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Mehr Mut zur Freiheit

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In das Kriegsspiel des österreichischen Rundfunks hat der Rundfunk sehr spät eingegriffen. In „Wir blenden auf” und mit zwei Diskussionen im Fernsehen. Die erste, das „Kreuzfeuer”, wurde nur mit Übungsmunition bestritten. Beim einstündigen Gespräch des Minister - komitees, das bis zum 30. Juni 1964 kein Ergebnis erzielt hat, mit zwei Vertretern des Volksbegehrens, wurde scharf geschossen. Eine lautstarke, auch stürmische Diskussion, auch zwischen Diskutanten der gleichen Partei, dem äußeren Anschein nach also fast das Exempel einer noch gut funktionierenden Demokratie.

Bestürzend waren dabei weniger die vielen Mißverständnisse und die demagogischen Begründungen für das Scheitern der Verhandlungen als die Tatsache, daß an den Grundfragen vorbeigeredet wurde und nach dieser nicht einmal von dem sonst so geschickten Dr. Zilk beherrschten Diskussion wahrscheinlich vorbeigeredet und -geschrieben werden wird.

Der Abwesende

Klammem wir die allgemeine Grundfrage nach Bestand und Wirkung der Koalition aus, so müssen wir uns klar sein, daß in einem derartig vertrakten innenpolitischen Klima eine kulturelle Institution, wie sie der Rundfunk trotz alledem ist, wenig zu bestellen hat. Die gegenwärtige Lage des österreichischen Rundfunks wurde ja bei dieser Diskussion überhaupt nicht berührt. Der Rundfunk selbst war ja nicKt da. Er konnte vor allem nicht sagen was er braucht, wo es fehlt und daß es ihm um seine Existenz geht. Er konnte auch nicht die Verantwortlichen vor aller Öffentlichkeit fragen, was nun geschehen soll.

Der 30. Juni 1964 ist vorbei. Die Parteien wurden nicht einig. Die Aktion Presse läuft an. Kann der Rundfunk auf eine Bereinigung der äußerst verzwickten Lage noch lange warten? Noch etwa ein Jahr lang?

Würde die Misere des Rundfunks erst vom 1. Juni 1964 oder vom März 1963 datieren, wäre die Lage nicht so tragisch. Sie datiert auch nicht nur von der danebengeratenen Konstruktion der Gesellschaft des Jahres 1957, sondern vom Jahre 1955, dem ersten damals gestarteten Versuch einer Gebührenerhöhung. Sie wurde damals von der ÖVP verhindert und seither immer wieder von der SPÖ. Das Tauziehen um die Valorisierung der Gebühren für den Hörfunk und die damit verbundene Einschränkung der Produktion und des technischen Ausbaues darf also 1965 ein zehnjähriges Jubiläum feiern. Diese Tatsache wird meist übersehen. Will man also das Jahrzehnt Kleinkrieg um den Rundfunk vollenden, will man den Rundfunk völlig verdorren lassen, bevor man ihn dann reorganisiert? Ich kann da vorläufig und unbeschadet aller späteren Pläne für eine Reorganisation nur fragen: Wie stellen sich die Verantwortlichen das vor? Und können sie sich nicht entschließen, durch ein Herausnehmen des Rundfunks aus dem unmittelbaren Parteienkriegsspiel schnell eine Tat zu setzen?

Mehr Rücksicht auf die Rundfunkleute

Wenn aber eine Einigung vorerst unmöglich ist, weil der eine meint, aus der Presseaktion werde ohnedies nichts herauskommen, der andere, man könne mit einem machtlüsternen Partner zur Zeit überhaupt nicht sachlich verhandeln, so lasse man wenigstens doch die Rundfunkleute endlich wieder halbwegs ruhig arbeiten.

