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Minister heißt Diener…

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Es ist mit der Herrschbegierde wie mit der Eßlust. Bei schwachen Gemütern ist jene oft am stärksten, wie diese oft am größten ist bei Menschen von schwacher Verdauung.

Ludwig Börne

Als in Deutschland im Frühjahr 1932 Hitler sich um das Amt des Reichspräsidenten bewarb, wurde der Wahlkampf nicht nur mit geistige Waffen geführt. Allzuoft ersetzte der Schlagring das Argument. Manche Wahlversammlung wurde eine „Beute“ von Sprėngkommandos: Verwundete und Tote blieben auf der Walstatt dieses Wahlkampfes um den Reichspräsidentenstuhl, lieber diese Terrormethoden sagte Altbundeskanzler Dr. Ignaz Seipel im kleinen Kreise fünf Monate vor seinem Tode: „Das, was wir jetzt in Deutschland und Oesterreich Demokratie nennen, ist keine Demokratie. Vielleicht muß erst ein Cromwell kommen. Dann werden wir vielleicht in Deutschland und Oesterreich eine wahre Demo kratie haben.“

An diese Worte wurde man erinnert, als in den letzten neun Wochen die Demokratie in Oesterreich eine Zerreißprobe ablegte, die alle Patrioten mit ernster Sorge erfüllte. Was sich hier vor den Augen der Oeffentlichkeit abgespielt hat, war für die Beteiligten keineswegs immer schmeichelhaft. Was hier an Parteiegoismus und Machtstreben ungeniert vorexerziert wurde, wie um jede Position gerungen wurde, als wollte man für die nächste Wahl möglichst viele günstige und einflußreiche Ausgangsstellungen gewinnen — das alles kann nur als Entartung bezeichnet werden. Es wurde die bittere Bemerkung laut, daß Oesterreichs Demokratie nur im Schatten von vier Besatzungsmächten funktioniere. Es liegt bei der neuen Bundesregierung und jedem einzelnen Minister, daß die bei den Parteienverhandlungen seit dem 10. Mai zutage getretenen unerfreulichen Erscheinungen vergessen werden und eine Besinnung auf die wahren Aufgaben der obersten Organe der Staatsverwaltung eintritt.

Zur Zeit des Römischen Reiches waren auf den Meilensteinen der römischen Straßen drei Buchstaben zu lesen: P. P. C. — Pro Patria Consumor — Fürs Vaterland verzehre ich mich. Solche Meilensteine sollten auch den Weg der neuen Regierung säumen, und es sollte dabei niemandem einfallen, das Wort „Vaterland durch „Partei“ zu ersetzen. Das Wort „Minister“ bedeutet nicht etwa, wie man aus den Verhandlungen zur Regierungsbildung den Eindruck gewinnen konnte, „Herrscher“, sondern heißt „Diener“. Es hat in weiten Kreisen der Bevölkerung Aufsehen erregt, daß ein Regierungsmitglied es abgelehnt hat, nur „Staatsnotar" zu sein, und die „ganze Macht" in seinem neuen Ressort verlangt hat. Dieses unbedingte Machtstreben macht mit Recht mißtrauisch und erweckt Befürchtungen über die künftige „Anwendung dieser Macht".

Der Eid, den die Mitglieder der Bundesregierung in die Hand des Staatsoberhauptes ablegen, ist keine bloße Formsache. „Ich gelobe, daß ich die Verfassung und alle Gesetze der Republik getreulich beobachten und meine Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen werde.“ In diesem Zusammenhang ist es notwendig, auf § 21' der Dienstpragrhatik hinzuweisen, in dem es u. a. heißt, daß der Beamte verpflichtet ist, die Pflichten seines Amtes gewissenhaft, unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen, jederzeit auf die Wahrung des öffentlichen Interesses Bedacht zu nehmen sowie alles zu vermeiden und nach Kräften hintanzuhalten, was diesem abträglich sein und den geordneten Gang der Verwaltung beeinträchtigen könnte. In § 23 wird die „Amtsverschwiegenheit" als eine besonders streng zu beobachtende Pflicht bezeichnet. Was für den Kanzleisekretär, den Ministerialrat und Sektionschef gilt, das ist erst recht eine selbstverständliche Pflicht des Ministers.

’War das in den letzten Jahren immer so selbstverständlich? Hat man nicht öffentlich dem Justizminister vprgeworfen„ er . hahę. im JF.alle „Gräf & Stift“ den Akt jahrelang nicht herausgegeben und Gesetzesbrecher ihrem ordentlichen Richter entzogen? Hat man nicht öffentlich Kritik geübt, daß geheimzuhaltende Dokumente aus Polizeiakten in den Redaktionen von Parteizeitungen gelandet und dort parteipolitisch ausgewertet worden sind? Es ist der schwerste Vorwurf in einem demokratischen Staat, wenn man einen „Bundesminister“ einen „Parteiminister“ nennt. Jener dunkle Zeitabschnitt, in der ein

Mann von sich sagte: „Der Staat bin ich", ging im April 1945 zu Ende, als der von Seipel angekündigte Cromwell Selbstmord beging. In unserer parlamentarischen Demokratie gilt immer noch der Grundsatz, daß die Minister die Diener und Vollstrecker der Gesetze und dem Gesetzgeber, dem Nationalrat, politisch und rechtlich verantwortlich sind.

Das Volk hat ein feines Gefühl dafür, in welchem Geiste und in welcher Gesinnung ein Amt ausgeübt wird, ob sich ein Minister ein „Königreich“ einrichtet, in dem er nach Gutdünken schaltet und waltet, ob sich seine Parteifreunde auf ihn „verlassen" können nach dem Motto: „Der Herr Minister wird’s schon richten“, oder ob der Inhaber dieses Amtes uneigennützig und unparteiisch seine beschworenen Pflichten erfüllt.

Auf diese geistige Grundeinstellung unserer obersten Staatsorgane wird es künftig mehr als bisher ankommen. Die Inschrift auf dem Burgtor „Justitia Regnorum Fundamentum“ gilt erst recht für die Republik. Was nützt der Wohlstand mit Glaspalästen, Autos, Mallorcareisen, Kühlschränken und Fernsehapparaten, wenn das Vertrauen des Volkes in Recht und Gerechtigkeit verlorengeht. Es ist bedauerlich, daß in der Regierungserklärung kein Wort darüber enthalten war, mit welchen Mitteln die neue Bundesregierung gegen den egoistischen und materialistischen Zeitgeist ankämpfen will? Die Worte Seipels» in .seiner berühmten Rede, am 2 . Jänner 1924 im Festsaal der Wiener Bäckergenossen- , schäft scheinen wie für unsere Tage gesprochen zu sein: „Jetzt aber, da wir eine stabilisierte Währung und die sichere Aussicht auf das . Gleichgewicht im Staatshaushalt haben, müssen wir vor allem um ein stabilisiertes Gleichgewicht in den Seelen ringen. Dieser sittliche Wiederaufbau ist eine Aufgabe, an der wir noch länger werden arbeiten müssen, weil die Wurzel dieses Uebels auch viel .tiefer liegt.“

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