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Mindszenty und Karolyi

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Diese zwei Namen wurden in letzter Zeit in den Zeitungsberichten über Ungarn häufig genannt. Am 18. März 1962 wurde der Sarg des Grafen Mihäly Karolyi, der 1919 Präsident der kurzlebigen ungarischen Republik war und 1955 im Londoner Exil starb, im Rahmen eines Staatsaktes in Budapest beigesetzt. Wenige Tage später, am 29. März 1962, vollendete Kardinalprimas Mindszenty, der seit dem 4. November 1956 im Gebäude der ameri-

kanischen Botschaft in Budapest lebt, sein siebzigstes Lebensjahr.

Die beiden Namen gerieten nur zufällig so kurz hintereinander in die Spalten westlicher Zeitungen. Der Zufall war aber diesmal ein sinnvoller. Das kommunistische Regime in Ungarn versucht gegenwärtig mit zum Teil neuen Methoden die „noch' abseits Stehenden“ zu gewinnen. Die Namen Mindszenty und Karolyi markieren in aiesem Plan den „falschen“ und den „richtigen“ Weg. Der stille Gast der Botschaft der fremden Großmacht, in unmittelbarer Nähe der ungarischen Regierungsämter, doch von der Außenwelt hermetisch abgeschlossen, und der einst vielzitierte „rote“ Graf, der beinahe sein ganzes Leben — zuerst bis zum Jahre 1945 und dann, nach einem kurzen Zwischenspiel als Gesandter Ungarns in Paris, aus Protest wegen des 1949 eingesetzten Terrorregimes in Ungarn - als Emigrant verbrachte: sie galten beide bis vor kurzem offiziell als vergessen, und die Situationen, in denen sie einst wirkten, schienen, wenn man der amtlichen Propaganda glauben wollte, endgültig überwunden. Ein schweigsamer Emigrant

Kardinal Mindszenty verkörpert in mehr als in einer Hinsicht einen neuen Typ in der langen Reihe der politischen Emigranten Ungarns. Der Fürst Franz Raköczi II. in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, oder, mehr als ein Jahrhundert später, Ludwig Kossuth, den seine treuen Anhänger wohl nicht ganz treffend „Eremit von Turin“ nannten, setzten ihre politische Tätigkeit auch in der Emigration fort. Sie hielten nach fremdländischen Verbündeten Ausschau. Besonders Kossuth stand mit vielen Menschen in reger Verbindung, er empfing ganze Delegationen, die aus Ungarn zu ihm pilgerten. Mit seinen Briefen beeinflußte er auch unmittelbar die politischen Auseinandersetzungen in Ungarn. Selbst noch Mihäly Karolyi konnte, wenn auch nicht mit den oppositionellen Kräften in Ungarn in Kontakt treten, so doch zumindest in der Emigration unter seinen Schicksalsgenossen und politischen Freunden seine Ideen verbreiten, etwa ein Buch schreiben, das den Historikern nunmehr zur Verfügung steht. ■ ^

Das alles konnte und kann Kardinal Mindszenty nicht. Bei ihm ist man nach wie vor auf Mutmaßungen angewiesen. Schon die besondere Stellung, die der Primas von Ungarn einnahm und die während der kurzen Jahre der Ämtszeit Mindszentys aus verschiede-

nen, zeitbedingten Gründen zu einer sehr ausgeprägten Haltung entwickelt wurde, machte es dem Beobachter nicht immer leicht, die Worte und Entscheidungen des Kardinals, sofern diese nicht nur religiösen Inhaltes waren, richtig zu deuten. Man weiß zudem aus vielen anderen Beispielen, wie gut es der kommunistischen Propaganda gelingen kann, den Gegner zu leichterem „Gebrauch“ umzustilisieren. ihm auch völlig wesensfremde Motive

und Ziele anzuhängen. Die Priesterpersönlichkeit Mindszentys mußte in dieser Sicht nach und nach dem Politiker weichen.

