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Mein Leben neben und in der Furche

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Beziehungsgeschichte eines Autors und einer Zeitung: Worauf man sich bei der FURCHE immer verlassen konnte.

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Beziehungsgeschichte eines Autors und einer Zeitung: Worauf man sich bei der FURCHE immer verlassen konnte.

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Ich muß Kurt Skalnik Ende Mai oder Anfang Juni 1953 kennengelernt haben, denn meine erste Glosse in der Furche, die erste von an die tausend, erschien am 13. Juni jenes Jahres und hatte zur Folge, daß -ich hatte es nicht vorhersehen können, jedenfalls nicht vorhergesehen -eine sympathische Mitarbeiterin des amerikanischen Leseraumes ihren Job verlor. Diese meine erste Furche-Glosse war die unmittelbare Folge eines Gespräches mit Skalnik in der Setzerei. Ich kam hin, um dem Redakteur einer anderen Zeitung einen Beitrag zu übergeben und Skalnik sagte etwa folgendes zu mir: „Sie sollten für die Furche schreiben!” Ich antwortete: „Wissen Sie denn, wie ich es mit der katholischen Kirche halte?”

Drauf er: „Das ist mir gleichgültig, Sie sind ein Nazigegner und daher gehören Sie in die Furche! Auf meine Frage, was ich denn für die Furche schreiben solle, meinte er, das könnten zum Beispiel Glossen sein.

Der hungrige, aber grundsätzlich hoffnungsfrohe junge Mann, der ich damals war, konnte nicht ahnen, daß ihn die Mitarbeit, die mit diesem Gespräch begann, mit einer mehrjährigen Unterbrechung in der Phase der „zugepflügten Furche” sein ganzes künftiges Leben lang zeitweise begleiten und zeitweise auch ausfüllen, noch weniger aber, daß die Grundhaltung, auf die Skalnik anspielte, ein Menschenalter später in Osterreich noch notwendig sein sollte.

Ich hatte es immer nur zeitweise leicht in der Furche und deren Chefredakteure und Herausgeber hatten es oft nicht leicht mit mir, aber für unser Verhältnis galt gerade in spannungsreichen Zeiten, was ich in einer der weniger guten Phasen der Furche auf die Frage, wie ich es denn aushielte in dieser Zeitung, geantwortet habe: „Wenn diese Zeitung jemanden wie mich aushält, dann muß wohl auch ich sie aushalten.” Das Verhältnis zwischen den Chefredakteuren und Herausgebern und mir war selten von voller, phasenweise nur noch von einstimmung, aber fast durchgehend von einer Toleranz bestimmt, deren Tragfähigkeit mich im Rück -blick erstaunt.

Ich verdanke der Furche aber auch eine Menge. Sie war, als ich für sie zu schreiben begann, eine nicht nur einflußreiche, sondern auch auflagenstarke Zeitung und bot dem ambitionierten, aber recht lückenhaft gebildeten jungen Mann, der ich war, ein intellektuell außerordentlich anregendes und förderliches Klima. Die Sorgfalt, mit der sie redigiert wurde, war vorbildhaft. Jede Seite wurde von zwei

Redakteuren korrigiert, dabei wurden stilistische Streitfragen besprochen, ein Ritual, zu dem sich die gesamte Redaktion im Konferenzraum, mit seinen verglasten Bücherschränken um eine Reihe grün betuchter Tische versammelte. Die Einladung, an der Seitenkorrektur teilzunehmen, hatte fast die Qualität einer Initiation. Der Konferenzraum, ironisch gelegentlich auch „Kaffeehaus” genannt, war ein kommunikationsfördernder Ort. Friedrich Funder, mehr und mehr zurückgezogen und mit der Arbeit an seinen Erinnerungen beschäftigt, warf gelegentlich einen Blick herein. Hier lagen alle Zeitungen auf und an den weniger hektischen Tagen ließen sich auch Freunde des Hauses wie etwa der Vater des damaligen Furche-Redakteurs Friedrich Heer zur Lektüre häuslich im Konferenzzimmer nieder.

Hier schrieb ich als ständiger Mitarbeiter jahrelang fast ausschließlich Glossen für die zweite, ganz dieser kleinen, aber anspruchsvollen journalistischen Form vorbehaltene Seite, die „Querschnitte” hieß. Sie wurde, da neue Chefredakteure fast immer glauben, den alles neu machenden Mai spielen zu müssen, anläßlich eines Führungswechsels eingestellt, es ist noch heute schade darum, weil man hier pointiert auf eine Vielzahl kleiner, aber aussagekräftiger Zustände und Vorfälle eingehen konnte. Formale Innovationen waren nicht nur gestattet, sondern erwünscht, ich konnte meine persönliche Form der satirischen Glosse in Dialogform entwickeln, in der damaligen österreichischen Presse eine ziemlich allein dastehende Sache, aber auch eine undankbare, da diese Beiträge grundsätzlich anonym erschienen. Später wurde daraus für einige Jahre meine wöchentliche politische Satire „Lukian”.

