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Michail Gorbatschows „Erinnerungen” haben Lücken
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben” - mit seinen wohl berühmtesten Worten ermahnte der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow im Oktober 1989 DDB-Staatschef Erich Honecker, endlich Beformen im „Arbeiter- und Bauernstaat” einzuleiten. Zwei Jahre später gab es keine DDB und keine Sowjetunion mehr. Auch Gorbatschow war zu spät gekommen. Am 25. Dezember 1991, wenige Tage nach der Auflösung der UdSSR, legte er sein Amt als deren Präsident zurück.
Wie es zu den Ereignissen vom Dezember 1991 kam, schildert er in seinen mehr als 1.200 Seiten starken
„Erinnerungen”. Er beschreibt seinen Weg an die Spitze der KPdSU, die Einleitung der Perestrojka, den Kampf gegen den Widerstand von Parteikadern einerseits ebenso wie Radikalreformern andererseits und schließlich den gescheiterten Versuch, die auseinanderstrebenden Teilrepubliken der UdSSR durch einen neuen Unionsvertrag zusammenzuhalten.
Gorbatschows „Erinnerungen” sind eine Mischung aus Autobiographie und Analyse. Lebendig schildert er das Intrigenspiel innerhalb der KPdSU-Führung, die Vetternwirtschaft, die Feinheiten innerparteilicher Personalpolitik. Besonders treffend wirkt die Beschreibung des „Corps der Ersten Sekretäre”, der mittleren Führungsebene der Partei. Ohne ihr Mitwirken versanden die ehrgeizigsten Projekte der Parteispitze, verheddern sich die schönsten Projekte im Dschungel bürokratischer Fallen. Einige Personen und Ereignisse in seinem Leben scheint Gorbatschow allerdings in deutlich schlechterer Erinnerung zu haben. Oft stehen Andeutungen und Verdächtigungen an der Stelle klarer Aussagen. Das gilt etwa für den heutigen russischen Präsidenten Jelzin, der bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit härtester, manchmal schlicht gehässiger Kritik unterzogen wird. Gorbatschow schildert ihn als charakterlosen, machtbesessenen Säufer, der sich mit allen Mitteln den Weg an die Staatsspitze bahnt.
Auch bei der Beschreibung der nationalistischen Aufstände im Kaukasus, im Baltikum und in Zentralasien bleibt vieles offen. Gorbatschow deckt nicht auf, wer die Verantwortung für den Giftgaseinsatz der sowjetischen Truppen in der georgischen Hauptstadt Tiflis im April 1989 trägt. Ebenso unklar bleibt, wer im Jänner den Befehl zum Sturm der gefürchteten Spezialeinheiten des Innenministeriums („Schwarze Barette”) auf die Fernsehsender der litauischen und lettischen Hauptstädte Vilnius und Biga gab. Laut Gorbatschow steckten „vermutlich lokale Kommandeure” dahinter, die im Einverständnis mit Perestrojka-Saboteuren im Umfeld Jelzins gehandelt hätten. Beweise erwartet der Leser allerdings vergeblich. Die Ausführungen zur Außenpolitik machen ein starkes Drittel des Buches aus. Die seitenweise abgedruckten Auszüge aus Protokollen von Gesprächen Gorbatschows mit anderen Großen der Weltpolitik ermüden und verwirren aber leider eher, als zu illustrieren. Bis Jahresende will der Ex-Präsident gemeinsam mit seinem Studienkollegen Zdenek Mlynar, dem Chefideologen des Prager Frühlings, eine Analyse der Perestrojka vorlegen. Hoffentlich wird er darin auch die Lücken in seinen „Erinnerungen” füllen.
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