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Mehr als ein Trostpreis für Oöierreich

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Die Großväter der heutigen Midlife-Generati-on des Burgenlandes mußten vor 75 Jahren ihr rot-weiß-grünes Herz auf rot-weiß-rot einfärben. Bezeichnend der Satz meines Großonkels, in den fünfziger Jahren rückblickend auf die turbulenten beginnenden zwanziger Jahre im ehemaligen Deutschwestungarn gemünzt: „Wir waren glühende ungarische Patrioten und sollten jetzt treue Österreicher werden.” Der Intelligenz, ob ungarisch- oder deutschstämmig, fiel das nicht leicht.

Die Magyarisierungspolitik Buda-. pests hatte es tatsächlich geschafft, nicht nur sprachlich die deutschstämmige Intelligenz in diesem Grenzraum, aus dem das Burgenland werden sollte, für das Heilige Ungarn zu begeistern. Der strenge Ungarischunterricht an höheren Schulen und Lehrerbildungsanstalten im vorwiegend deutschsprachigen Gebiet (die Deutschsprechenden, die etwas werden wollten, erwarben sich Ungarischkenntnisse über bloßes Auswendiglernen in den einzelnen Fächern!) pflanzte auch das typisch ungarische Heimatgefühl in die Herzen junger Menschen anderer „Entitäten” (wie das heute im Journalismusjargon so dummdeutsch heißt).

Unter der Stephanskrone fühlte sich ein Großteil der Intelligenz wohl.

Das Burgenland/ am Ostrand Österreichs, einst Grenzland, ist heute eine offene Region, die mit 75 Jahren ins Zentrum Europas tritt.

Als Kaiser Karl I. (als ungarischer König Karl IV.) von der Schweiz kommend zwecks Bestaurationsversuchen in Odenburg auftauchte, kniete mein Großvater am Raaber Bahnhof vor Seiner Majestät, um mit ihm und seinen Getreuen gemeinsam zu beten.

Was ist das Burgenland eigentlich? Ursprünglich war es ein Trostpreis für das nach schweren Gebietsverlusten nach dem Ersten Weltkrieg am Boden liegende Osterreich. Die „Heanzen”, so nannte man die deutschsprachigen Bewohner dieses westungarischen Streifens (offenbar nach dem meistgebrauchten Vornamen ihrer Vorväter aus karolingischer Zeit - Heanz = Heinz), wollten gerne eine eigene Republik haben oder sich - im ungarischer! Staatsverband - als autonomer Teil selbst verwalten.

In den Friedensverträgen von St. Germain (20. Juli 1919) beziehungsweise Trianon (4. Juni 1920) wurde das nach seinen Mutterkomitaten (Preßburg, Wieselburg, Odenburg und Eisenburg) zunächst Vierburgenland genannte Gebiet jedenfalls Österreich zugesprochen. Wobei

Österreich zunächst gar nicht viel mit dem neuen Landesteil anfangen konnte. Ungarische Adelige machten sich die Unsicherheit nach den Friedensverträgen zunutze und versuchten, möglichst große Teile kämpferisch für Ungarn zu retten. Schwere Gefechte in Mittel- und Südburgenland forderten viele Tote.

Die österreichische Polizei war nicht selten der unterlegene Teil, der sich zurückziehen mußte. Am 28. August 1921 sollte die friedliche Übergabe des Burgenlandes an Osterreich erfolgen, am 10. September mußten die österreichischen Verbände ungarischen „Banditen”, wie die schwer betroffene Landbevölkerung die Freischärler nannte, weichen. Italien begann zu vermitteln, Ungarn versuchte wenigstens Odenburg zu halten, die Abstimmung in der Öden-burger Region vom 14. Dezember 1921 brachte 15.343 (65 Prozent) Stimmen für den Verbleib bei'Ungarn, 8.277 für den Anschluß an Österreich (Odenburg hatte um 1890 mehr als zwei Drittel deutschsprachige Einwohner, 17.390 Deutsche standen 8.104 Ungarn gegenüber). Damit war das Schicksal der umliegenden Landgemeinden entschieden. Keine der großen Städte Westungarns, von denen sich der Name des neuen Bundeslandes ableitet, ist heute bei Österreich.

Schaut man sich die Grenzziehung an, so ist man verblüfft ob der Unregelmäßigkeit, ob der vielen Ein- und Ausbuchtungen, vor allem im südlichen Teil, und vor allem wegen der wie eine Kerbe ins Burgenland schneidenden Ödenburger Begion. Das hat alles mit Abstimmungen im Gefolge des sich lange hinziehenden Anschlusses des Burgenlandes an Österreich zu tun. Wo sich Pfarrer, Schulmeister und Notar - die Intelligenz eines Dorfes - durchsetzten, verblieb der Ort bei Ungarn. Das gesamte heutige Burgenland war komplett erst 1923 bei Österreich, da noch im Juli 1922 im südlichen Burgenland gekämpft wurde, einige Kroatendör-fer Ungarn zufielen und das Dörfchen Luising 1923 endgültig zu Österreich kam.

Burgenland war und ist nicht nur Siedlungsraum der Heanzen, sondern auch von Kroaten (ab dem 16. Jahrhundert, 1923 betrug ihre Zahl 42.000), von Juden (ab dem 13. Jahrhundert, sie siedelten in sieben Dörfern mit Synagoge und Talmudschule, bekannt sind Eisenstadt, Matters-burg, Kobersdorf und Deutschkreutz, heute gibt es, Folge des Hitler-Terrors, leider keine Juden mehr im Burgenland, wenngleich sich mancherorts im Dialekt noch so manches jüdi” sehe Lehnwort erhalten hat), von Magyaren (um Oberpullendorf und Oberwart, gegenwärtig kaum 4.000) und von Zigeunern (Borna, von den 8.500 im Jahre 1938 hat ein geringer Prozentsatz die Nazi-Verfolgung überlebt). Franz Werfel hat denn auch das Land um den Neusiedlersee als „Österreichs seltsamsten Gast” bezeichnet.

Wirtschaftliche Not und kaum vorhandene Zukunftshoffnung führten in den zwanziger und dann in den fünfziger Jahren zu zwei Auswanderungswellen. Burgenländer fanden in den USA und in Kanada, aber auch in Südamerika und in Südafrika eine neue Heimat. Chicago, um auf eine heutzutage in Österreich vielgenannte Stadt zu verweisen, gilt nach wie vor als „größte Stadt des Burgenlandes”, die Hauptstadt Eisenstadt hat nämlich kaum mehr als 10.000 Einwohner.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Wiedererrichtung Österreichs hätte es beinahe kein Burgenland mehr gegeben, Wiener Politiker wollten die Nazi-Lösung - Aufteilung des Burgenlandes zwischen den Reichsgauen Niederdonau und Steiermark beibehalten, Burgenländische Politiker kämpften mit Erfolg vehement in Wien gegen diese zerstörerischen Ideen.

Was Burgenland heute ist - beziehungsweise sein will, davon handeln die folgenden Seiten: mehr als ein Trostpreis für Österreich, gleichberechtigter Partner im neuen Europa, nicht mehr Grenzzone, sondern Zentrum für neue Entwicklungen.

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