Kann sich denn keiner von den Projektanten und Verhandlern vorstellen, wie es um Menschen bestellt sein muß, die seit Jahren mit Wasser kochen, in der Zeit der allgemeinen Hochkonjunktur ihre besten Pläne zurückstellen, die Produktion drosseln müssen und sehen, wie die Betriebsstätten veralten und verkommen? Kann man sich die Verdrießlichkeit und Verdrossenheit von Menschen vorstellen, die die künstlerische Kapazität Österreichs kennen, die wissen, worauf es im Rundfunk ankommt, die aber dem Hörer nicht geben können, worauf er Anspruch hat, die dafür den geistigen Ausverkauf Österreichs an der Theke erleben, die sehen, wie die Substanz dahinschmilzt, und die dann dafür als unfähig und nur auf Parteistreit erpicht gescholten werden?

Das Sieben-Schilling-Tabu

Von diesem sachlichen Notstand aber redet man längst nicht mehr. Seit 1955 müssen die Hörfunkprogramme von Jahr zu Jahr gekürzt werden, wird die Produktion erst mäßig, dann scharf gedrosselt, das Dritte Programm aufgegeben, das Erste Programm um 22 Uhr beendet, Orchester und Künstler können nicht mehr beschäftigt werden. Und dies alles nur, weil der Hörerbeitrag von sieben Schilling tabu ist und als Kampfmittel der Parteipolitik benutzt wird. Wie weit die Bundesländerstudios noch ihre Produktion aufrechterhalten werden können, ist eine Frage der allernächsten Zeit. Gewiß, diese Klagen sind eintönig, aber noch lange nicht so langweilig me die immer neuen Ausreden für die Verhinderung einer Sanierung.

Der Gesetzentwurf der Presse will diese Sanierung. Arbeitsfähig kann aber ein Rundfunk nur dann sein, wenn er, bei der strengsten Kontrolle seiner Ausgaben, nicht erst von Jahr zu Jahr die Mittel erhalten kann, mit allen Lähmungserscheinungen einer Budgetdiskussion oder gar mit dem immer wieder auftauchenden Vorschlag, den Abgang durch staatliche Zuschüsse zu dek- ken (Gewerkschaftsentwurf und letzthin im Leitartikel des fūhrėh- dėn Abstimmungsblattes). Wozu der Kampf um die Freiheit des Rundfunks, wenn der Rundfunk auf dem Weg über die Finanzierung verstärkt dem Einfluß des Staates unterworfen werden soll?

Artikel 3 des Gesetzentwurfes fordert drei Hörfunk- und zwei Fernsehprogramme. Ein Regional-, ein National- und ein exquisites Drittes Programm. Diese Forderung ist so alt wie der Zusammenschluß des Österreichischen Rundfunks in den Jahren 1953 und 1954. Im Sommer 1955 wollte ich die rein mechanischen Produktionsanteile der einzelnen Studios zu einer organischen Koordination führen. Das erste also sollte als Regionalprogramm den Intendanten dm Studios unterstellt werden, das nationale Programm aber unter einer zentralen Leitung stehen. Auf diese Art sollte den Wünschen der ländlichen Hörer, aber auch den Wünschen der Städter besser entsprochen werden. Da auch das Nationalprogramm die besten Produktionen der Länderstudios einkaufen sollte, wäre es zu einer innerösterreichischen scharfen und fruchtbaren Konkurrenz der Studios gekommen.

Dieser Vorschlag, der vielen Klagen den Boden entzogen hätte, konnte aus zwei Gründen nicht verwirklicht werden: Scharf charakterisierte Programme kann man nämlich nur ausstrahlen, wenn der größte Teil der Hörer alle drei Programme empfangen kann. Bereits 1955 hätte das damals weitaus bessere Programmbudget für diese Art Programmbildung nicht gereicht, schon gar nicht für ein erstklassiges drittes dazu. Sie sind auch auf die Dauer nicht mit den gegenwärtigen Honoraren zu bestreiten. Ich habe diesen Punkt deshalb ausführlicher behandelt, weil der Artikel 3 zu begrüßen ist, man aber dann auch den Mut zu einem eindeutigen Artikel 15 haben muß. Als ob es heute noch eines gewaltigen Mutes bedürfe, die Valorisierung von sieben Schilling zu fordern, als ob nicht viel mehr Mut dazugehörte, den Ausbau des Rundfunks in Österreich nach zehn Jahren weiter zu verhindern!