Es ist für die Propaganda ein leichtes, den im Botschaftsgebäude lebenden Kardinal als den Inbegriff für alles Stagnierende, sich vom „pulsierenden Leben“ Abschließende, hinzustellen. Ferner ist er, so meint man, doch kein Märtyrer. Weder er noch andere Bischöfe befinden sich doch in Haft, sie entziehen sich nur der Gemeinschaft aller „aufbauenden Kräfte“, hängen der Vergangenheit nach, wollen das Rad der Geschichte zurückdrehen ... Sooft ein Propagandaredner vor einem katholischen Publikum in Ungarn über „Fortschritt“ und „Reaktion“, über „Freiheit“ und „Knechtschaft“ redet, kann er mit Sicherheit damit rechnen, daß seine Anspielungen, mit denen er die noch verbliebenen alten, zurückgezogen oder in der Verbannung lebenden Bischöfe im allgemeinen und Kardinal Mindszenty im

besonderen meint, auch verstanden werden, weil sich mit ihnen ein Bild — das Bild des im Botschaftsgebäude lebenden Kardinals — verbindet. Und das ist eine Belastung, mit der die Katholiken fertigwerden müssen. Die sattsam bekannten Wortspiele jeder totalitären Propaganda mit der Jugend und der Zukunft erfüllen auch in Ungarn gerade im Kampf der Kommunisten gegen die Kirche ihre besondere Funktion.

Königreiche ohne König

Die Lage der Kirche in Ungarn erinnert in manchem an die staatsrechtliche Situation Ungarns zwischen den beiden Weltkriegen. Ungarn war damals ein Königreich ohne König. Der „Reichsverweser“, Nikolaus von Horthy, war sonderbarerweise ein stiller Gegner dessen, dessen Platz er stellvertretend einnahm, und den er doch an der Rückkehr unter Berufung auf höhere Interessen des Staatswohls gehindert hat. In Ungarn gibt es heute nur mehr fünf Diözesan-bischöfe; drei Erzbischöfe und drei Bischöfe werden durch vier apostolische Administratoren und zwei Kapitelvikare ersetzt, deren Person dem Staat genehm ist und die von Rom

nach einigen Vorbehalten schließlich akzeptiert wurden. Diese sechs Persönlichkeiten gehören zu der immer größer werdenden Gruppe der betont regimetreuen Priester, die man früher höhnisch, im Hinblick auf die kommunistische „Friedensbewegung“, in der sie eine bestimmte Rolle gespielt haben, „Friedenspriester“ nannte. Heute wäre eine solche oder ähnliche Bezeichnung sinnlos, weil die damit zu Bezeichnenden in der kirchlichen Administration in der überwiegenden Mehrzahl sind und — zumindest offiziell — mit den fünf verbliebenen Bischöfen auch in der „Friedensarbeit“ eng zusammenarbeiten. Ihre besondere Aufmerksamkeit gilt dem Priesternachwuchs. Die Konflikte, bei denen zuletzt auch die Polizei eingreift und die Gerichte langjährige Freiheitsstrafen verhängen, entstehen heute nicht mehr zwischen Bischöfen und staatlicher Obrigkeit, wie bis 1956, sondern fast ausschließlich zwischen einer spiritua-listisch eingestellten, beinahe apolitischen jungen Priesterelite und der „Erfüllungspolitik“ der Alten. Der kommunistische Angriff verlagert sich damit in den innersten Bereich jeder religiöse Tätigkeit: die feinen Nuancen des Religionsunterrichts, der Predigt und der noch spärlich vorhandenen Seelsorge werden „unter die Lupe genommen“. Das wahre oder zurechtsti-lisierte „Beispiel Mindszenty“ liegt auf der bereits längst verlassenen Front.

