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Mein denkwürdigstes Jahr

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Am Montag, den 3. September 1945, gab der russische Kommandant Major Kapelkin ein Abschiedsbankett im „Meissl“ auf dem Heumarkt. Alle meine Mitarbeiter waren eingeladen, es ging hoch her, man tanzte russische Tänze, das Lieblingslied des Kommandanten wurde unzählige Male gesungen. Damit war die Tätigkeit der russischen Besatzungsmacht im dritten Bezirk beendet. Kapelkin wurde Kommandant des vierten Bezirkes, wo ich noch einige Male bei ihm intervenierte. Zuletzt traf ich ihn, als er Kommandant von Klosterneuburg war, um über Ersuchen des Klosterneuburger Abtes Alipius Linda die Umwandlung des Prälatenstüberls in eine Küche zu verhindern.

Mein Kontakt mit den britischen Offizieren war recht eng. Ich verkehrte viel im Salmpalais, wo sich der Sitz der Abteilung für „public relations“ befand und ich auch Patrick Smith kennenlernte.

Die offizielle Übernahme des Bezirks durch das britische Element fand am 7. September 1945 im Gartenbaudirektionsgebäude statt, wo schon der Union Jack flatterte.

Wie schon erwähnt, bedeutete In den ersten Wochen meiner Amtstätigkeit das Problem, den Ausgebombten Wohnungen zu verschaffen, eine schwere Belastung und Verantwortung für mich. Mangels jeglicher gesetzlichen Regelung und eines hierfür zur Verfügung stehenden geschulten Beamtenapparates mußte man sich mit den primitivsten Behelfen bemühen, der Wohnungsnot Herr zu werden. Hunderte Personen umlagerten täglich meine Amtsräume. Es ist später viel darüber geschrieben worden, und ich will hier auf Grund authentischer Grundlagen eine objektive Schilderung geben.

Die Zuweisung der Wohnungen erfolgte zu verschiedenen Zeiten verschieden. &#9632;* o. <“ **.'.“

In der ersten Phase vom 6. bis 21. April 1945 geschah die Zuweisung durch die Bezirksbürgermeister mittels Zettel oder sogenannter „vorläufige Einweisungsscheine“, ohne daß eine Uberprüfung möglich gewesen wäre. Grundlage waren Befürwortungsschreiben einer der drei demokratischen Parteien. Als „geflüchtet“ galt jeder, dessen Wohnung ab 6. April unbesetzt war, gleichgültig, ob tatsächlich oder ob der Wohnungsinhaber aus dienstlichen Gründen abwesend oder wegen Fliegergefahr evakuiert war. In dieser Periode wurden in Wien 10.000 bis 12.000 Wohnungen vergeben.

In der zweiten Phase vom 21. April bis 2. Juni nahmen die Außenstellen des Wohnungsamtes in den Bezirken die Einweisung vor. Grundlage bildete damals die Bestätigung des Hausvertrauensmannes, daß die Wohnung leerstünde, und die Bestätigung des Baueinsatzstabes über die Unbewohnbarkeit der bisherigen Wohnung, welcher wieder der sogenannte „Bombenschein“ zugrunde lag.

Auch bereits in der ersten Phase Eingewiesene mußten sich nunmehr derartige Fliegerscheine besorgen.

In der dritten Phase ab 2. beziehungsweise 4. Juni wurden die Außenstellen des Wohnungsamtes aufgelöst und es begann die zentrale Einweisungstätigkeit des Wohnungsamtes. Die Abwicklung gestaltete sich schleppender als bisher wegen des Andranges und der Überlastung des Beamtenapparates. Der Unfug, der dabei durch berufsmäßige Wohnungsvermittler, die sich mit Dauerpassierscheinen auszustatten wußten, getrieben wurde, führte dazu, daß eine generelle Wohnungsbegehung angeordnet wurde. Diese wurde durch aus Vertretern der drei Parteien zusammengesetzte Kommissionen ausgeführt. Diese Aktion kostete 1,5 Millionen Reichsmark und erwies sich als unzulänglich, da trotz des Widerspruches der Se-zirksvorsteher Nationalsozialisten einbezogen wurden. Dle^s müßten Im letzten Moment herausgezogen und durch ungeschulte Personen ersetzt werden.

Trotzdem dienten die Ergebnisse dieser Aktion als Unterlage für die spätere paritätische Wohnungskommission.

Die vierte Phase — Ende Juli — wurde durch den Umstand eingeleitet, daß viele der „geflüchteten“ Wohnungsinhaber zurückkehrten und in ihre früheren Wohnungen zurückkommen wollten.

Man beließ die in der ersten und zweiten Phase eingewiesenen Mieter in ihren Wohnungen, während man die später Eingewiesenen anderwärts unterbrachte, so daß die früheren Wohnungsinhaber wenigstens zum Teil ihre ehemaligen Wohnungen wiedererhielten.

