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Menschen hinter den Bilanzen

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Von 29 Staatsbetrieben in der Steiermark sind 27 privatisiert. Die einstigen Milliardenvernichter schreiben heute fast ausnahmslos Gewinne.

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Von 29 Staatsbetrieben in der Steiermark sind 27 privatisiert. Die einstigen Milliardenvernichter schreiben heute fast ausnahmslos Gewinne.

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Für fünf Jahrzehnte standen die größten und wichtigsten Industriebetriebe Österreichs im Eigentum des Staates. Auch und gerade in der Steiermark gehörte der Kern des industriellen Sektors - Retriebe wie Alpine, Röhler und Elin zur sogenannten Verstaatlichten.

In nur vier Jahren, von 1992 bis heuer, wurden die Unternehmen bis auf zwei Ausnahmen privatisiert. Die steirische Industrie hat damit den größten Umbruchprozeß seit 1945 erlebt, einen Wandel, der durch die Ostöffnung und den Beitritt zur Europäischen Union noch beschleunigt wurde. Die Unternehmen, die es über so viel Jahre gewohnt waren, politisch gegängelt zu werden, aber auch dem Staat auf der Tasche zu liegen, müssen sich nun ungeschützt im rauhen Klima des freien Wettbewerbs behaupten. Und sie tun es.

Die Milliardenvernichter von einst werfen ihren privaten Eigentümern satte Gewinne ab. Von den 29 ehemaligen Staatsbetrieben in der Steiermark mußten 1995 nur vier mit Verlusten kämpfen. In einer fiktiven Gesamtbilanz, in der diese Verluste abgezogen sind, stehen für 1995 beachtliche zwei Milliarden Schilling Gewinn (oder genauer Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit).

Nur wenige Jahre zuvor waren sie noch ein Faß ohne Boden gewesen. Im Juni 1987 rief der damalige Verstaatlichten-Chef Hugo Michael Sekyra geradezu verzeifelt den Arbeitern bei Böhler in Kapfenberg zu: „Wir sind pleite, verstehen Sie doch: Wir sind pleite!" Dieses öffentliche Eingeständnis markierte den Höhepunkt der sogenannten Verstaatlichten-krise. Die Bundesre-gierug hatte sich gerade erst zu einem „letztmaligen" Zuschuß von über 33 Milliarden Schilling durchgerungen, mit dem die Verstaatlichte vor dem Zusammenbruch bewahrt werden sollte.

Hannes Androsch, Finanzminister unter Bruno Kreisky, nannte vor einiger Zeit die Zahl von 130 Milliarden Schilling an öffentlichen Geldern, die die Verstaatlichte insgesamt verschlungen habe. Zum Vergleich: Die Zahl übertrifft die Größenordnung des Sparpaketes, das derzeit den Österreichern aufgebürdet wird, um ein Drittel.

Die Verstaatlichte, 1946/47 aus der Not der Nachkriegsjahre geboren, war zunächst eine der Grundlagen des Wiederaufbaus. Ris in die sechziger Jahre hinein liefen die Räder wie geschmiert. Doch dann wurden die Rergbau- und Stahlbetriebe von der Krise der Grundstoffindustrie erfaßt. In Westeuropa und Nordamerika gab es gewaltige Überkapazitäten, zugleich drängten neue Anbieter aus Niedriglohnländern auf die Märkte. Die Anlagen in den traditionellen Industriegebieten waren veraltet, die Kosten und Personalstände zu hoch.