„Wer nicht gegen uns...“

Die dem einstigen Führer der in den Fußstapfen Kossuths wandelnden Unabhängigkeitspartei, späteren Ministerpräsidenten, Staatspräsidenten, verfemten und schließlich vergessenen Emigranten Graf Mihäly Karolyi zugedachte Rolle liegt auf einem gänzlich anderen Gebiet. Ministerpräsident Kädär, dem der antistalinistische Kurs Moskaus verhältnismäßig wenig Sorgen macht — die Kommunistische Partei Ungarns hat ihren Stalin in der Person Räkosis noch im Jahre 1956 wohl endgültig abgesetzt —, hat vor kurzem erst die Parole ausgegeben, die schon seit jeher seinen innenpolitischen Kurs bestimmen sollte: Wer nicht gegen uns ist, ist für uns. Diese Politik hat — schon seit jeher — ihre eigenen Schwierigkeiten, die sowohl im eigentlichen Ideologischen als auch in der Struktur der kommunistischen Kaderpolitik liegen, und mit Reden und Parolen allein nicht leicht zu überwin-

den sein werden. Besonders dann dringen heftige Auseinandersetzungen in die Öffentlichkeit, wenn, wie gerade jetzt, Kädär alte Kämpfer durch politisch farblose, aber für die Wirtschaft des Landes unentbehrliche Fachleute auch in hohen staatlichen Funktionen ersetzen läßt. Dieser Politik der Verbreiterung der Basis fehlte bislang sowohl die ideologische Unterstützung als auch das historische Vorbild. Dieses letztere glaubt Kädär in der Gestalt Kärolyis gefunden zu haben.

Mit dem Verräterkomplex behaftet

Die Sache schien einfach — hat aber auch einen Haken, der an dem schließlichen Erfolg der Aktion zweifeln läßt. Mihäly Karolyi war vor allem ein Verletzter, ein auch körperlich gehemmte^ Mann, der, wie er in seinen Erinnerungein selbst schreibt, den Schock seines Lebens in jungen Jahren empfing, als

er entdeckte, daß einer seiner Urahnen.

Sändor Karolyi, ein „Verräter“ war. Der Vorfall lag schon fast zweihundert Jahre zurück. Sändor Karolyi war einer der Generäle, die mit Franz Raköczi gegen Habsburg und „pro übertäte“ Ungarns kämpften. 1711 war es dieser Karolyi, der die Kapitulationsverhandlungen seitens der Truppen Räköczis führte, während Raköczi das Land in Richtung Polen verließ. Und Karolyi hat dafür große Ländereien vom Hof erhalten...

Es war die nationalistische Geschichtsschreibung, die aus Karolyi, der nur das sinnlose Blutvergießen zu beenden half, nachträglich einen Verräter machte. Was eine solche Anklage bedeutete, wußte man in Ungarn damals nur zu gut, denn die Geschichte wiederholte sich, als 1849 Kossuth das Land verließ, während General Görgey die „Verräterrolle“ des kapitulierenden Heerführers in verzweifelter Situation übernehmen mußte. Er war, so lange er lebte, der öffentlichen Verachtung preisgegeben.

Mihäly Karolyi wollte diesem Schicksal entfliehen. Einer der reichsten Aristokraten des Landes, wollte er Ungarn vom „Joch der Habsburger“ und dem des Feudalismus befreien, in eine echte Demokratie westlicher Prägung umwandeln. Der Zusammenbruch im Herbst 1918 war seine Stunde — es kam aber anders. Kräfte, die stärker waren als er, machten aus ihm und seinem Kreis machtlose Werkzeuge. Nicht zu Unrecht wurde Mihäly Karolyi am 18. März 1962 im Budapester Kerepesi-Friedhof als der Wegbereiter der proletarischen Diktatur Bela Kuns gefeiert.

Nun wird auch die gewiß hellhörige ungarische Öffentlichkeit wissen, woran sie ist. Karolyi hat einst seine Ländereien unter den Ärmsten aufteilen wollen — seine Witwe, übrigens die Tochter des letzten Außenministers Österreich-Ungarns, des Grafen Gyula Andrässy, durfte jetzt die Kolchose besuchen, die den Namen Mihäly Karolyi trägt. Die einem Karolyi und — nach diesem Beispiel — der nichtkommunistischen akademischen Intelligenz, den bürgerlichen Demokraten und den unpolitischen Fachleuten zugedachte Rolle ist, Wegbereiter des kommunistischen Endsieges zu sein, ■nichts anderes. Die Ahne.ngalerie des Kommunismus ist in Ungarn um ein Bild rei'dhCT geworden* — sie winj aber trotzdem kaum mehr Besucher bekommen.

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