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Menschliche Bewährungshilfe

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Der Gedanke, dem gestrauchelten jungen Rechtsbrecher, dem durch eine bedingte Verurteilung Gelegenheit zur Bewährung gegeben werden soll, in dieser Zeit der Bewährung einen Helfer an die Seite zu stellen, ist an sich in Österreich nicht neu, er schwebte schon den Schöpfern des Jugendgerichtsgesetzes 1928 vor, wenngleich der Ausdruck „Bewährungshilfe“ diesem Gesetz noch fremd ist und mit der Einführung der sogenannten Schutzaufsicht die Funktion der Aufsicht in den Vordergrund gerückt wurde. Daß mit dieser Schutzaufsicht nicht allein eine bloße Polizeiaufsicht gemeint war, ergibt sich vielleicht am besten daraus, daß im Zeitpunkt des Inkrafttretens diesen Gesetzes am Sitze des Wiener Jugendgerichtshofes in der Wiener Jugendgerichtshilfe bereits eine Arbeitsgemeinschaft bestand, -welche sich die persönliche Betreuung der unter Schutzaufsicht gestellten Jugendlichen durch Pflege eines regen persönlichen Kontaktes zur Aufgabe stellte.

Dieses Case Work wurde durch den Einbruch des Nationalsozialismus jäh unterbrochen, der ja jeder individuellen Fürsorge und Erziehung feind war. Hierdurch wurde auch die schon damals als notwendig erkannte Heranziehung entsprechend geschulter männlicher Fürsorgeorgane vereitelt. Die Überlastung der früher in den Bundesländern vielfach mit Schutzaufsichten betrauten Jugendämter mit anderen Fürsorgeaufgaben, wie sie die Nachkriegszeit mit sich brachte, machte es schließlich auch unmöglich, an die Entwicklung vor 193 8 anzuknüpfen, wenngleich nach Wiederinkraftsetzung des Jugendgerichtsgesetzes die Gerichte vielfach wieder den Jugendämtern Schutzaufsichten übertrugen, die infolge Überlastung der Fürsorgerinnen nur formale Aktenerledigungen blieben.

Es war daher verständlich, daß die Jugendrichter, denen ja die Handhabung des Jugendgerichtsgesetzes obliegt, den bestehenden Zustand als äußerst unbefriedigend empfanden und nach Wegen suchten, Mitarbeiter zu gewinnen, die bereit und in der Lage sind, dem Grundgedanken des Jugendgerichtsgesetzes, „Erziehung statt Strafe“, wirklich zum Durchbruch zu verhelfen. Die im Oktober 1958 in Graz veranstaltete II. Jugendrichtertagung hatte daher auch den Einbau der Bewährungshilfe als gesetzliche Einrichtung in das Jugendgerichtsgesetz gefordert, welchem Verlangen auch bei der umfassenden Novellierung des Jugendgerichtsgesetzes im Jahre 19611 in dem als Jugendgerichtsgesetz 1961 neu verlautbarten Gesetzeswerk Rechnung getragen wurde, ohne daß allerdings über die Organisationsform dieser Einrichtungen Vorschriften erlassen worden wären. Die Frage der Heranziehung hauptberuflicher oder ehrenamtlicher Bewährungshelfer bleibt vorderhand noch offen, ihre Lösung ist einem eigenen Gesetz über die Bewährungshilfe vorbehalten.

Eine weitere Frucht der II. Jugendrichtertagung in Graz war in der

Schaffung einer gemeinsamen Modelleinrichtung durch den Verein für Soziale Jugendarbeit und die österreichische Gesellschaft „Rettet das Kind“ in Form einer Arbeitsgemeinschaft für Bewährungshilfe in Wien zu erblik-ken, die, unter Leitung des Anstaltspsychologen der Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige in Kaiser-Ebersdorf, Dr. Sepp Schindler, stehend, durch ihre freiwilligen Helfer die Betreuung der ihr vom Wiener Jugendgerichtshof übertragenen Bewährungsfälle übernahm und (bei einer jetzt fünfjährigen Tätigkeit unter 105 Bewährungsfällen 30 Rückfälle), soweit dies nach einem so kurzen Zeitraum abzuschätzen ist, immerhin beachtenswerte Erfolge erzielte. Das Jugendgerichtsgesetz 1961 machte es inzwischen der Justizverwaltung möglich, einige hauptamtliche Kräfte für die Bewährungshilfe einzustellen, insbeSOtt dere auch Dr. Schindler für die nunmehr vom Verein für Soziale Jugendarbeit allein geführte Arbeitsgemeinschaft für Bewährungshilfe freizustellen. Auch in Graz hatte sich beim Steiermärkischen Landesverband der österreichischen Gesellschaft „Rettet das Kind“ unter der Leitung des bekannten Grazer Jugendrichters Hofrat Dr. Bamberger eine ähnliche Arbeitsgemeinschaft gebildet, die seit ihrem Bestehen rund 50 Bewährungsfälle zur Betreuung übernommen hat.

Das Jugendgerichtsgesetz 1961, dessen neue Bestimmungen am 1. Jänner 1962 in Kraft getreten sind, hat aber neben der Bewährungshilfe für bedingt verurteilte Jugendliche auch noch insofern einen Fortschritt gebracht, als nunmehr die Bestellung eines Bewährungshelfers auch zwingend bei der bedingten Entlassung aus der Strafhaft oder aus einer Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige vorgeschrieben wird. Schon bei der Einrichtung der Fürsorgeerziehung, die nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz2 bekanntlich Sache der Länder ist, wurde und wird der Erfolg einer abgeschlossenen Anstaltserziehung oft dadurch in Frage gestellt, daß der Zögling in das alte Milieu entlassen werden muß, das seine Verwahrlosung verursacht hat, ohne eine entsprechende Einzelbetreuung zu finden. Es müßten daher auch hier auf dem Gebiet der sogenannten „nachgehenden Fürsorge“

ähnliche Wege beschritten werden wie in der Bewährungshilfe.

Was nun die Frage anlangt, ob haupt- oder nebenamtliche Bewährungshelfer heranzuziehen sind, so sprechen nicht bloß finanzielle Erwägungen für gemischtes System nach dänischem Vorbild. Handelt es sich doch in der Bewährungshilfe vor allem um die Herstellung eines zwischenmenschlichen Kontakts zwischen Helfer und Probanden, der nicht einfach zwischen beliebigen Menschen hergestellt werden kann, anderseits muß die Bewährungshilfe auch von jeglichen bürokratischen Einflüssen bewahrt bleiben. Freilich wird es nicht leicht sein, den erforderlichen Stab von freiwilligen Helfern zu finden und zu schulen, zumal sich der Kreis der in Betracht kommenden Personen zumindest vorerst auf Angehörige von Berufen beschrankt, die über eine gewisse pädagogische oder fürsorgerische Erfahrung verfügen.

Freilich wird die Gewinnung ehrenamtlicher Helfer für die Bewährungshilfe in Österreich größere Schwierigkeiten bereiten als in Dänemark, da mit einer grundverschiedenen Mentalität der Bevölkerung zu rechnen ist. Der alte Josefinische Wohlfahrtsstaat hatte nämlich in Österreich zwar äußerst günstige Vorbedingungen für eine fortschrittliche Gesetzgebung geschaffen, er hat aber auch anderseits die Bevölkerung zu sehr daran gewöhnt, auf dem Gebiet der Fürsorge jegliche Initiative dem Staat zu überlassen. Wenn es daher gilt, für neue Aufgaben der Fürsorge in der Bevölkerung Kräfte aufzurufen, weil der Staat nicht sofort die persönlichen und sachlichen Mittel bereitstellen kann, ist es schwierig, das hierfür erforderliche Verständnis zu wecken, wenngleich sich ansonsten die österreichische Bevölkerung bei plötzlichen allgemeinen Notständen immer äußerst hilfsbereit erwiesen hat. Dabei denkt kein Mensch daran, daß eine solche Einstellung im Widerspruch steht zum Grundsatz der Subsidiarität der Gemeinschaft und daß es daher dem Staat und den Ländern nicht einfach überlassen bleiben kann, einen rein sachlichen und bürokratischen Apparat aufzuziehen, wenn es in der Hauptsache darum geht, zwischenmenschliche Beziehungen herzustellen (von dem zwischenmenschlichen Kontakt zwischen Bewährungshelfer und Probanden hängt aber gerade der Erfolg der Bewährungshilfe ab). Mit dem Philosophen Diogenes „Menschen zu suchen“, wird damit zur ersten Aufgabe einer organisierten Bewährungshilfe, freilich Menschen, die auch bereit sind, sich für ihre besondere Aufgabe einer entsprechenden Schulung zu unterziehen.

1 Gesetz vom 26. Oktober 1961, Bundesgesetzblatt Nr. 278.

2 Gesetz vom 9. April 1954, Bundesgesetzblatt Nr. 99.

3 Mit Recht warnt UniveTsitätsprofessor Dr. Asperger in einem in der Heilpädagogischen Gesellschaft im Jahre 1961 gehaltenen Vortrag vor einem zu großen Dilettantismus bei Erziehungsmaßnahmen für verwahrloste Jugendliche.

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