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Menschen hinter Kerkermauern

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Wer immer mit Verurteilten, also Gefangenen, zu tun hat, dem fallen trotz der individuellen Lage jedes einzelnen Gefangenen ganz bestimmte Grttppirti 'äüf. Viele gehören iari die Hände ödes Arztes, auch des Psychiaters, des Kriminologen tihd Psy;cliöiogdft ffie fstötiafiäberf'öb und wie eine bessernde Einwirkung möglich iit. Die Justizärzteschaft, also eine Vereinigung der Anstaltsärzte, gibt dafür Grundlagen. Es fallen eine Reihe von Leuten mit Intelligenzdefekten größeren und geringeren Grades auf. Der Arzt wird nun feststellen, ob im Einzelfalle eine latente Geisteskrankheit vorliegt, die erst während der Haft erkennbar wird, oder eine Haftpsychose oder Debilität verschiedenen Grades; ob es sich um schwere Psychopathie, um ein postencephalitisches Zustandsbild, um ein seelisches Trauma oder schwere Verwahrlosung in der Kindheit handelt; ob Fehlentwicklungen, überwertige Eigenschaften, Regressionserscheinungen, Alkoholismus usw. zum Delikt geführt haben. Ein Team solcher Fachleute kann die Möglichkeiten einer Umkehr erwägen, Fürsorge und Berufsberatung eine Arbeitsumstellung für die spätere Zukunft anbahnen in einem Beruf, der dem zu Entlassenden nicht gefährlich ist, sondern wo er etwas leisten kann.

Es gibt wirklich erstmalig Bestrafte, die reuig und einsichtig schon vor der Verhaftung mit einer Schadensgutmachung begonnen haben, die aber nach Strafende schwer einen Arbeitsplatz finden, um überhaupt leben und den Schaden gutmachen zu können. Von solcher Art Wiedervergeltung hat auch der Geschädigte nichts.

Besonders aber soll für den Besserungsfähigen, den erstmals Bestraften die Haft nicht zu einer Hochschule des Verbrechens werden. Er soll nicht noch tiefer in den Abgrund gestoßen werden. Es werden verhältnismäßig wenige durch eine erste kurze Strafhaft abgeschreckt, viele werden eher abgestumpft. Das ist schon seit Franz v. Liszt bekannt. Während längerer Straf- ‘ haft soll der Verurteilte aber nicht die Arbeit verlernen, die Grundlage seines zu erhoffenden redlichen Fortkommens in Zukunft.

Der armen Justitia wurde in einem Aufsatz in der „Furche" eine „letzte Flucht vor Gott" ' Dr. Egon Kittl in „Furche Nr. 40 vom 5. Oktober 1957.

vorgeworfen. Auch das Buch „Die Bibel i hat doch recht“ wurde angeführt. Aber in der Bibel antwortet Christus auf den Vorwurf der Pharisäer wegen Seiner Gemeinschaft mit Zoll nern und Sündern: „Nicht die Gesunden bedürfet: "des1 Arztes, sonderh die’Kranken. Ich bin nicht gekommen, um Gerechte zur Buße zu rufen, sondern Sünder.“

Vielleicht wurde in dem Artikel, zum Teil wenigstens, dabei die Judikatur mit dem Strafvollzug verwechselt. Es ist richtig, daß nicht nur in der Oeffentlichkeit, auch unter Fachleuten, infolge falscher Vorstellungen vom Tatsächlichen die entgegengesetztesten Auffassungen miteinander im Kampfe liegen: vom Wunsch nach vollständiger Verfemung und Vernichtung des Delinquenten bis zu dessen Verweichlichung und Verherrlichung. Es wäre aber doch besser, den Vertretern des Resozialisierungsgedankens nicht zu unterstellen, daß sie die Begriffe: Schuld, Sühne, Strafe, Vergeltung und Erlösung aus der Welt schaffen wollten, sondern — wenn schon kritisierend — das, was man für das „Gewand der Uebertreibung" hält, vom Wesen, das „so hoch und so kostbar ist“, deutlich abzugrenzen.

Keineswegs soll die Behandlung mit Pillen und Salben an Stelle der Strafe treten. Wenn ein Team von Fachleuten den Bestraften zur „Stärkung seines Willens und Achtung vor der Rechtsordnung so in die menschliche Gesellschaft wieder zurückführen" will, so wird man ebenso die menschliche Gesellschaft vor dem immer wieder Rückfälligen und physisch zur Besserung Unfähigen zu schützen wissen.