In Österreich reagierte die Regierung Kreisky 1973 mit der „Stahlfusion" auf die Krise. Die vier heimischen Eisen- und Stahlkonzerne VOEST, Alpine, Röhler und Schoel-ler-Bleckmann wurden zu einem Großkonzern zusammengeschmiedet, der international konkurrenzfähig bleiben sollte. Die einschneidenden Reformen, die mit der Stahlfusion einhergehen sollten, blieben freilich aus. Der neue Riese VOEST-Alpine mit dem Tochterkonzern VEW (Vereinigte Edelstahlwerke) stand bald nur noch für riesige Verluste. Statt aus dem Unternehmensverbund Vorteile zu ziehen, summierten sich die Nachteile. Es gab Jahre, in denen es günstiger gewesen wäre, die Relegschaft ganzer Werke bei vollen Rezügen nach Hause zu schicken als weiterarbeiten zu lassen. Produzieren bedeutete nur noch das Produzieren von roten Zahlen. Vor allem die mächtigen Retriebsräte blockierten im Verein mit Landes- und Lokalpolitikern notwendige Veränderungen wie die Zusammenlegung oder gar Stillegung von Standorten. Ein Rei-spiel für die Mentalität jener Zeit: Selbst als ärgste Verluste eingefahren wurden, kämpften Retriebsräte der VEW bis zum Höchstgericht um das „wohlerworbene Recht" auf eine Erfolgsprämie ...

In den Betrieben regierte die Politik, nicht die Betriebswirtschaft. Jeder Arbeitsplatz war, Angehörige mitgerechnet, zwei bis drei Wählerstimmen. Berühmt geworden ist der Spruch von Bruno Kreisky, eine Million Schulden bereiteten ihm weniger schlaflose Nächte als ein Arbeitsloser. Heutige Politiker sehen das genau umgekehrt.

Die Politik, Arbeitsplätze und Produktionsstandorte um jeden Preis zu erhalten, führte geradewegs ins Desaster. Erst in den späten achtziger Jahren wurde das Unvermeidliche - drastischer Personalabbau und Privatisierung - eingeleitet. Und die Betriebe, die man schon als Firmen -leichen im Mili-ardengrab der Verstaatlichten versunken wähnte, feierten fröhliche Urständ'.

Der Startschuß zur Privatisierung fiel 1986. Einzelne kleinere Betriebe wurden verkauft, die verbleibenden Kernbereiche wurden in „Branchenholdings" zusammengefaßt. 1989 wurde der Versuch unternommen, mit der Gründung der „Austrian Industries" (AI) die Verstaatlichte als Ganzes zu privatisieren - ein Vorhaben, das sich bald als undurchführbar erwies. So kam es 1993 zur Auflösung der AI, und es wurde begonnen, die Verstaatlichte Betrieb für Betrieb zu verkaufen oder an die Börse zu bringen.

Den Anfang machte bereits 1992 das Weichenwerk in Zeltweg (die VOEST-Alpine Eisenbahnsysteme, kurz VAE). 1993 folgte die Chipfabrik AMS in Unterpremstätten bei Graz, 1994 der Elin-Konzern in Weiz (als Teil der VOEST-Alpine Technologie, kurz VA-Tech), um nur die namhaftesten Betriebe zu nennen. 1995 schlug schließlich auch den beiden Großkonzernen Böhler-Uddeholm mit dem Hauptsitz in Kapfenberg und VOEST-Alpine Schienen in Donawitz die Stunde der Privatisierung. Vor wenigen Wochen fand die Serie der Privatisierungen in der Steiermark mit dem Verkauf der VOEST-Alpine Bergtechnik Zeltweg an den finnischen Tampella-Konzern ihren vorläufigen Abschluß. In Staatsbesitz verbleiben bis auf weiteres nur die beiden Bergbaubetriebe VOEST-Alpine Erzberg in Eisenerz und Graz-Köflacher-Eisenbahn- und Rergbau-GesmbH. (GKB) in Köflach.

Von den privatisierten Betrieben tragen einige noch schwer an ihrer Vergangenheit, doch im großen und ganzen ist es gelungen, der Verstaatlichten die Altlasten abzunehmen, so-daß sie auf dem unsicheren Boden der Privatwirtschaft Tritt fassen konnte. Mit dem Abebben politischer Einflußnahme bekamen die Manager der Betriebe jene Bewegungsfreiheit, die für die Sanierung notwendig war.

