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Menschenrechte

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Von der Verletzung der Menschenrechte in Südtirol war letzthin in einer Sendung des Österreichischen Fernsehens die Rede. Leider geschah nur dieses. Das heißt, ein Sprecher sagte mit Worten, daß dem dort so sei, daß die italienische Polizei Südtiroler foltere oder gefoltert habe und daß diesen auch das Recht auf Selbstbestimmung vorenthalten werde. Nun haben, wenn ich mich nicht täusche, gerade unlängst dort Regionalwahlen stattgefunden, und auch sonst glaube ich mich zu erinnern, daß die italienische Staatsführung einige nicht unwesentliche Argumente gegen diese Vorwürfe äußert. Ich will mich jedoch weder auf die einen noch auf die anderen hier einlassen. Worum es mir geht, ist: womit wurden in jener Sendung die gesagten Behauptungen bewiesen? Was nämlich danach gezeigt wurde, war: eine Gruppe von Leuten, die, bewaffnet mit Maschinenpistolen, sich an- schickte, einen Hochspannungsmast zu sprengen. Danach kam noch ein Ausschnitt aus einer Wochenschauaufnahme von einer Gerichtsverhandlung gegen Burger und alia. Das war alles. Ich fürchte, daß damit kein Beweis von der Unterdrückung der Menschenrechte in Südtirol geliefert wurde. Eher von etwas anderem. Gedankenlosigkeit, Schlampigkeit bei der Zusammenstellung der Sendung? Ich fürchte, nein. Die Linie ging durch die ganze Sendung, die anläßlich des Tages der Menschenrechte gebracht wurde, und diesen überhaupt gewidmet war.

Wir bekamen auch in den übrigen Teilen der Sendung fast nur Wiedergaben jener nur zu bekannten Wochenschau-Aufnahmen von Gewalttaten zu sehen, die heutzutage in der Welt an der Tagesordnung sind: prügelnde Polizisten und „Neue-Linke“- Demonstranten, Erschießung von Negern durch andere Neger in Afrika, zivile Opfer des Krieges in Vietnam und dergleichen mehr. Mag sein, daß all diese Gewalttätigkeit ein Hinweis darauf ist, daß es um die Menschenrechte auf dieser Welt nicht gut bestellt ist. Mag sein — aber ein Beweis, daß durch all diese Gewalttaten von Polizisten und Militärs, also durch staatliche Machtausübung (wir wollen vorläufig von der anderen Seite absehen) die Menschenrechte verletzt werden, ist solche Aufzeigung noch nicht. Neben den verschiedenen Freiheiten, welche an dem für die weitere Entwicklung der Menschheit so schicksalshaften 4. August 1789 (von dem wir gar nichts in der Sendung erfuhren) durch die verfassungsgebende Versammlung Frankreichs in der „Declaration des droits de l’homme“ formuliert und beschlossen wurden, befinden sich auch die Verpflichtung eines jeden Bürgers, dem Gesetz zu gehorchen, sowie der Satz von der Souveränität der Nation. All dies beinhaltet jedoch — wenn nötig — staatliche Macht- und somit auch Gewaltausübung. Wenn nötig. Der Verfasser der Sendung, Jaroslav Langer, stellte denn auch die bange Frage, ob all diese Gewalttätigkeit — und er meint nicht nur die der staatlichen Organe zur Wahrung der Gesetze, sondern auch die der anderen, welche Gesetze geän dert oder überhaupt etwas anderes, etwa einen anderen Staat, möchten — noch immer nötig sei. Er beantwortet die Frage natürlich nicht, wie könnte er es in dieser unseren Welt?

Ebensowenig wie auf politische möchte ich mich hier auf ideologische oder juridische Argumente einlassen. Es geht mir hier um etwas anderes, um etwas, das neben jenen oben berührten weltbewegenden Problemen ganz nebensächlich scheint: um die Forderung nach wahrhafter und erst dadurch wirklich überzeugender Gestaltung jedweloher Vorbringung. Es mangelt zwar nicht an Vorbringungen, wohl aber auf bestürzende Weise an deren überzeugender Gestaltung. Das beginnt bei den in ihrer Apo- diktion oft so läppischen Behauptungen von Politikern im Parlament (doch auch in der Weltpolitik) und endet mit der schlechten Journalistik und historischen Falschmünzerei, die wir von gewissen Bühnenautoren an Stelle echter dramatischer Gestaltung erhalten. Wir befinden uns zwar im Zeitalter der Massenkommunikationsmittel, jedoch nur sehr, sehr dürftiger Kommunikationen. Es scheint fast, daß der Reichtum an Mitteilungsmöglichkeiten die Mitteiler glauben macht, die primitivsten Forderungen und Regeln der Gestaltung vernachlässigen oder gar unbeachtet lassen zu können. So herrscht weitestens entweder die banale Phrase oder Sie scheinbar substantiellere Darbietung von „Aktivität“ vor. Deren Entfaltung allein wird bereits als Nachweis für ihre Berechtigung angenommen.

