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In Kürze jährt sich zum zehntenmal ein Tag, an dessen Symbolgehalt man gerade jetzt denken sollte. Am 13. Mai 1959 war Johann Böhm, einer der großen Staatsmänner der Zweiten Republik, gestorben. Wenige Tage später wurde er in einem Staatsbegräbnis zur letzten Ruhe geleitet Am Schwarzenbergplatz, gegenüber dem Haus der Industrie, war die Garde des Bundesheeres angetreten und erwies dem Toten unter präsentiertem Gewehr die letzte Ehrenbezeugung. Gewiß, nach dem Protokoll galt das Staatsbegräbnis dem langjährigen Zweiten Präsidenten des Nationalrates, aber für die Menschen, die Zeugen dieser Trauerfeier waren, wurde damit vor allem der Gewerkschaftsführer geehrt. In diesen wenigen Minuten dokumentierte sich der grundlegende Unterschied zur unglücklichen Ersten Republik, in diesen wenigen Minuten erwies sich, wie weit die Integration der Gewerkschaften in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft und ihre Anerkennung als Ordnungsfaktor und unerläßliche Stütze der demokratischen Gemeinschaft gediehen sind. Unsere in vielem so zynische Zeit hat für Symbole und symbolische Akte nur noch wenig übrig, ein gleiches gut für echte, nicht künstlich aufgesetzte und hochstapelnde Repräsentation. Denn auch der Stil der politischen Akteure hat sich gründlich geändert, sie unterscheiden sich auch dadurch von den großen alten Männern der „Heldenzeit“ der Zweiten Republik, die nicht nur Männer, sondern auch, was die Haltung betrifft, Herren waren. Die politischen Sitten sind salopper, ja vulgärer geworden, und Publicity regiert die Stunde.

Eben deswegen sollte man gerade jetzt an diesen Staatsakt für Johann Böhm denken, ist doch in den letzten Tagen und Wochen manche Breitseite gegen den österreichischen Gewerkschaftsbund abgefeuert worden. Die Munition dazu wurde leider auch von Männern geliefert, denen man nicht nur mehr politisches Verständnis, sondern auch mehr Verantwortungsbewußtsein zugemutet hätte. Mit rein juristischen Denkkategorien ohne Abwägung der staatspolitischen Realitäten mögen sich treffliche Interviews gestalten lassen, aber der Sache des Staates und der Demokratie wird damit nicht genützt.

Es ist Mode geworden, jede öffentliche Einrichtung in den sogenannten Massenmedien herunterzumachen. „Harte“ Fragen, die in Interviews gestellt werden, können auch sehr einfältige, von wenig Sachkenntnis getrübte Fragen sein. Cui bono? fragte man sich schon von dem Augenblick an, da dank der TV- Berichterstattung über den Olah-Prozeß allabendlich das Tribunal zur Szene wurde. Die Reaktion konnte nicht ausbleiben: pauschaliert wurde „das System“, „die oben“ verteufelt und lächerlich gemacht (als ob man ähnliches nicht schon vor mehr als einem Menschenalter gehört hätte!).

Von einer primitiven Hätz auf die Gewerkschaften und ihre Führung hat niemand etwas. Denn wir brauchen jetzt nicht eine Herabsetzung von Einrichtungen des öffentlichen Lebens, die in den vergangenen Jahren oft genug ihr demokratisches Verantwortungsbewußtsein und auch

— im großen und ganzen — ihre wirtschaftliche Einsicht bewiesen haben. Wie jede von Menschen geschaffene und getragene Organisation sind auch die Gewerkschaften nicht frei von Anfechtungen und Versuchungen, auch nicht frei von mißbräuchlicher Anwendung der Macht. Aber das Gesamturteil über sie muß positiv ausfallen. Erzogen in der Schule Johann Böhms haben sie dem Land jenen Weg in die wirtschaftliche Krise erspart, wie ihn verantwortungslose Gewerkschaftspolitiker etwa in Großbritannien oder Frankreich gegangen sind. Daran ändert die Tatsache nichts, daß zuzeiten — und gar nicht selten!

— zwischen den Sozial- und Wirt-schaftspartnern sehr harte Sträuße auszufechten waren und gewiß auch noch auszutragen sein werden. Spannungen und Auseinandersetzungen sind gesund und notwendig, denn ohne Spannung, so sagte einmal Kardinal König vor der Vereinigung österreichischer Industrieller, würden auch die Sterne vom Himmel fallen. Wer politischer Realist ist, weiß, daß auch der soziale Friede seinen Preis hat. Das gilt doppelt in einem Land mit der exponierten Lage Österreichs. Das Problem, das den Partnern gestellt ist, ist darum dieses, den Preis so anzusetzen, daß die Wirtschaft des Landes und damit jeder einzelne seiner Bürger nicht einen Schaden nimmt, der kaum wieder gutzumachen wäre. Das Problem der Rechtsstellung der Verbände und ihres Einbaues in eine moderne Massendemokratie, die schon auf Grund der Kompliziertheit des Gemeinschaftslebens nicht des Rates und des Sachverstandes der großen Interessenvertretungen entbehren kann, datiert nicht erst seit dem Olah-Prozeß. Aber man löst es nicht mit flotten Formulierungen, sondern nur in ernster, abgewogener Arbeit, die beides berücksichtigt: Die Erfordernisse der Rechtsordnung und die Realität von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Am allerwenigsten ziemen sich in dieser Frage akademisch-intellektueller Hochmut und Elitendünkel. Die Gewerkschaften sind also Repräsentanten des viel zitierten „kleinen Mannes“ in einer von Anarchie, Gewalt und Nihilismus bedrohten Gesellschaft ein Element der Stabilität. Sie vertreten die Interessen jener Millionen Menschen, die sich den Teufel um revolutionäre Experimente scheren, die auch nichts von sozialen Utopien halten, die — hor-ribile dictu — das bessere „kleine Leben“ wollen. Und das ist wahrlich keine Schande! Man höre doch endlich damit auf, aus intellektueller Anmaßung Menschen ihre „bürgerlichen“ Neigungen — die Verbesserung des Lebensstandards, das Auto, den Urlaub in Caorle und andere Annehmlichkeiten des Alltags — zu verleiden. Es sei nicht geleugnet, daß damit auch eine Gefahr verbunden ist. Der langjährige Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Ludwig Rosenberg, hat die Versuchung der Wohlstandswelt für die arbeitenden Menschen so ausgedrückt, daß er sagte, über dem Wohlstaidsdenken werde oft das Nachdenken vergessen. Damit wächst die Aufgabe der Gewerkschaften über die der Interessenvertretung im Sinne des „Mehr und immer mehr“ hinaus. Sie werden zum Bildungsfaktor in einer Gesellschaft, die sich zwar „informiert“ und „Bildungs“-Gesellschaft nennt, in der aber oft eine ersehrek-kende Primitivität des Denkens regiert.

Solche Erziehungsarbeit zu leisten ist eine gesellschaftliche Aufgabe erster Ordnung für die Gewerkschaften, an die gerade am 1. Mai, also an jenem Tag, der nicht mehr den Klassenkampf, sondern die feste Position der Arbeitnehmer in der Demokratie symbolisiert, gedacht werden sollte.

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