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Massen wäre — Massenmensch?

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Das „Oesterreichische Institut für Formgebung“ veranstaltet im Rahmen der Wiener Herbstmesse eine Sonderschau unter dem Titel „Form“. Eine Auswahl von gut gestalteten Erzeugnissen aus dem großen Angebot der österreichischen Produktion soll hier den Begriff und die Bedeutung der Form einem breiten Publikum vor Augen führen und den fehlenden Kontakt zwischen Produzent und Käufer herstellen helfen. Die Ausstellung kann auf knappem Raum nur einen Ausschnitt und keineswegs einen vollständigen Ueberblick über alle Sparten der Produktion geben. Sie will nicht werten, sondern anregen und beweisen, daß man sich auch in Oesterreich mit dem Problem der Warenform beschäftigt. Mit Absicht wurde die schöne und richtige technische Form in den Vordergrund gestellt, die weniger geschmacklichen und modischen Einflüssen unterworfen ist, anderseits aber das Wesen und die Problematik der industriellen Produktion besonders deutlich werden läßt. Gebrauchsgegenstände verschiedener Art, medizinische und optische Instrumente, Türbeschläge und Schalter wollen nur Beispiele sein, die zeigen, daß die richtige Wahl des Materials, die gute Planung der Herstellung im Hinblick auf den Verwendungszweck wesentliche Faktoren bei der Gestaltung einer Ware sind. Vor allem ist es — gerade auf der Messe — der Käufer, der angesprochen werden soll. Er soll aufmerksam gemacht werden, daß er diese Dinge beim Kauf beachten soll und daß er die gute Form verlangen muß, um sie zu bekommen. In diesem Zusammenhang ist auch der nachfolgende Aufsatz zu verstehen.

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Das „Oesterreichische Institut für Formgebung“ veranstaltet im Rahmen der Wiener Herbstmesse eine Sonderschau unter dem Titel „Form“. Eine Auswahl von gut gestalteten Erzeugnissen aus dem großen Angebot der österreichischen Produktion soll hier den Begriff und die Bedeutung der Form einem breiten Publikum vor Augen führen und den fehlenden Kontakt zwischen Produzent und Käufer herstellen helfen. Die Ausstellung kann auf knappem Raum nur einen Ausschnitt und keineswegs einen vollständigen Ueberblick über alle Sparten der Produktion geben. Sie will nicht werten, sondern anregen und beweisen, daß man sich auch in Oesterreich mit dem Problem der Warenform beschäftigt. Mit Absicht wurde die schöne und richtige technische Form in den Vordergrund gestellt, die weniger geschmacklichen und modischen Einflüssen unterworfen ist, anderseits aber das Wesen und die Problematik der industriellen Produktion besonders deutlich werden läßt. Gebrauchsgegenstände verschiedener Art, medizinische und optische Instrumente, Türbeschläge und Schalter wollen nur Beispiele sein, die zeigen, daß die richtige Wahl des Materials, die gute Planung der Herstellung im Hinblick auf den Verwendungszweck wesentliche Faktoren bei der Gestaltung einer Ware sind. Vor allem ist es — gerade auf der Messe — der Käufer, der angesprochen werden soll. Er soll aufmerksam gemacht werden, daß er diese Dinge beim Kauf beachten soll und daß er die gute Form verlangen muß, um sie zu bekommen. In diesem Zusammenhang ist auch der nachfolgende Aufsatz zu verstehen.

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Die industrielle Produktion ist ihrem Wesen nach Massenproduktion. Die Fehler und Ver-irrungen der ersten Zeit des maschinellen Produzierens sind wohl überwunden, und auch der Konsument hat erkannt, daß die Qualität der Waren nicht schlechter sein muß, wenn diese in großen Serien hergestellt werden. Die Möglichkeit und mehr noch die' Notwendigkeit der sorgfältigen Planung von Großserien verbürgen ein gewisses Niveau, das den Aufwand durch entsprechenden Absatz rechtfertigt. So ist es bei Produkten, die auf lange Sicht Erfolg haben sollen, und so sollte es überall sein.

Viel schwerer ist es, auch das richtige Verhältnis zum Käufer von Serienprodukten herzustellen. Industrieerzeugnisse werden in vielen einzelnen Vorgängen durch verschiedene Arbeitskräfte, also anonym, für anonyme Kunden erzeugt. Während aber das zehntausendste Stück einer Serie in allen Einzelheiten dem ersten entspricht, gliedert sich die anonyme Masse der Käufer in Zehntausende von Individuen. Jeder dieser Menschen hat unterschiedliche Ansprüche, Bedürfnisse und Vorstellungen von der Verwendung der Ware. Allerdings bringt die Zweckbestimmung eines Produktes schon eine gewisse Festlegung in bezug auf Gebrauch und Verwendung mit sich, doch variiert gerade dieser Faktor sehr stark. Lieber die Verwendung eines Rönt-genapparates gibt es keine Diskussionen — die Form kann, sobald das Technische einmal gelöst ist, hier auch nur Erleichterungen und Vereinfachungen in der Bedienung und Benützung, also Komfort bieten. Anders ist es etwa schon 'bei einer Türklinke: Die Form kann noch so gut der Hand angepaßt sein, Material, Gewicht und Ausführung einwandfrei sein — die Klinke wird in einer Fabrikshalle anders aussehen als an einer Wohnzimmertür, und irgendwo kann sie deplaciert wirken. Hier muß also ein gewisses Verständnis beim Käufer vorausgesetzt werden, t.....il„iniWM inia................ii------------

dem der Hersteller aber entgegenkommen sollte. Es wäre falsch, blindlings auf eine uniforme Käufererwartung zu vertrauen oder dem Kunden die Gleichschaltung seiner Ansprüche aufzwingen zu wollen. Wo immer man das — im Kriege etwa aus Ersparungsgründen — versuchte, kam es zu höchst unerfreulichen Ergebnissen.

