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Ministerium mit 16 Ministern

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Oberflächlich gesehen, scheint die Außenpolitik den einzelnen Staatsbürger am wenigsten zu betreffen. Er bezieht sie kaum auf sich, außer wenn er mit Erleichterung feststellt, daß er für die Reise in dieses oder jenes Land kein Visum braucht oder daß er diese oder jene Waren auf Grund von Zollherabsetzungen infolge irgendwelcher Abmachungen mit irgendwelchen Ländern billiger erstehen kann. Tatsächlich jedoch sind die auswärtigen Angelegenheiten, wie Lord Curzon, einer der klügsten Außenpolitiker der neueren Zeit, einmal gesagt hat, „die bedeutendsten von allen unseren inneren Angelegenheiten, da sie das Leben, das Interesse und die Wohlfahrt jedes Mitglieds der Gesellschaft berühren".

Außenpolitik als Buß- und Bittgang

Es gibt keinen Österreicher, dessen persönliches Schicksal nicht durch die zahllosen außenpolitischen Handlungen, welche die Geschichte unseres Landes geformt haben, zutiefst beeinflußt worden wäre. In diplomatischen Noten wurde über Leben und Tod von Millionen Menschen beschlossen; man denke nur an das Ultimatum des österreichisch-ungarischen Außenministers, Graf Berchtold, an die serbische Regierung im Jahre 1914. Wo und wie Generationen von Österreichern leben sollten, wurde 1919 im Staatsvertrag von Saint-Germain und 1922 in den sogenannten Genfer Protokollen festgelegt. Die Verträge Dollfuß’ mit Mussolini, das Berchtesgadener Abkommen Schuschniggs mit Hitler bestimmten unsere persönlichen Schicksale auf Jahrzehnte hinaus. Und die hier genannten außenpolitischen Handlungen waren nur die vielleicht auffälligsten, einschneidendsten unter hunderten anderen.

Freilich waren und sind sie niemals wirklich freie Willensakte der Staatsmänner und Diplomaten, die sie verhandeln und formulieren, sondern immer zugleich auch Ausdruck unserer innerstaatlichen moralischen und materiellen Zustände und der Beziehungen unserer Menschen untereinander. Freilich schafft das Maß unserer Gemeinsamkeiten und Uneinigkeiten mit an dem in ständiger Arbeit befindlichen Riesengobelin der internationalen Politik, deren Zustand wieder auf die einzelnen nationalen und von diesen auf die persönlichen Schicksale nachdrücklich zurückwirkt.

Kann man sich ein stärkeres Aufeinanderwirken des innen- und außenpolitischen Schicksals eines Volkes vorstellen als jenes, welches das Erstehen der Zweiten Republik (die Erste war eigentlich nur ent standen) ermöglichte? Die innere soziale und nationale Entwicklung in den Ländern der Monarchie hatte deren Völker auf eine Weise auseinandergebracht, die nicht nur zum militärischen Zusammenbruch und politischen Zerfall führte, sondern noch jahrzehntelang im Leben unseres Volkes verhängnisvoll nachwirkte. Doch gerade die tragische Konsumation des also bewirkten Schicksals brachte nationale Gemeinsamkeit im österreichischen Volk hervor und legte die Grundlage für dessen eigentliche Nationwerdung in den zwei Perioden von 1938 bis 1945 und von da bis 195 5. Die Gänge unserer Außenpolitiker waren bis 1955 — wie Staatskanzler Dr. Karl Renner es 1919 genannt hatte — „nicht so sehr ein Gang zum Verhandlungstisch, sondern vielmehr ein Büßgang" und später bestenfalls Bittgänge. Und von Seipel stammt der Satz, daß „unsere beste Außenpolitik immer noch darin besteht, keine zu haben". Es war symbolisch für die so stark veränderte innere und äußere Lage Österreichs, daß der Staatsver-

trag von 1955 nicht irgendwo im Ausland, sondern im Wiener ‘Belvedere, mit den Österreichern als Gastgebern, unterzeichnet wurde. Und es hatte nur wenig mit dem Ehrgeiz der österreichischen Sozialisten zu tun und viel, viel mehr mit der gesamten veränderten inneren und äußeren Lage Österreichs, wenn es 1959 zum erstenmal seit 1923 wieder ein eigenes Außenministerium erhielt.

Selbständiges Ministerium: Symbol und Auftrag

Wir haben seit damals zwar eine Reihe von Außenministern, aber kein Außenministerium mehr gehabt. Österreichs letztes Außenministerium war auf Grund der Sparmaßnahmen, zu denen sich die österreichische Regierung bei der Aufnahme einer Völkerbundanleihe verpflichtet hatte, am 9. April 1923 aufgelassen, seine Agenden vom Bundeskanzleramt übernommen worden. Böse Zungen erklären dies auch damit, daß man keinem österreichischen Außenminister mehr zuviel Macht in die Hände geben wollte, seitdem man so schlechte Erfahrungen 1914 mit Berchtold und 1918 mit Andrassy (der die Note mit dem Angebot eines Sonderfriedens an die Entente verfaßt hatte) gemacht hatte. Letzten Endes dürfte aber die stark eingeschränkte außenpolitische Handlungsfreiheit Österreichs von 1918 bis 1955 entscheidend gewesen sein.

Wir haben noch nie seit 1918 soviel Freiheit, Unabhängigkeit und Souveränität gehabt, wie seit 1955. Wir haben uns das zum Teil selbst verdient, nur zum Teil, aber der war ausschlaggebend, damit Klio in einer günstigen Konstellation der internationalen Politik ein Auge gegenüber einigen Passivposten auf dem österreichischen Konto zudrückte.

