6609523-1954_42_08.jpg
Digital In Arbeit

Militarismus und Preußentum

Werbung
Werbung
Werbung

Da — wie man damals sagte — „Kämpferische" des Nationalsozialismus, äußerlich manifestiert durch seine Uniformseiigkeit und Aufmarschfreudigkeit, hatte zweifellos mit seine Ursache in psychologischen Komplexen Adolf Hitlers. Aber au welchen Wurzeln kamen nun diese? Und wie konnten solche kriegerische Töne einen so starken Widerhall im deutschen Volke finden? Die Beantwortung dieser Frage führt zu einer, erst Preußen und dann Deutschland oft vorgeworfenen seelischen Disposition zum „Militarismus", der ungehemmten, alles in seinen Bann ziehenden Ueber- steigerung der an sich jedem Volke eigenen wehrhaften Instinkte. Diese schwierige und umstrittene Problematik klarzulegen, das Verhältnis zwischen Staatskunst und Kriegstechnik im Preußen-Deutschland der Vergangenheit darzustellen, ist die Aufgabe, die sich Gerhard Ritter im vorliegenden ersten Band seines Werkes gestellt hat. Sie ist, das sei vorweggenommen, vortrefflich gelöst worden.

Zunächst ist festzustellen, daß hier zwei Begriffe im Widerstreit erscheinen, deren erster — die Staatskunst — keineswegs selbst des kämpferischen Elementes entbehrt. Sie können also nicht — sei es als Sonderexistenzen, sei es als Gegensätze — in reiner Ausformung miteinander verglichen werden. Der Staatsmann ist genötigt, zwischen den beiden Polen der „friedlichen Dauerordnung" und der „kämpferischen Machtballung’' das Gleichgewicht zu halten. Er muß über Ordnungswillen und über Machtsinn verfügen. Die Ueberbetonung der kämpferischen Komponente im Politischen führt zum „Militarismus". Der politische Krieg (wie ihn etwa mehrfach Bismarck zum Zwecke der Gründung des neuen Deutschen Reiches führte) und eine kriegerische Politik (wie es jene Hitlers war) liegen auch im gleichen Raum auf durchaus verschiedenen Ebenen. Friedrich II. war Machtpolitiker, der das Mittel des Krieges zur Vergrößerung seines Staates ohne moralisches Bedenken, aber mit begrenzten Zielen anwandte. Als er diese erreicht hatte, wandte er sich der „friedlichen Dauerordnung" zu. In seinen Plänen leitete ihn letzten Endes die „Staatsraison". In den Napoleonischen Kriegen, in denen das „Volk in Waffen" an die Stelle des Söldnerheeres trat, entstand erst eine eigentliche gesamt-kriegerische Gesinnung (wie zuvor in Frankreich), für die der Boden freilich durch den militärischen Aufbau tend Geist des Hohenzollernstaates bereitet war.

Von Blücher, dessen Waffenstillstandsbedingungen von 1815 ein deutliches Zeichen der neuen Gesinnung sind ( ler Kampf zwischen „Feder" und „Schwert"!), zieht sich dann durch das ganze 19. Jahrhundert der Widerstreit zwischen den Staatsmännern und — man möchte sagen — den „Kriegsmännern", den Bismarck für eine Reihe von Jahren zugunsten der Ersteren entschied. Aus dessen psychologischen Ausstrahlungen entstand eine fühlbare Distanz, fast Entfremdung zwischen Offizierskorps und Bürgertum — soweit es ein solches in Preußen gab, das wohl einen preußischen Beamten und einen preußischen Offizier, nicht aber einen preußischen Bürger geschaffen hat. Daran knüpft sich eine Fülle von Fragen, wie jene der Ausstrahlung der geschilderten Begriffe auf die nichtpreußische oder jungpreußische Bevölkerung des Deutschen Reiches.

Die Arbeit des bekannten Freiburger Historikers, die auf zahlreichem, auch bisher noch unerschlossenem Quellenmaterial fußt, dient also einem bedeutenden Anliegen der neueren Geschichtsschreibung, und sie wird ihrer Aufgabe in ihrer Folgerichtigkeit, Dichtigkeit und Urteilsstärke voll gerecht. Mit Bedauern erfährt man bei diesem Anlasse wieder von den schweren Verlusten, welche die deutschen Archive durch sehr weitgehende alliierte Beschlagnahmungen erlitten haben.