Daher auch der Irrtum jener Fernsehsendung über Südtirol, wo man glaubte, durch das Herzeigen von Bumsern mit MPs und

Donaritpaketen bereits das Faktum der Unterdrückung von Menschenrechten etabliert zu haben. Wenn die Hersteller der Sendung einwenden, daß ihnen nicht genug Zeit für die nötige Erklärung gelassen worden war, dann sage ich: schon faul. Zu einer richtigen Gestaltung bedarf es nie zusätzlicher Worte, sondern nur der richtigen. Und da es sich hier um Fernsehen handelt, wo wie im Film nur wirklich existent ist, was gezeigt wird, handelte es sich um andere Bilder als die von Sprengungen und dem Herrn Märtyrer Gruber. Ein Bild von einem Bozener Friedhof mit deutschen Namen auf den Grabsteinen aus vergangenen Zeiten, juxtaponiert von einem anderen Bild mit der Namenstafel der italienischen Bewohner eines modernen Bozener Wohnhauses oder der Stechkarten beim Portier eines Südtiroler Industriebetriebes hätte vermutlich eine geeignetere Vorstellung von Südtiroler Ansprüchen vermittelt.

Gestalterisches Versagen erweist sich hier somit als konzeptionelles Versagen. Der Aktivitätsfimmel soll konzeptionelle Unklarheit, Unausgereiftheit noch bei den Bestgesinnten überdek- ken. Es gibt nicht genug Erforschung, Studium und Überdenken der Sachverhalte. Es gibt nur Apriori-Annahmen. Und dies in einer Zeit, in der sich so viel Überkommenes als brüchig oder gültiger Grundlage verlustig erwiesen hat! Möglicherweise ist jedoch gerade das der Grund zu der Haltung: die Unsicherheit, was von der eigenen Proposition bei näherer, sachlicher Untersuchung übrigbliebe. Als ob es nicht weiterhin Millionen Gründe für die Formulierung und Gestaltung menschlichen Leidens und Strebens gäbe! Wenn einer der

Mitarbeiter an jener Sendung sich der Mühe unterzogen hätte, die „Geschichte der Französischen Revolution“ von Michelet zu durchblättern, dann hätte er allein in den zahlreichen wunderbaren Abbildungen sehr konkreter sozialer Verhältnisse, die damals zur Erklärung der Menschenrechte geführt hatten, einige Inspiration hinsichtlich der menschlichen Beziehungen schöpfen können, die uns heute von Menschenrechten und deren Verletzung sprechen lassen sollen. Und ich meine damit nicht die Verletzung, welche Gegenstand von sit-ins oder sogar von wirklichen Haupt- und Staatsaktionen sind, sondern jene Verletzungen, die uns gar nicht militanten Menschen durch andere Menschen angetan werden.

Die Ideologen und die Politiker mögen mich dafür belächeln, aber ich fühle die Menschenrechte weit urgenter verletzt, wenn ein böses altes Weib ein Kind in der Straßenbahn ohrfeigt, weil dieses jenem unwillentlich den Mantel beschmutzt hat. Und wenn kein anderer der Fahrgäste den Mund dabei aufknacht. Oder wenn ein Beamter, der glaubt, sich’s leisten zu können, mich zwei Stunden über den in der Vorladung genannten Termin warten läßt und mir damit kostbare Lebenszeit raubt. Oder wenn ein Polizist einem kleinen flüchtenden Dieb in die Beine oder in den Rücken „warnend“ nachschießt. Oder was es sonst noch in Manifestationen all derer um uns herum gibt, die sich imstandefühlen, es einem anderen zu „zeigen“. Und würde es eine solche Gestaltung des Themas der Menschenrechte nicht vielleicht den Leuten mehr sagen und sie möglicherweise besser instand setzen, sich um die allgemeine Seite der Sache zu kümmern?

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