Weiter forderte das Wohnungsamt Hauseigentümer und Verwalter auf, alle Wohnungen, deren Inhaber unter die Bestimmungen des 17 Verbotsgesetz fielen, gemäß 22 dieses Gesetzes zu kündigen. Diese Maßnahme hatte einen sehr geringen Erfolg, weil jeder vor den Kosten — Bestellung eines Abwesenheitskurators usw. — und der langen Dauer eines Kündigungsprozesses zurückscheute.

Eine weitere Maßnahme des Wohnungsamtes war der sogenannte Zwangstausch, wonach der betreffende Nationalsozialist auf Grund des 26 des Staatsgesetzes Nr. 138 vom 22. August zwei Mangelwohnungen (bombenbeschädigte) zur Auswahl angeboten erhielt. Auch dieser Versuch erwies sich als untauglich, da sich die Bezirksvorsteher weigerten, dem Wohnungsamt Dienste zu leisten, ohne ein Recht auf die Zuweisung der Wohnung zu erhalten. Die Zwangstauschanträge hätten nämlich von zwei Mitgliedern der Bezirksvorstehung gefertigt werden sollen.

Im Spätherbst des Jahres wurde ein Wohnungsamt für Untermieter in der Kohlgasse im fünften Bezirk ins Leben gerufen, mit der Aufgabe, zurückgekehrte Nationalsozialisten als Untermieter in ihre früheren Wohnungen einzuweisen, falls der derzeitige Mieter damit einverstanden wäre. Es liegt auf der Hand, daß auch diese Maßnahme scheiterte.

Fünfte Phase: Man reaktivierte die Außenstellen in den Bezirken in der Form von Erhebungsstellen. Sie hatten an Ort und Stelle die Grundlagen für die Punktebewertung zu beschaffen. Ein dreigliedriger Wohnungssenat im Wohnungsamt entschied nach Einholung der Zustimmung der betreffenden alliierten Stelle.

Mißbräuche, die sich dabei ergaben, veranlaßten eine neuerliche Reform des Wohnungsamtes, die noch im Laufe des Jahres 1946 durchgeführt wurde.

Bald — im Herbst 1945 — kündigten sich die kommenden Wahlen an. Eines Tages bat man mich, als Kandidat für den Wiener Gemeinderat und Landtag aufzutreten. Ich stimmte zu, obwohl ich mich nie zuvor mit Politik beschäftigt hatte.

Eine anstrengende Zeit stand mir nun bevor: Gemeinsam mit dem Bezirksamtsleiter Dr. Dietmann fuhr ich tagelang im Bezirk umher, um Wahllokale ausfindig zu machen. Schulen gab es zu wenige, also mußten Büro-, Fabrikräume, Bahnhofshallen usw. ausfindig gemacht werden. Trotzdem fand ich noch Zeit, um eine Aktion zu starten, das verfallene Grab Mozarts auf dem Sankt Marxer Friedhof wieder instand zu setzen, wobei ich bei Direktor Pem-mer und Stadtrat Matejka volles Verständnis und Unterstützung fand.

Bald darauf hielt ich die erste politische Rede meines Lebens. Es war dies in einem Gasthaus in der Schlachthausgasse. Bevor ich beginnen konnte, gab es, wie damals häufig, eine Stromstörung. So sprach ich eben im Finstern. Am 22. November stellte ich mich in einer großen Wahlversammlung im' Sofiensaal den Wählern meines Bezirkes vor.

Sonntag, den 25. November 1945, war Wahltag. Ich hatte vom frühesten Morgen bis zum späten Nachmittag mit der Beaufsichtigung der Wahllokale zu tun und mußte um 19 Uhr im Innenministerium sein, da ich der Hauptwahlbehörde angehörte.

Eine unerhörte Spannung, die ständig einlaufenden Berichte über den Stand der abgegebenen Stimmen, aufgeregt hin und her eilende Reporter und Journalisten, allüerte Offiziere, die über alles mögliche Auskunft haben wollten usw. Um 23 Uhr war so ziemlich alles zu Ende und ich fuhr todmüde nach Hause. So begann meine politische Laufbahn als Landtagsabgeordneter und Gemeinderat von Wien.

Am 16. April 1946 fand im Rathaus die feierliche Übernahme der Bezirksvorsteher und Stellvertreter durch Bürgermeister Körner und damit die Gemeinde Wien statt. Damit endete meine Tätigkeit als Bürgermeister der Landstraße. Sie hatte genau ein Jahr gedauert, außergewöhnliche physische und geistige Leistungen von mir gefordert, aber mich auch mit großer Befriedigung erfüllt, selbständig, unter eigener Verantwortung für einen Bezirk mit rund 100.000 ' Bewohnern sorgen t\i dürfen und, was für mich das Wichtigste war, den Mitmenschen in der Not beistehen und helfen zu dürfen.

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