Ober die Entpolitisierung des Rundfunks wird sehr viel mehr geschrieben und geredet. Dabei hängt die „Entpolitisierung” mit den zu geringen finanziellen Mitteln auf das engste zusammen. Der „Entwurf” bringt einige gute Vorschläge. Er anerkennt auch, daß der Rundfunk aus der politischen Strategie eines Staates nicht herausgehalten werden kann. Er ist ka keineswegs auf Konzerte und Bühnenstücke beschränkt. Das Unbehagen, die Vergiftung des Arbeitsklimas, sie kommen von den Zeilenzählern, von Kritikern, die täglich politische Erfolge und Versager registrieren und zu den leitenden Personen und Mitarbeitern kein Vertrauen haben.

Objektivität, nicht Neutralismus

Wie der Kompromiß am Ende der Leidenszeit des Rundfunks auch aussehen wird, eine noch stärkere Verpolitisierung, wie sie im „Ar- beitsübereinkommen 1963” festgelegt, dann zurückgestellt wurde und von der SPÖ wiederum gefordert wird, ist wohl ausgeschlossen. Von einer Verstärkung einer gegenseitigen Überwachung sollte man doch endlich absehen, vor allem, wenn man sich auf die Institutibn eines Generalintendanten zu einigen scheint. Wenn ein Generalintendant aber bestellt wird, dann kann er nicht einem Vorstand unterstellt sein. Er kann aber nicht souverän eine Art Operndirigent spielen; man wird sich auch zu einigen anderen Dingen entscheiden müssen. Strenger Neutralismus wäre der Tod eines zeitgemäßen, lebendigen Programms; Objektivität ist nicht Neutralismus. Der „parteiungebundene Fachmann” ist eine im Grunde demagogische Prägung, sofern Uneingeweihte den Schluß ziehen, im Rundfunk säßen nur Dilettanten, aber keine Fachleute.

Mit solchen Pauschalanwürfen wird die Entwirrung der verfahrenen Lage nicht erleichtert. Auch der Slogan „schlechtes Programm”, „schlechtestes Programm der Welt” gehört dazu. Ein mit Wasser gekochtes Programm, gewiß; ein Programm, das, wie überall in der Welt, nicht allen Hörem gefallen kann; dennoch steht es in der internationalen Wertskala weit voran.

Die Aktion der Presse kann um so mehr zu einer Gesundung beitragen, je entschlossener sie auf diese Art pauschaler und persönliche Diskriminierung verzichtet.

Das Vertrauen zurückholen

Einstimmigkeit oder Mehrstimmigkeit des Vorstandes, gerade oder ungerade Zahl, das alles ist eine Sache des Vertrauens. Kann man das während der Besatzungszeit gewiß auch nicht ungetrübte, aber immerhin sehr fruchtbare Vertrauen zurückholen? Können die Parteien über ihren Schatten springen und den Männern, denen sie ihr Vertrauen schenken, dann tatsächlich vertrauen, auf Jahre hinaus und ohne kleinliche Gängelei? Wie immer eine Konstruktion aussehen wird, es kommt darauf an, ob die Parteien den Mut haben werden, dem Rundfunk Freiheit in den Grenzen der Verantwortung zu geben, und ob die Verantwortlichen des Rundfunks den Mut besitzen, diese Freiheit unter allen Umständen wahrzunehmen, gegen alle Einflüsse von außen, aber auch wirklich gegen alle, nicht nur gegen die parteipolitischen!

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