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Maulwurfsarbeit

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Im Oktober vorigen Jahres veröffentlichte die Moskauer „Prawda“ einen Artikel über die spezifischen Probleme, die den Kommunisten bei ihrer „Arbeit“ in Mexiko zu schaffen machen, und über ihre dort wirklich oder nur angeblich erzielten Erfolge. Im State Department in Washington wird man diesen aus der Feder des Generalsekretärs der mexikanischen KP stammenden Aufsatz sicherlich mit großer Aufmerksamkeit gelesen haben, in den europäischen Staatskanzleien aber, von der europäischen Oeffentlichkeit ganz zu schweigen, vermutlich nicht. Und doch hätte er überall die sorgfältigste Beachtung verdient.

Rein ziffernmäßig ist der Kommunismus auf lateinamerikanischem Boden bedeutungslos. Die Zahl der kommunistischen Parteimitglieder in den zwanzig Republiken des Subkontinents ist in den letzten Jahren sogar zurückgegangen und dürfte heute bei 250.000 liegen. Nun sind &&WJ.QOO. freilich nur ein verschwindend kleiner Bruchteil der mehr als 160 Millionen zählenden Gesamtbevölkerung dieser zwanzig Staaten. Aber dank einer straffen Organisation, einer methodischen Zusammenarbeit und einer Disziplin, wie sie keine andere Partei dort auch nur annähernd aufzuweisen hat, ist es den lateinamerikanischen Jüngern Moskaus gelungen, den kommunistischen Einfluß in einem Maß auszudehnen und zu intensivieren, der ihre numerische Schwäche mehr als wettmacht. Am beunruhigendsten ist ihre Aktivität in Argentinien, wo sie bezeichnenderweise den Peronisten ihre volle Unterstützung geben, sowie in Brasilien, Kuba und Mexiko; am unbedeutendsten in Paraguay, Haiti, EI Salvador, Honduras und Ekuador. In Chile werden sie mit harter Hand angefaßt, aber trotz der Bemühungen der Regierung, namentlich die Gewerkschaften von kommunistischem Einfluß freizuhalten, können sie sich rühmen, die führenden Stellen im chilenischen Gewerkschaftsbund mit verläßlichen Mitläufern besetzt zu halten. Ebensowenig hat ihr dortiger Status der Illegalität sie daran verhindert, sich für Zwecke ihrer „national“ verbrämten Propaganda die Kontrolle von etwa zwanzig Zeitschriften und einer Tageszeitung zu sichern. Auch in einer Reihe anderer lateinamerikanischer Länder hat die kommunistische Ideologie in mehr oder weniger verhüllter Form in der Publizistik, im Film, im Radio- und Fern-sehwesen, in kulturellen Vereinigungen, bei der Hochschülerschaft und unter den Angehörigen intellektueller Berufe Boden gewonnen. Charakteristisch für die taktische Wendsamkeit oder Vielseitigkeit der Kommunisten ist es übrigens, daß sie in Chile für eine gemeinsame Front der Arbeiter, Bauern, Kleinbürger und der „nationalen Bourgeoisie“ gegen die „Imperialisten und deren Handlanger“ agitieren, indes sie zum Beispiel in Mexiko nichts unversucht lassen, um die landwirtschaftlichen Arbeiter nicht nur gegen die Gutsbesitzer jeder Größenordnung und die „Kapitalisten“ überhaupt, sondern auch gegen die Angestellten und sogar die industrielle Arbeiterschaft aufzuwiegeln.

Die praktische Durchführung antikommunistischer Gesetze wird in manchen lateinamerikanischen Ländern, und namentlich dort, wo liberale Parteien volle Bewegungsfreiheit genießen, oft dadurch erschwert, daß die Kommunisten Forderungen propagieren, die sich von jenen populärer und legaler Reformbewegungen kaum unterscheiden. Aber davon abgesehen, gibt es eine Reihe von Umständen, die den Beauftragten Moskaus zwischen dem Rio Grande und Kap Horn die Arbeit erleichtern. Im

