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Mehr Stühle an den Ministertisch

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In Hinkunft werden bei den Sitzungen des Ministerrates mehr Stühle an den grünen Tisch gerückt werden müssen. Das Kabinett Raab IL, dessen Ministerliste nun vorliegt, ist größer geworden. Die erwartete und von allen staatspolitisch verantwortungsbewußten Oesterreichern bejahte Erneuerung der seit über einem Jahrzehnt bestehenden Koalition zwischen Volkspartei und Sozialisten wird durch eine Kontinuität in allen wesentlichen Ressoits nur unterstrichen.

Daneben geben allerdings einige personelle Veränderungen beziehungsweise Umplacierungen dem Kabinett neue Akzente. Da ist zunächst das zweite Staatssekretariat im Außenamt. Seit der provisorischen Staatsregierung und einer späteren Ausnahme hat es keine drei Mann in einem Ressort gegeben — und nun dies noch dazu bei den auswärtigen Angelegenheiten, die bekanntlich kein eigenes Ministerium, sondern ein Teil des Bundeskanzleramtes sind! Dazu kommt die diffizile Materie, der sich der „dritte Mann“ widmen soll. Man kann es verstehen, daß Professor Gschnitzer dem Vernehmen nach erst nach zweimaliger Weigerung dem Ruf auf Jie Regierungsbank gefolgt ist. Das Kabinett hat mit dem bekannten Innsbrucker Universitätsprofessor gewiß eine geistige Persönlichkeit gewonnen. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere wurde leider zu betrachten vergessen: dem Parlament ist einer seiner markantesten Köpfe an die Regierung verlorengegangen.

Der Gedanke eines selbständigen Ministeriums für Landesverteidigung hat sich durchgesetzt. Für den bisherigen Staatssekretär im Innenministerium bedeutet die Betrauung mit der Leitung des neuen Ressorts die Erfüllung eines langgehegten, gar nicht so geheimen Wunsches. Die Arbeit und die Verantwortung, die auf Minister Graf warten, sind nicht gering. Der Aufbau des kleinen österreichischen Heeres tritt in ein entscheidendes Stadium. Es gilt, mehr zu schaffen, als eine „antikommunistische Schutztruppe“: nämlich einen Hort österreichischen Patriotismus' und unbedingter, jeder Erprobung .standhaltender Staatstreue. Auf das geistige Fundament kommt es also genau so an wie auf das materielle. Vielleicht sogar noch mehr. Kein Wunder, daß alle, die dieses Land lieben, das Werden der jungen Truppe und die Schritte des zuständigen Ministers mit sehr wachem Interesse verfolgen. Der neue Staatssekretär im Innenministerium kommt aus Vorarlberg. Man darf von Staatssekretär Grubhofer erwarten, daß er aus der FJeimat Jodok Finks etwas von dem guten, nüchternen Sinn in die Bundeshauptstadt mitbringt, der der österreichischen Politik bisher stets von Nutz und Frommen gewesen ist. Ohne Krone — ohne die Zahnradkrone der verstaatlichten Betriebe — kommt Ingenieur Waldbrunner — nunmehr Minister für Verkehr und Energie — jn den Ministerrat zurück. Die Ersetzung des kaum stärker an die Oeffentlich-keit getretenen bisherigen sozialistischen Staatssekretärs im Handelsministerium Fischer durch Eduard W e i k h a r d, mag dem Wunsch nach einem politisch stärker profiliertem Mann zur Ursache haben. Vom Minjsterialsekretär zum Staatssekretär rückte der Vertrauensmann der SPOe für Heerwesen, Dr. S t e f a n i, auf. Er wirkte bisher im Verborgenen als eine Art ,.Meldekopf“. Die Oeffentlichkeit wartet auf seine Visitenkarte.

Dr. Otto Tschadeks Rückkehr in das Justizressort nach jahrelanger Abwesenheit war eine letzte — und vielleicht die einzige — Ueber-raschung der Ministerliste. Er tritt an Stelle von Dr. Kapfer, der seinem Ruf als namhafter Jurist während seiner Ministerschaft alle Ehre machte, wohl aber in verschiedenen Fällen, wo nun einmal die Politik — mag man noch so darüber klagen — in die Nähe des Ressorts kommt, nicht immer jenes Fingerspitzengefühl bewiesen hat, das man ihm gerne gewünscht hätte. Dr. Otto Tschadek hat als Parteimann einen Teil der öffentlichen Meinung bei seinem abermaligen Einzug in das Haus am Schmerlingplatz gegen sich. Wir möchten nicht von der Vergangenheit sprechen. Die Zukunft gibt dem neuen-alten Minister in seinem Arbeitsbereich jedenfalls die Möglichkeit, wesentliche Vorarbeit zu der fälligen Bereinigung der offenen Fragen zwischen Kirche und Staat zu leisten. Die Ministerliste liegt vor. In diesen Tagen wird das Kabinett seinen Eid auf die Verfassung leisten. Dann geht es ins Parlament. Erst mit der Abgabe und Billigung der Regierungserklärung wird die Regierung in aller Form in ihrem Amt bestätigt sein. Inzwischen können aber bereits ruhig einige Stühle mehr für den Ministerrat bereitgestellt werden ...

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