Der Erfolg der Sanierungsmaßnahmen ist deutlich an den Bilanzen der Unternehmen abzulesen. Doch das sind nackte Zahlen. Was nicht in den Büchern steht, sind Menschen. Die Verstaatlichte hatte in der Steiermark zu Spitzenzeiten mehr als 40.000 Beschäftigte. Davon blieben, einschließlich aller Nachfolgebetriebe, 16.000 übrig. Neu geschaffen wurden von der Verstaatlichten in ihren letzten Jahren rund 2.000 Jobs, vor allem im Elektronikbereich. Netto gingen also rund 22.000 Arbeitsplätze verloren - mehr als die Hälfte der ursprünglichen Zahl. Dieser Verlust an Arbeit war eine Folge des Strukturwandels weg von der Industrie hin zum Dienstleistungssektor. In aller Welt baute vor allem die Eisen- und Stahlindustrie massiv Personal ab, weil Kapazitäten stillgelegt und Produktionsabläufe rationalisiert wurden. Die personelle Ausdünnung war in Donawitz oder Kapfenberg nicht schlimmer als in den alten Industrierevieren Deutschlands, Großbritanniens oder der USA.

Doch so verheerend der Verlust von 22.000 Arbeitsplätzen in der Verstaatlichten auch erscheinen mag, er wurde in anderen Sektoren mehr als ausgeglichen. Die Steiermark verlor im Zeitraum von 1971 bis 1991 keine Arbeitsplätze, sie gewann 17.500 neue dazu. Die echte Katastrophe, die der Wandel auslöste, war die regionale Verschiebung. Die neuen Arbeitsplätze entstanden nicht in Liezen oder Voitsberg, nicht in Kapfenberg oder Judenburg oder wo sonst verstaatlichte Betriebe ihren Standort hatten. Die neuen Jobs entstanden im Ballungsraum Graz, der 27.000 Arbeitsplätze hinzugewann. In den fünf Bezirken der Mur-Mürz-Furche (Mürzzu-schlag, Bruck an der Mur, Ijeoben, Knittelfeld und Judenburg) konnten die Arbeitsplatzverluste in der Industrie hingegen nicht einmal zur Hälfte aufgefangen werden. Tausende stehen und standen vor der Alternative: auspendeln oder wegziehen.

Wie jüngste Bevölkerungsanalysen zeigen, drohen der Obersteiermark die Überalterung und ein massiver Bevölkerungsverlust. Überdies erfaßt der Negativ-Sog in der Industrie und im Bergbau auch andere Branchen.

Natürlich wurde versucht, gegenzusteuern. Ersatzarbeitsplätze, das Zauberwort, das jeder steirische Politiker in den siebziger Jahren im Mund führte, sollten geschaffen werden. Doch die meisten Privatunternehmen schreckten vor dem hohen Lohnniveau zurück, das die Verstaatlichte vorgab. Noch heute weist der Bezirk Mürzzuschlag das höchste Durchschnittseinkommen in der Steiermarkauf- und die höchste Arbeitslosenrate.

Auch heutige Bemühungen, Betriebe anzusiedeln, nehmen sich bescheiden aus. In Kapfenberg, neben dem Böhler-Werk, wurde ein Industriepark geschaffen - ein Betrieb mit zehn Beschäftigten hier, einer mit 30 Beschäftigten dort. Doch selbst wenn es 300 wären, die 4200, die Böhler allein in Kapfenberg abgebaut hat, werden's nimmermehr.

Die steirische Politik hat sich, scheint es, damit abgefunden, zumal ihr Handlungsspielraum infolge leerer Kassen recht klein geworden ist. Im Blickpunkt stehen die erfolgreich privatisierten Unternehmen. Nach all den Verlusten tut es wohl, von zwei Milliarden Schilling Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit zu hören. Von den ungewöhnlichen Ergebnissen der Geschäftstätigkeit erzählen nur die Arbeitslosenstatistiken und die Volkszählungen und die Frühpensionisten beim Blumengießen im Schrebergärtlein.

Der Autor ist

Wirtschaftsredakteur der „Kleinen Zeitung".

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