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Meine Preise, deine Preise...

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Die Auseinandersetzungen um die Erhöhung der Tarife der Wiener Verkehrsbetriebe gehen eigentlich um ein eminent volkswirtschaftliches und im besonderen um ein betriebswirtschaftliches Problem: Um die Frage, ob öffentliche Unternehmungen in allen Fällen ihre Preise auf Basis der Selbstkosten errechnen oder ob sie in manchen Gütersparten soziale Preise ansetzen sollen. Unter einem sozialen Preis versteht man einen Preis, der aus sozialen Gründen — etwa weil es sich um ein Gut des Massenkonsums handelt, dessen Erwerb Unbegüterten nur unter großen Opfern möglich ist — unter den Selbstkosten angesetzt ist. Soziale Preise können daher im allgemeinen nur von Unternehmungen verlangt werden, die sich in öffentlichem Eigentum befinden. Die Differenz zwischen den Selbstkosten und dem niedrigeren Verkaufserlös wird entweder aus öffentlichen Mitteln abgedeckt (daher, soweit es sich um Mittel aus der Einhebung der Einkommensteuer handelt, zu einem großen Teil von den sagenhaften .„Reichen“ gezahlt) oder aus den Gewinnen refundiert, welche das gleiche öffentliche Unternehmen beim Verkauf anderer Güter erzielt (Prinzip der Umwegsrentabilität).

•In der erregten Diskussion um die Erhöhung der Tarife der Wiener Verkehrsbetriebe wurden nun von der Minderheit im Wiener Gemeinderat zwei wichtige Fragen aufgeworfen, die über den Bereich der Wiener Kommunalverwaltung hinaus Bedeutung haben.

Erstens handelte es sich um die Frage, welchen Einfluß Preiserhöhungen mit besonderer volkswirtschaftlicher Gewichtigkeit auf das Lohn-Preis-Gefüge' haben. Löhne und Preise sind in Oesterreich seit Jahren einigermaßen ausbalanciert. Die Profitblindheit mancher Unternehmer und die Konsumgier mancher Dienstnehmer will von diesem Tatbestand keine Kenntnis nehmen. Erst wenn wieder Preise und Löhne einander überholend in Bewegung sind, werden die gleichen Menschen mit tränumflortem Blick von der „guten, alten Zeit“ sprechen.

Schlechte Beispiele verderben an sich nicht allzu gute Sitten vollends: die demonstrative Weise, in der die Tarife erhöht wurden, bildet einen Anreiz ersten Ranges für Lohnforderungen. Gerade jetzt, wo wir im Export bei der Preiserstellung äußerste Anstrengungen machen müssen, um gegenüber der internationalen Konkurrenz bestehen zu können, vermag eine durch Lohnerhöhungen provozierte Preissteigerung zu Arbeitslosigkeit und zum Konjunkturabfall führen, kann also sozial bedenkliche Folgen haben. Wahrscheinlich wird aber die gleiche politische Gruppe,' die die Tariferhöhungen gegenüber der Minderheit im Gemeinderat und gegenüber der Mehrheit der Wiener Bevölkerung durchgesetzt hat (nach dem Prinzip: Wer 51 Prozent der Mandate hat, besitzt die diktatorische Macht), wahrscheinlich wird also die SPOe eben wegen der von ihr erzwungenen Tariferhöhung in „Wahrung“ der Interessen des „arbeitenden“ Volkes die Forderung nach Lohnsteigerungen stellen. Wir werden so Zeugen eines Satirspieles, dessen hintergründige Bedeutung nur der verstehen kann, dem die Regieanmerkungen zum großen Spiel in der Politik jemals zu Gesicht gekommen sind.

Das zweite, viel ernstere soziale Problem, das in die Debatte geworfen wurde, ist die f amilienfeindliche Haltung, welche aus der Initiative zur Tariferhöhung spricht. Wenn die Preise der Kinderfahrscheine um nicht veniger als 67 Prozent efhöht wurden, so wird eine unsoziale Handlung gesetzt, die in ihrer Art nur mit der Preiserstellung der Eisenbahntarife vergleichbar ist. Man muß annehmen, daß die Verantwortlichen seit Jahren nicht mehr in einer Straßenbahn gefahren sind. Zumindest aber können sie, da sie offensichtlich die soziale Frage für ihre eigene Person bereits gelöst haben, als „Entproletarisierte“ nicht ermessen, Welche finanzielle Belastung für einen Familienvater ein Sonntagsausflug bedeutet, der — zwangsläufig — mit der Benützung-der Straßenbahn verbunden ist.

Keine Ueberraschung hat dagegen die Haltung des Gewerkschaftsbundes hervorgerufen. Präsident Böhm, dessen kluger und umsichtiger Führung die österreichische Gewerkschaftsbewegung viel zu verdanken hat, mußte einem Parteibefehl gehorchen und nach einer kleinen Selbstbezichtigung seine Zustimmung geben. Dadurch wurde aber offenkundig gemacht, daß der OeGB nur dann gegen die Ausbeutung der Arbeitnehmer Stellung nehmen darf, wenn es sich um sogenannte „bürgerliche“ Ausbeuter handelt, aber nichts, gar nichts unternehmen darf, wenn die Ausbeuter SPOe-Unternehmer sind. Recht ist also dem OeGB, was der SPOe nützt. Auf diese Weise wird die Einheit von Partei (SPOe), Staat (hier: Gemeinde Wien) und DAF (OeGB) hergestellt. Dem Gedanken der Einheitsgewerkschaft aber hat der OeGB dadurch ebensowenig einen guten Dienst erwiesen wie der Wiener Arbeitnehmerschaft. Das sollte aber erst recht ein Grund für die, christlichen Arbeitnehmer sein, in den OeGB zu gehen und ihn, gemeinsam mit allen, die den Prinzipien der Gewerkschaftsbewegung treu geblieben sind, aus einem Instrument von Managern und der Staatsbourgeoisie zu einem Mittel der Sozialreform zu machen.

Die A r b e i t-e r k a m m e r dagegen hat sich gut gehalten und ihre Bedenken angemeldet. (Wenn auch erst nachher, aber schließlich zieht sich der Weg vom Wiener Rathaus in die Ebendorf erstraße).

Das wäre also zur Rechtfertigung der Argumente der Minderheit im Wiener Gemeinderat zu sagen. .

Leider kann man aber nun der Volkspartei in der. Frage der Preispolitik keine konsequente Haltung nachsagen. Wenn es um Preisbegradi-gungen nach oben ging, haben wir in anderen Fällen oft das „nein, nein, niemals“ der OeVP und der ihr nahestehenden Wirtschaftsministerien vermißt. Nun gibt es aber gefährliche Preisexzesse nicht nur auf dem Sektor der von öffentlichen Betrieben hergestellten Güter. So stehen etwa die Preise, welche viele „kleine“ Handwerker in Ausnutzung der Konjunktur oder von Mangellagen verlangen — oft für durchaus minderwertige Leistungen —, in keiner Beziehung zu den Selbstkosten. Sie sind einfach nur nach dem reichlich vorhandenen „Gefühl“ („Wie nehmen wir ihn denn?“) gemacht. Die Preise so mancher Elektriker und Installateure u. ä. haben den Charakter der Ausnutzung einer Bedrängnislage. Gleiches ist zu sagen zu jener Art der K a 1 k u 1 a t i o n, bei welcher Gewinnelemente schon in der Selbstkostenrechnung enthalten sind. Diese „Selbstkosten“, um eine zweite Gewinnspanne erweitert, „runden“ sich zu Preisen ab, die mit der Leistung nicht abgestimmt sind.

Die volkswirtschaftliche Gewichtigkeit der Preise ist eine verschiedene, die des Brotes eine andere als die von Oelgemälden. Die lebenswichtigen Nahrungsmittel sind zu einem großen Teil preisgebunden. Daneben aber gibt es lebenswichtige Güter, deren Preise sich „hei“ bilden. So haben, um nur ein Beispiel zu nennen, die Haushaltartikel zuweilen Preise, welche die Haushaltrechnung der Massen schwerstens belasten. Ebenso wird die Mechanisierung der Haushaltführung vor allem durch die hohen Preise, welche für arbeitsparende Haushaltmaschinen verlangt werden, erheblich erschwert. Wenn die Preissteigerungen der geschilderten Art im Lebenshaltungskostenindex nicht oder fast nicht zum Ausdruck kommen, so deswegen, weil der Index nur zum Teil repräsentativen Erhebungen entstammt und weil es darüber hinaus Unternehmer gibt, die Kostensenkungen mit Preissenkungen verbinden, um so die volkswirtschaftliche Qualität einer echten (nicht einer verbalen) freien Wirtschaft zu beweisen.

Es wäre nun hoch an der Zeit, wenn die

Volkspartei das Problem der Preise einer Gesamtregelung unterziehen würde. Das heißt:

1. Verhinderung von Preisexzessen bei lebenswichtigen Gütern, deren Kreis dank der Steigerung des Lebensstandards immer weiter gezogen werden muß, auch gewerbe- und preisrechtlich.

2. Die Linterbindung der Tätigkeit jenes Teiles des Großhandels, der offensichtlich funk-tianslos geworden ist. auf der gleichen Handelsstufe Waren hin und her schiebt und sich dadurch des Vergehens des Kettenhandels schuldig gemacht hat. ist — schon im Interesse des seriösen Großhandels — geboten.

Wir wiederholen: Die Volkspartei war im Recht, wenn sie in einer außerordentlichen 'Situation gegen den Preiswucher einer außer Rand und Band gekommenen Verwaltung Stellung genommen hat. Mit diesem Akt demokratischen Protestes, wenn auch nur bei einer besonderen Gelegenheit formuliert, kehrt sie zu den Ausgangspositionen christlicher und sozialer Politik zurück, zur Verteidigung der Rechte des kleinen Mannes gegen die Anmaßung eines Kreises von „Ausbeutern“. Dabei soll es aber auch dann bleiben, wenn etwa die Ausbeuter „Bürgerliche“ sind oder solche, die vorgeben, es zu sein.

Der Wiener Sozialismus hat in einer auch seinen Anhängern unverständlichen Form (und gerade auf d i e kam es an) sich allem sozialen Pathos entäußert und sich zu einem geradezu klassisch-liberalen Unternehmerstandpunkt bekannt. Wir dürfen annehmen, daß die Minderheit im Wiener Gemeinderat der Mehrheit nicht aHein aus politisch-taktischen Gründen ihre Gefolgschaft versagt hat, sondern aus moralischen und sozialen Gründen.

Wir möchten weiter annehmen, daß das Verhalten der Volkspartei in Wien den Beginn eines betonten sozialen Kurses dieser Partei anzeigt, der schon deswegen notwendig geworden ist. weil der Sozialismus vielfach nur noch Etikette ist und die kleinen Leute sich nun von der Volkspartei erwarten, daß sie da, wo ihnen der Sozialismus seine Unterstützung versagt, einspringt und zur sozialen Volkspartei wird. Das heißt — ist doch die OeVP keine Klassenpartei — bestmögliche Verbindung von freier mit sozialer Wirtschaftsführung, von wirtschaftsfreundlichen Marktformen mit sozial-reformatorischen Maßnahmen.

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