Selbst große, wichtige Beiträge erschienen in der Furche anonym. Eine weitere Besonderheit war die Furchetypische Zurückhaltung im Ton selbst bei größter Härte in der Sache, die die Wirkung mancher Beiträge für heutige Leser schwer verständlich erscheinen läßt. Sie zählte zu den Fur-che-Spezifika, auf die man stolz war, die gepflegt und bis in die siebziger Jahre hinein weitergegeben wurden.

Ich habe freilich nie ausschließlich und vor meinem Eintritt als Redakteur viele Jahre nur gelegentlich für die Furche geschrieben. Weshalb ich die hausinternen Grabenkämpfe nur teilweise mitbekam, die 1967 zur größten Zäsur in der Geschichte der Zeitung und zum abrupten, nun, nennen wir es Abgang, von Kurt Skalnik und fast der gesamten Redaktion führten (auch ich habe das Haus jahrelang nicht mehr betreten). Aber an den Schreck der Redaktion, als sie ein paar Jahre vorher eines Morgens vor einer Wand stand, wo am Vortag noch eine Tür gewesen war, erinnere ich mich noch gut. Die Redaktion hatte bis dahin einen bequemen Zugang zur Technik gehabt: Er führte durchs Vorzimmer auf den Gang, durch eine Tür über zwei Stufen ins Hinterhaus mitder Druckerei und ein paar Schritte weit durch die Maschinen- in die Handsetzerei - den Ort, an dem überall auf der Welt die Metteure in enger Zusammenarbeit mit den Redakteuren der Zeitungen den Bleisatz zu fertigen Seiten zusammenfügten.

Eines Morgens war, wie hergezaubert, wo die Tür gewesen war, eine verputzte und frisch getünchte Wand. Fortan mußte man mit dem Aufzug zwei Stockwerke hinunterfahren, über einen Hof gehen und mit einem Lastenaufzug die zwei Stockwerke wieder hinauffahren, um in die Handsetzerei zu kommen. Weit über ein Jahrzehnt lang legte mancher an manchen Tagen diesen Weg auch fünfmal zurück. Eine Grabenkriegs-Episode? Oder technische Notwendigkeit? Der Mauerbau wurde mit der Anschaffung weiterer Setzmaschinen begründet, wodurch zuwenig Platz für die durchgehenden Redakteure übriggeblieben sei.

Redakteur der Furche war ich zwanzig Jahre meines Lebens. Zeitweise für das gesamte Feuilleton, wie man das heute nennt, zuständig, also für Kultur, Literatur und Bücher, mehr als 15 Jahre lang als Theaterkritiker und Ressortleiter für Wissenschaft und Zeitgeschichte. Eine ambivalente Anekdote erlebte ich 1976. Unsere Einstellung war verfügt, die letzte Nummer ging gerade in Druck, ich hatte einen der umfänglichen Nachrufe auf die Furche verfaßt und nicht mit Pathos gespart, da kam die Nachricht, die Bischofskonferenz habe die Weiterführung der Zeitung beschlossen. Ich konnte gerade noch überall „die Furche war...” auf „die Furche ist...” ausbessern, doch was als Nachruf nicht übertrieben geklungen hatte, las sich nun als dickes Selbstlob.

Daß ich so lange bei der Furche geblieben bin, hatte ab einem bestimmten Zeitpunkt gewiß auch, aber nicht nur, mit Immobilität zu tun, sondern auch mit der - zugegeben, vielleicht etwas subjektiven - Überzeugung, eine bestimmte Linie, eine bestimmte Tradition dieser Zeitung zu verkörpern, zeitweise nahezu allein, zumindest in der Schärfe, wie dies bei mir der Fall war. Es war das, worauf mich Skalnik bei unserem ersten Zusammentreffen angeredet hatte. Mancher Furche-Chef hat über mir gelitten, ei -nen der Redaktion nicht erwünschten habe ich in exponierter Stellung verhindern geholfen, aber die Rechnung, die mir dafür bei anderer Gelegenheit präsentiert wurde, war auch nicht gerade kulant.

Manchmal komme ich mir hier vor wie der Gingko biloba, der Baum, der alle seine Feinde überlebt hat. Über und neben mir niemand mehr, dem ich böse sein müßte. Ich bin nicht mit allem einverstanden, was in der Furche steht, und nicht alle mögen alles, was ich schreibe. Aber genau das, Toleranz und Dialog unter der Grundvoraussetzung christlicher Humanität, schwebte Funder vor, als er diese Zeitung gründete.

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