Staat oder Gesellschaft. Von Elimar Freiherr von Fürstenberg. Heft 10 der Reihe „Die Diskussion". Verlag Josef Habbel, Regensburg. 42 Seiten. Preis: 1.50 DM.

Das Heft ist aus der innerdeutschen Diskussion um die Chancen einer Verbreiterung der politischen Führungsgremien über die institutionellen Grenzen der Parteien hinaus entstanden. Es geht dem Autor um die Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips auch im Bereich der Wirtschaft und ganz besonders in der Frage der Wirtschaftsgesetzgebung. Daher sein Aufgreifen des Vorschlages eines Bundeswirtschaftsrates, der für das auf höchsten Touren laufende deutsche Parlament (den Bundestag) eine wesentliche Entlastung und gleichzeitig den Anfang einer Entstaatlichung des gesellschaftlichen Lebens bedeuten soll. Die Stände sind nun (auch) Interessentengemeinschaften. Daher ist es erforderlich, sie da, wo es um ihre Interessen geht, anzuhören und so etwas wie eine echte Selbstverwaltung der Wirtschaft zu konstituieren. Freilich muß in diesem Zusammenhang darauf Bedacht genommen werden, daß die Interessen dessen, was man zu vereinfachend als „Wirtschaft" bezeichnet, auch die Interessen der Arbeitnehmer miteinschließen. Jede ständische Wirtschaft,, die schließlich zu einer herrenständischen wird, ist ein sozialer Widersinn. Die Broschüre bringt interessante Gedanken zum Problem, wie weit die Demokratie in sich die Möglichkeit birgt, den Staat w vermenschlichen.

Die Italiener unter der österreichisch-ungarischen Monarchie. Von Univ.-Prof. Dr. Hans Kramer. Verlag Herold, Wien-München. 172 Seiten. 48 S.

Ueber das Thema Südtirol gibt es eine außerordentlich reiche Literatur; ein dankbarer Vergleich aber scheint bisher vergessen und das ist der mit der Stellung der Italiener im alten Oesterreich. Der verdienstvolle Neuhistoriker der Innsbrucker Universität, mit Südtirol nördlich und südlich von Salurn durch die Erfahrung mehrerer Generationen vertraut, hat diese Lücke mit einem Werk ausgefüllt, das ebenso knapp als inhaltsreich, ebenso flüssig geschrieben als streng wissenschaftlich untermauert ist. Hans Kramer behandelt das Thema zunächst in seiner Gesamtheit und löst es dann auf die einzelnen Gebiete der Rater reichisch-ungarischen Monarchie auf, in denen Italiener lebten. Ganz anders waren die Problem im italienischsprechenden Landesteil von Tirol gelagert als etwa, in der Hafenstadt Triest, in Görz und Gradisca, in Istrien, wo die Italiener weniger im Kampf gegen Deutschtum und Staats- gewalt als gegen die slawische Opposition, di ihrerseits den österreichischen Staat bekämpfte, standen. In Dalmatien waren die Italiener eine kleine Minderheit mit stolzen kulturellen Erinnerungen, in Fiume hatten sie sich gegen den Zentralismus des madjarischen Staates zu wehren. Die Ausgangsstellung war jeweils anders, der Irreden- tismus so ziemlich überall derselbe; im Küstenland, wo die Italiener am österreichischen Staat den, wie das Jahr 1945 bewies, nötigen Rückhalt gefunden hätten, glaubten sie offenbar, den Slawen bei der Aufteilung Oesterreichs zuvorkommen zu müssen. Dankenswert ist der Abschnitt über di italienische Presse unter einem sehr milden Regime, für die Geschichte des alten Reiches interessant die Uebersicht über die Italiener in Armee und Verwaltung. Kronzeugen des Verfassers sind Battisti und Mussolini, der besonders an der österreichischen Polizei und am Gefängniswesen au eigener Erfahrung viel Gutes gelten läßt. Der Vergleich mit dem gegenwärtigen Zustand Südtirols verleiht der wissenschaftlich hochwertigen Arbeit ihre aktuelle Bedeutung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung