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Mehrheit — Einheit

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Was Italiens Regierungspartei, die Christliche Demokratie, auf ihrem Kongreß im Oktober sucht, ist eine Mehrheit, eine Politik, die Einheit. Ja, wäre die Einheit wiederhergestellt, würde sich auch eine mehrheitlich unterstützte Politik leicht finden lassen. Alles hängt also von dem Erfolg der Bemühungen des gegenwärtigen Parteisekretärs Aldo Moro ab, einen Ausgleich zwischen seinem Vorgänger Amintore F a n- f a n i und dessen Anhänger auf der einen Seite und dem rechtsorientierten Flügel der Partei auf der anderen zu erzielen. Wenn er bei dieser diplomatischen Herkulesarbeit versagen sollte, ist leicht vorauszusehen, daß sich für Italien eine Periode verstärkter innenpolitischer Unruhe ankündigt.

Im Schutze einer ausreichenden parlamentarischen Unterstützung seitens der Rechtsparteien hat die Regierung Antonio S e g n i s nur scheinbar ruhigfe Fahrt gehabt. Unter der Mannschaft des Regierungsschiffleins gab es Unzufriedenheit und Gärungen. Es sind die Manen De Gasperis beschwört worden, und man hielt die Berufung der DO als sozialreformatorische, der Linken zugewendete Partei für verraten. Der äußerste linke Parteiflügel, die „Basis", verhielt sich am widerspenstigsten und lehnte geradezu einen Ministerposten ab. Die wohlorganisierte Fraktion der christlichen Gewerkschaften und der Arbeiterschaft in der Katholischen Aktion, „Rinnovamento demo- cratico“, brachte zwar der Regierung Segni als im gegebenen Zeitpunkt einzig mögliche Lösung ein gewissses Verständnis entgegen, aber auch ihr war nicht sehr wohl dabei, und sie gab deutlich zu verstehen, daß ihr eine Regierung der linken Mitte lieber wäre. Die Fanfanianer verhielten sich nach außen hin ruhig; aber ihre unablässige, zähe, geduldige Arbeit an der „Pheripherie“ der Partei, in den Landesleitungen, Sektionen, Gruppen, zeigte klar genug, daß sie Fanfanis Rücktritt von der Regierung und vorn Pärteisekre- tanat nicht als endgültig betrachteten, sondern für seine triumphale Wiederkehr wirkten.

Der Parteileader aus der Toskana verhielt sich selbst keineswegs so, wie nach einer „seelischen Krise“ ein Mann sich zu benehmen pflegt. Der Politiker hatte im Februar den Posten des Ministerpräsidenten niedergelegt, weil ihn Koalitionspartner und Freunde der eigenen Partei im Stich gelassen hatten; es bedurfte keiner parlamentarischen Abstimmung, um sich über die Situation Rechenschaft abzulegen. Er legte kurz nachher auch das Parteisekretariat zurück, weil er besser als andere erkannte, daß er auch im Vorstand in der Minderheit war, mehr noch, daß seine eigene Fraktion der „Iniziativa democratica", mit der er auf dem Kongreß von Neapel 60 Prozent der Delegiertenstimmen und damit die Partei „erobert“ hatte, gespalten und mehrheitlich gegen ihn war. Bei der Abstimmung im Consiglio Nazionale unterlagen die treu gebliebenen Fanfanianer den abgefallenen „Dorotheern“ so genannt nach dem Kloster der Dorotheerinnen, wo sie sich versammelt hatten, und der Rücktritt blieb endgültig.

Wie lange Fanfanis seelische Krise, die Zurückgezogenheit in klösterliche Stille, die Lektüre des heiligen Augustinus und katholischer philosophischer Schriftsteller gedauert hat, ist schwer zu sagen. Aber im vergangenen August haben wir ihn mit dem altgewohnten jugendlichen Eifer und mit unverminderter Energie am Werk gesehen, überall im Land, von Aosta bis Catania, seinen Einfluß und seine Anhängerschaft zu stärken. Reisen, Reden, Versammlungen, Zusammenkünfte, Absprachen mit versprengten Gruppen und Grüppchen haben sichtbaren Erfolg gebracht. Der Sekretär der Landesleitung in Florenz, ein „Dorotheer“, mußte den Hut nehmen, an seine Stelle trat ein Fanfanianer. Die Leitung in Palermo ging mehrheitlich in die Hände von Fanfanianern über. Die beiden ersten Provinzkongresse der DC, die von Asti und Ascoli Piceno, gingen für die Fanfanianer siegreich aus. Sicherlich ist es verfrüht, daraus gültige Schlußfolgerungen über das Kräfteverhältnis auf dem kommenden Nationalkongreß in Florenz zu ziehen, aber „Dorotheer“ und die Rechtsgruppen der Partei, die des Verteidigungsministers Andreotti „Primavera“, die des Außenministers Pella und der alten Notabein, sehen mit wachsender Sorge das Wiederaufleben des Fanfanianismus.