Der Verbrecher ist von uns anderen Menschen nicht der Art nach, sondern dem Grade nach verschieden. Das wird klar aus der Bergpredigt: „Es ist euch gesagt worden, du sollst nicht töten. Wer tötet, soll dem Gerichte verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder zürnt, soll dem Gerichte verfallen sein. Wer aber seinen Bruder beschimpft, soll vor den Hohen Rat kommen. Wer ihn verächtlich macht, soll der Feuerhölle schuldig sein."

Die Bibel hat immer recht. Darum wäre es im Sinne der Bergpredigt richtig, wenn sich die Menschen von heute nicht so sehr vom Gedanken der Resozialisierung distanzierten, sondern ihre hilfreiche Hand dazu böten, daß dem Verurteilten nach Reue und Einsicht die Umkehr äurtd ein Wiederaufstieg ermöglicht werde. Die Menschen hinter Kerkermauern müßten uns Mahnmale sein zu eigener vorbildlicher Lebensführung. Das Wissen um sie müßte uns demütiger machen. Von einem toten Landstreicher sagt Fr. W. Weber Gedichte „Zwischen Halde und Heerweg": „Wer hebt die Hand, wer schleudert den Stein, wer wirft sich auf zum Richter und Rächer. Er war, was du bist, er ist, was du wirst, wir alle sind arg, wir alle sind Schächer."

Das makabre Bild, das der Artikel in seinen ersten Absätzen liefert, entspricht keineswegs dem Verhalten gerade der Kirche gegenüber dem Verbrecher in der Geschichte, auch nicht im „finsteren Mittelalter“. Sie unterscheidet: „Die Sünde hassen, doch den Sünder liebenl" „Die Kirche entwickelte im Mittelalter das kanonische Strafrecht, welches… ein humaneres Strafsystem schuf.“ Malaniuk, Lehrbuch des Strafrechtes, 1. Band.

Bischof Michael Sailer begleitete einen zum Tode Verurteilten 1790, setzte sich neben ihn auf den Armensünderkarren und sagte sodann: „Laßt uns trauern, es war ein Mensch, den man hingerichtet hat, ein Adamssohn, wie wir. Ein Mensch wie ich und vielleicht ein besserer als viele von uns."

Es kam einmal ein Bischof in eine Strafanstalt, der sagte unter anderem ungefähr: Auch wir in der Freiheit müssen genau so wie ihr an uns selbst arbeiten und besser zu werden suchen. Auch ihr könnt und müßt dies tun und um die Gnade Gottes dazu beten. Noch wochenlang hörte man die Gefangengen staunend und beglückt darüber sprechen. Für manche war dieses Erlebnis ein Wendepunkt. Von katholischen und evangelischen Seelsorgern hörte ich wiederholt sagen, wie fast elementar die Sehnsucht nach Gott und nach Höherem aus diesen Gefangenen herausbricht, nach Dingen, von denen sie früher in ihrem Leben kaum oder nur in Entstellungen und Haß gehört haben, wie echt und tief die Reue, die Einsicht und der Besserungswille vieler unter ihnen ist. Die Kriminologie verweist wohl bestenfalls Resignation. Durch pansexualistische Psychoanalysen würden viele noch närrischer als sie vorher waren.

Es ist auch richtig, daß die Resozialisierung nicht nur mit Milde und Tröstungen Erfolg haben kann, es ist nicht zu übersehen, daß gleichzeitig an den Gefangenen die sittliche Forderung gestellt werden muß nach Umstellung, Einsicht und Arbeit an sich selbst. Viele dieser Menschen sind in ihrem Gemüte sehr ansprechbar, zeigen oft Züge menschlicher Anständigkeit, die nicht jeder Mensch in der Freiheit besitzt. Sie sind anderseits rasch im Affekt: darin liegt ihre Unausgeglichenheit: Das Gefühls- und Triebleben überwiegt bei weitem die Willensund besonders die Verstandestätigkeit.

Für die Katholiken gilt auf diesem Gebiet die Ansprache des Heiligen Vaters an die Teilnehmer des Kongresses für Psychotherapie und klinische Psychologie vom 13. April 1953, deren Grundsätze auch für die Gefangenenbehandlung richtunggebend sein werden. Mit sehr eingehenden lichtvollen Darlegungen von Erzbischof- Koadjutor Dr. Jachym über den heutigen Stand der Forschung, abgedruckt in dem Heft „Katholik und Psychotherapie", Caritas der Erzdiözese, Wien IX, Währinger Gürtel 104.

Nach solchen Vorbildern — nicht durch das harte Bild von der „Apothekerwaage" und Ablehnung des Resozialisierungsgedankens — sollten katholische Kritiker, katholische Akademiker aller Fakultäten in der Kraft ihrer Weltanschauung positiv wirken. Hic Rhodus!

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