Der Produzent industrieller Güter, der im Gegensatz zum Handwerker der früheren Zeit seinen Kunden nicht genau kennt, kann sich daher auch schwerer an dessen Wünsche anpassen. Er kann aber auch den Kunden nicht beeinflussen oder nur indirekt. Die Aufgabe der Formgebung ist es nun einerseits, diese Anpassung an möglichst viele Erwartungen durch die Gestaltung des Produkts zu ermöglichen, anderseits aber auch den Kunden selbst zur entsprechenden Verwendung zu erziehen. Die richtige Information und Aufklärung des Konsumenten schaffen mit dem richtigen Verständnis für das Produkt erst die Voraussetzung für seine Zufriedenstellung und damit auch für einen guten Absatz der Ware.

Der Mensch von heute steht der Ueberfülle der industriellen Güter oft hilflos gegenüber. Wurde zuerst wahllos und kopflos zusammengerafft, um den kriegs- und nachkriegsbedingten

Mangel zu beseitigen, so kauft man heute oft ebenso blindwütig ein, um den Standard zu erreichen, den die durch die Konjunktur zur Zwangsvorstellung gewordene Konsumtionslust vorschreibt. Der Effekt ist in vielen Fällen ein profundes Unbehagen gegenüber einer Unzahl von Produkten, mit denen man nicht umzugehen gewohnt ist und die man eigentlich gar nicht braucht.

Es geschieht — in anderen Staaten allerdings viel mehr als bei uns — nun häufig, daß die Produzenten sich der großen Verantwortung, die sie tragen;' nicht bewußt sind und durch' Werbung und „Policy“ dieses sinnlose Konsumieren noch zu steigern suchen. Auch die „künstliche Ueberalterung“ eines Produkts oder der gewaltsame Ausstoß neuer Modelle in kurzen Zeitabständen gehören hierher. Man pflegt dann der Technik die Schuld zu geben, wenn sie uns über den Kopf wächst, während im Grunde der Mensch versagt.

Was kann aber nun im positiven Sinne geschehen? Erstens muß man damit anfangen, die Form, die Gestaltung der Industrieprodukte den Anforderungen der Käufer wirklich anzupassen, und zwar den natürlichen, menschlichen Bedürfnissen und nicht der Sucht nach Neuem und Andersartigem. Mit demselben Aufwand, den diese Spekulation kostet, kann man wirklich befriedigende Erzeugnisse entwickeln.

Ebenso wichtig ist es aber, dem Käufer dazu zu verhelfen, daß er erkennt, was er nun wirklieh braucht. Es mag einen angeborenen Sinn für die richtige Wahl beim Kauf geben, wie es einen angeborenen guten Geschmack gibt. Aber so wie sich der Geschmack weitgehend schulen läßt, kann auch das Bewußtsein des Käufers erweckt und sein Sinn für die richtige Wahl geschärft werden. Sobald aber ein persönliches Urteil vorhanden ist, reagiert die Masse nicht mehr als Masse, sondern jeder darin für sich. Jeder kann sich dann aus dem Anbot der Massenware das ihm persönlich Zusagende aussuchen. Die Nachahmung modischer Tendenzen führt viel stärker zur Uniformierung als die Tatsache, daß es so und so viele gleiche Produkte gibt. Kann aber der einzelne innerhalb der Masse seine Eigenart bewahren, wird dadurch das Niveau der Masse gehoben.

Das heißt, daß der Produzent damit rechnen muß, daß der Käufer kritischer wird. Er wird aber auch zufriedener sein, wenn er merkt, daß man ihn anspricht, statt sich auf seine schlechte Urteilsfähigkeit zu verlassen.

Die Phrase von der „Häßlichkeit, die sich schlecht verkauft“, hat viel - heftigen Widerspruch hervorgerufen. Wollen wir bescheidener sein und behaupten,.daß sich Häßlichkeit nicht besser verkauft als die gute Form. Macht man das Publikum mit Absicht dumm, dann darf man sich nicht wundern, wenn es schlechten Geschmack zeigt. Bietet man ihm aber zum gleichen Preis — das ist natürlich sehr wichtig und absolut durchführbar — gut gestaltete Produkte, so wird sich der Käufer — wenn nicht sofort, doch im Lauf der Zeit — für das entschließen, was besser für ihn ist.

Die Revolution der Form kann nicht von oben gemacht werden. Etwas Geduld und Mut gehören freilich dazu, will man die technische Welt zu einer Welt machen, in der sich leben läßt.

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