Die schweren Erschütterungen, welche der Sturz Fanfanis im Parteiapparat bewirkt hatte, die Schlappe, welche die Partei in Sizilien gegen Silvio Milazzo und seinen opportunistischen Autonomismus erlitten hatte, die Tatsache, daß die Kommunistische Partei in keiner Weise geschwächt erscheint, sondern im Gegenteil sowohl in Aosta wie in Sizilien mit Hilfe bürgerlicher Parteien an die Regierung gelassen worden ist, und jene Tatsache, daß in der Democrazia Cristiana zwei so gegensätzliche Positionen wie die Fanfanis und die des konservativen Gegenspielers Ändreotti nebeneinander nicht bestehen können: das alles zusammengenommen hat den Parteisekretär Aldo Moro bewogen, einen letzten, äußersten Versuch zu unternehmen, um „Dorotheer" und Fanfanianer auszusöhnen und um ein starkes Zentrum herum immer mehr Anhänger zu scharen. Wie die Dinge derzeit liegen, ist keine der verschiedenen Fraktionen in der Lage, auf dem Kongreß die Mehrheit allein zu erringen. Bündnisse sind notwendig, sie müssen aber gleichzeitig in einer Weise geschehen, daß sie nicht sofort nach dem Kongreß wieder auseinanderbrechen. Moro hat also von Triest aus vierzehn Punkte als Plattform für eine neue politische Einheit in der Partei verkündet. Die Aktualität der kommunistischen Bedrohung, die Kritik an der zweideutigen Haltung der Linkssozialisten Nennis, die Anerkennung für Segnis Regierungsarbeit mußten dem rechtsorientierten Flügel der Partei wohl in den Ohren klingen. Die Bekräftigung, daß die DC ihre „ursprüngliche demokratische, volksverbundene, antifaschistische Berufung als wesentlich, unveräußerlich und vollkommen aktuell betrachtet“, sowie die „Zuführung der Volksmassen in den Staat" und die Anerkennung fe Fanfanis. AWerk Partei und; Regiert« mußten auf dem linken Parteiflügel versöhnlich stimmen. Lebhafte Zustimmung ist Moro von vielen Seiten zugekommen. Aber von der Seite, an der ihm am meisten gelegen ist, von Fanfani nämlich, kam sie nicht. Und die „Basis“

betrachteten die Ausführungen Moros geradezu als unzureichend.

Die Vorgänge im Innern der christliclidemo- kratischen Partei sind von solcher Bedeutung für die Entwicklung in der nächsten Zukunft, daß alle anderen Parteien ihre Haltung entsprechend orientieren, um im Rahmen ihrer Möglichkeit den Gang des DC-Kongresses zu beeinflussen. Die Neofaschisten- versichern ihre „selbstlose“ Unterstützung jeder rechtsgerichteten Regierung gegenüber; die Monarchisten, die sich seit einigen Monaten nicht mehr Monarchisten, sondern „Demokratische Partei" nennen, sind uneins: ein Teil möchte, mit der Nase Witterung nehmend, eine leichte Linksschwenkung voll- !’ ziehen und auch für eine Regierung des linken Zentrums akzeptabel werden; die Sozialdemo- 1 kraten würden gerne Fanfanis Wiederkehr sehen, ‘ aber sie ebenso wie die Republikaner verstum- ‘ men, wenn die Frage nach einer Mehrheit für ‘ eine Regierung der linken Mitte aufgeworfen ! wird.

Am bemerkenswertesten sind die Reaktionen in der Nenni-Partei. Im Jänner hatte Pietro Nenni für seine Linkssozialisten „entweder die ganze Macht oder Opposition“ gefordert und ‘ jeden „Dialog mit den Katholiken“ abgelehnt. 1 Nun hat Nenni die mit einem Knall geschlossene ! Tür wieder einen Spalt breit geöffnet. „Wir sind 1 aber doch bereit, eine christlich-demokratische ‘ Regierung, wenn sie nur ein einigermaßen fort- ‘ schriftliches Programm vorweist, durch unsere 1 Neutralität zu stützen“, ruft er hindurch. Die sozialistische Alternative für die christliche Demokratie ist über Bord geworfen. Die i Schwäche der isolationistischen Konzeption Nennis, wie sie auf dem Sozialistenkongreß in . Neapel im vergangenen Winter die Oberhand , gewann, hat sich rasch als undurchführbar er- , wiesen, denn sie war nur die Endstation, ohne etwas über die ReisemitteK zu -jagen. V ec- , rhieiti, der Exponent des Apparates, und . B ä s s o, der Führer des Parteizentrums, haben ‘ damals Kritik geübt, weil ihrer Meinung nach . ohne Kommunisten keine Politik der Alternative verfolgt werden könne. Jetzt sind es gerade.

Vecchietti und Basso, die Nenni ermuntern, die ‘Einheit im Linkssozialismus im Zeichen einer Zusammenarbeit mit den Christlichen Demo- kraten wiederherzustellen. Konnte sich Nenni eine solche Gelegenheit entgehen lassen? Die Aufrichtigkeit des Angebots wird aber bei der katholischen Partei durchweg angezweifelt. Selbst die „Basis“ finden den Augenblick denkbar schlecht gewählt, und Fanfani, der sich durch den gereichten Arm kompromittiert fühlt, beeilte sich, festzustellen, er habe niemals bei der Oeffnung nach links an die Linkssozialisten gedacht. Man möge ihm solche Absichten nicht unterschieben. Das Mißtrauen ist berechtigt, weil die Kommunisten dem Manöver der Linkssozialisten Applaus gespendet haben. Mehr noch als das, Togliatti würde mit einem Sprung über Nenni hinwegsetzen und sogar für eine christlichdemokratische Regierung stimmen, wenn diese gewissen Anforderungen entspricht.

Am letzten Jännertage hatte Amintore Fanfani in seinem.Demissionsbrief an den Präsidenten der DC, Adone Z o 1 i geschrieben: „Ich bringe dieses Opfer, um jeden Vorwand bei dem so notwendigen Einigungswerk’in der DC aus dem Wege zu räumen. Diese Einigkeit ist ihr so unentbehrlich wie noch nie, wenn die Partei weiterhin dem Vaterlande in aufrichtigem, christUcbtm., -Geist dienen A will, wie- es ihm-, Pflicht ist. " Fanfanis momentanes Ausscheiden hat nur vorübergehend den Frieden in die Partei gebracht. Mehrheit — Einheit: Die christliche Demokratie Italiens steht vor schweren Entscheidungen. Nur die christliche Demokratie Italiens?

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