eine weitere wichtige sowjetische Konzession, die Herabsetzung des Ablösebetrages von 200 auf 150 Millionen und die Erstreckung der Zahlungsfrist von zwei auf sechs Jahre, rückte die Lösung der Frage des deutschen Eigentums in greifbare Nähe. Inzwischen wurden die Westmächte wiederholt gebeten, ihrerseits die Frage des deutschen Eigentums in einem für Österreich günstigen Sinne zu klären. Die Verzichterklärung der drei Westmächte erfolgte am 8. April 1949. Heftige Debatten um die Grenzfrage brachten schließlich diese Konferenz zum Stillstand, als der sowjetische Delegierte eine sehr dezidierte Erklärung zur Grenzfrage abgab. Wir nahmen diesen Beschluß mit Bedauern auf, aber es konnte nicht geleugnet werden, daß die internationalen Spannungen vorerst einen Grad erreicht hatten, der wesentliche Fortschritte kaum erwarten ließ.

Im September 1948 bot jedoch die Tagung der Vereinten Nationen in Paris Gelegenheit, mit den vier Außenministern die Möglichkeit der Wiederaufnahme der Verhandlungen zu studieren. Die österreichischen Anregungen wurden sowohl auf westlicher wie auf sowjetischer Seite nicht ungünstig aufgenommen. Am 6. Dezember 1948 richtete die Bundesregierung daher eine neue Note an die vier Mächte, die Beratungen wieder aufzunehmen. Als zustimmende Antworten von allen Regierungen vorlagen, wurde dies von uns dem Sekretariat der Stellvertreterkonfe-' renz mitgeteilt. Am 9. Februar 1949 wurden die Beratungen wieder aufgenommen.

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