Gegensatz zu Spanien, Portugal, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und der USA hat Rußland weder unter dem kaiserlichen noch dem jetzigen Regime je auf diesem Subkontinent Fuß gefaßt oder seinen Willen mit bewaffneter Gewalt durchzusetzen versucht. Gegen diesen historischen Hintergrund erscheint dem Lateinamerikaner, sosehr er sich, vorübergehend, über die sowjetischen Brutalitäten in Ungarn erregte, die Möglichkeit einer sowjetischen Aggression gegen sein Vaterland als etwas Irreales, sein Mißtrauen jedoch gegen die alten „Erbfeinde“, vor allem gegen den großen Nachbarn im Norden, als durchaus begründet. Man neidet den „Yankees“ ihre Prosperität und will nicht einsehen, daß die wirtschaftliche Stärke der USA auch für manchen lateinamerikanischen Staat von lebenswichtiger Bedeutung ist. Und aus der Tatsache, daß alle diese Republiken militärisch, nach heutigen Begriffen, sehr schwach sind, wogegen sich die USA zu einer gewaltigen Militärmacht entwickelt hat, die den Schutz auch des südlichen Subkontinents garantiert, schöpft man kein Gefühl der Beruhigung, sondern sieht darin, trotz aller gegenteiliger Versicherungen und Freundschaftsbeweisen der USA, die latente Gefahr einer „Yankee-Intervention“. Anderes kommt dazu. Hat die von Washington eifrig betriebene Propaganda für Freiheit und Demokratie an sich schon wenig Zugkraft in Ländern, die einer demokratischen Tradition entbehren und in der Regel einer Regierung unterstehen, die durch einen bewaffneten Putsch zur Macht gelangt ist, so gewinnt der Widerspruch zwischen der Propagierung solchtr Parolen und der von Washington eingenommenen freundlichen Haltung gegenüber Diktatoren, wie Batista auf Kuba, Trujillo auf San Domingo, Somoza in Nikaragua und seinerzeit Perez-Jimenez in Venezuela, der USA natürlich wenig Sympathien auch in den Kreisen, die das demokratische System für ein Allheilmittel halten. Ebenfalls negativ in diesem Sinne wirkt die Ueberflutung Lateinamerikas mit Proselytenmachern der verschiedensten nordamerikanischen Sekten — so gibt es in dem zu 96 Prozent katholischen Brasilien mehr protestantische Missionäre als katholische Priester —, wie auch das unerfreuliche Bild nordamerikanischer Kultur, das durch so manche Touristen oder sonstige Repräsentanten der USA dem Süden vermittelt wird.

Unter solchen Voraussetzungen konnte es den einheimischen Kommunisten nicht schwerfallen, die richtigen Schlagworte zur Deckung ihrer subversiven Tätigkeit zu wählen, indes Moskau, bei der Beurteilung der lateinamerikanischen Mentalität sachkundig beraten, nach greifbaren Argumenten Ausschau hielt, um die friedliche und wohlgesinnte UdSSR, im Gegensatz zu den bösen nordamerikanischen Imperialisten, zu popularisieren. Diesem Zweck dient das sowjetische Angebot technischer Hilfeleistung, für die in allen lateinamerikanischen Ländern ein dringender Bedarf besteht, wie auch Bulganins Einladung zum Ausbau der bisher — und wohl auch in Hinkunft — wenig intensiven Handelsbeziehungen; und ganz besonders die sowjetische Kulturpropaganda, die mittels aller Medien, die an das Auge oder das Ohr der für künstlerische Dinge sehr empfänglichen Lateinamerikaner appellieren können, immer mehr in den Vordergrund tritt.

' Zum Schutz gegen diese Gefahr ist mehr erforderlich als Säuberungsaktionen und polizeiliche Maßnahmen. Charakteristisch für Lateinamerika ist das Fehlen eines sozialen Verantwortungsbewußtseins in den besitzenden Schichten. Hier muß der Hebel angesetzt werden. Die politischen Führer, ob konservativer oder liberaler Richtung, müssen endlich zeigen, daß ihnen noch anderes am Herzen liegt als ihr persönlicher Vorteil und die Verteidigung oder Erweiterung ihrer persönlichen Machtstellung; sie müssen sichtbare Beweise dafür liefern, daß es ihnen wirklich darum zu tun ist, den in bitterster Not lebenden breiten Massen beizustehen und den Aufstieg zu einem höheren wirtschaftlichen und kulturellen Niveau zu erleichtern. Solange dies verabsäumt wird, und ein Wandel ist noch kaum irgendwo in Sicht, wird die kommunistische Unterminierung Lateinamerikas weiterschreiten.

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