Doch zu jener damaligen momentanen Konstellation wäre es nicht ohne eine viel tiefere, bleibendere Änderung der gesamten internationalen Lage im Vergleich zu jener der Zwischenkriegszeit gekommen. Es ist hier nicht der Raum, sich näher mit ihr zu befassen. Tatsache ist, daß die Entwicklung dessen, was man das europäische Staatensystem nannte, durch das Hinzukommen neuer, riesiger Faktoren in der Weltpolitik — Amerikas, der Sowjetunion, Indiens und anderer — „einen Umschlag in der gesamten Qualität der Rationalisierung und Systematisierung der internationalen Politik erfahren hat“, wie der Staatsrechtler Carlo Schmid es in einem Vortrag definierte. Auf der Grundlage dieser „neuen Qualität“ wird heute auf der ganzen Welt viel mehr Außenpolitik betrieben denn je zuvor. Auch von so kleinen Ländern wie dem unseren. Selbst wenn man von den riisjgen, Personalbeständen der diplomatischen Vertretungen der USA oder der UdSSR absieht — diese besitzen in manchen Ländern bis zu 2000 Angestellte —, haben auch alle anderen Staaten ihre Außendienste um ein Vielfaches der Vorkriegszeit vermehrt.

Auch wenn man in Bedacht zieht, daß wir ein kleines Land sind, das mit seinen Mitteln sparsam umgehen muß, scheint der Personalstand unseres auswärtigen Dienstes lächerlich klein angesichts der vor uns stehenden Möglichkeiten und Aufgaben zur Wahrnehmung der österreichischen

Interessen im Ausland. Dem höheren auswärtigen Dienst Österreichs gehören derzeit im Ausland 107 Beamte und 74 in der Wiener Zentrale an. (16 davon sind Minister, aber das ist ein Titel, den man nach soundsovielen Dienstjahren im höheren auswärtigen Dienst erhält.)

Dieweil in Afrika ein neuer Staat nach dem anderen entsteht, haben wir auf dem ganzen riesigen Kontinent drei Vertretungen: eine im Süden, in Pretoria, eine in Kairo und eine in Rabat. Derzeit wird die Errichtung einer weiteren Vertretung in einem der neuen Staaten erwogen; man ist sich anscheinend noch nicht darüber einig, ob sie in Nigeria oder in Ghana sein soll. Ich würde sagen, daß man, um den in beiden Ländern so klar hervortretenden verschiedenen politischen Tendenzen zu entsprechen, sowohl in dem einen wie in dem anderen eine Vertretung errichten sollte. Es ist eine Frage der finanziellen Mittel.

Der prozentuelle Anteil des auswärtigen Dienstes am Gesamtbudget der österreichischen Hoheitsverwaltung ist trotz des Ansteigens des letzteren gesunken und nicht mitgestiegen. 1950 betrug der Anteil 1,12 Prozent, 1960 0,53 Prozent. Freilich stellt sich das Verhältnis in absoluten Zahlen günstiger dar: 1950 erhielt die Abteilung „Auswärtige Angelegenheiten“ des Bundeskanzleramtes 65,7 Millionen Schilling für ihre Erfordernisse, während das neue Bundesministerium für Äußeres im Staatsbudget von 1960 mit 152,8 Millionen Schilling beteiligt wurde. Das ist das Zweieinhalbfache des vorigen Betrages. Nun hat sich aber der Wirkungskreis der österreichischen Außenpolitik seit 1950 subjektiv und objektiv um viel mehr als um das Zweieinhalbfache erweitert. 1950 standen wir noch unter der Alliierten-Kontrolle und waren sowohl außenpolitisch als auch wirtschaftlich behindert. Dazu kam — selbst wenn man von Afrika absieht — die Ausdehnung der gesamten internationalen Aktivität, die europäische Integration, EFTA, unsere Aufnahme in die UNO und in andere Körperschaften und die damit verbundene Notwendigkeit der Entsendung von Personal. Und in der internationalen Politik geht es heute, in der Zeit noch nie dagewesener wirtschaftlicher Expansionen, keineswegs um leere Repräsentation. Hier gilt der harte Satz: Wer da ist, erntet.

Über den Wirkungskreis des Außenministeriums gibt das hier mit- abgedruckte Dienstschema einen gewissen Überblick. Es macht jedoch noch nicht die Ingerenzfähigkeit des Ministeriums ersichtlich. Als das Ministerium neu gebildet wurde, existierte keine präzise Definition seines Wirkungsbereiches. Das letzte diesbezügliche Gesetz stammte aus dem Jahre 1867; darin wurde der Wirkungsbereich des k. u. k. Ministeriums des Äußeren auf sehr summarische Wei e umschrieben. 1959 kam es aber darauf an, die wesentlichen Zuständigkeiten und Funktionen festzuhalten, die ein modernes Außenamt zur Durchführung seiner Aufgaben braucht. Der dafür designierte Leiter bestand mit ziemlichem Nachdruck darauf, daß solches geschehe, und die Festlegung der Kompetenzen erfolgte in langen, eingehenden Verhandlungen der beiden Regierungsparteien. Das Gesetz, in welchem sie formuliert waren, wurde einstimmig im Parlament (mit den Stimmen der Opposition) beschlossen. Es übertrug dem neuen Ministerium ausdrücklich die Wahrung der außenpolitischen Belange auf allen Bereichen der Bundes- und Landesverwaltung, das heißt auch gegenüber allen anderen Ressortministerien. Dadurch werden diese nicht in ihren technischen oder ausschließlich auf das Inland bezüglichen Kompetenzen geschmälert, aber dem Außenministerium wird die Rolle des Koordinators aller irgendwie dä§ Ausland betreffenden Agenden übertragen, damit die Grundsätze der von ihm betreuten Außenpolitik nicht durch isolierte Maßnahmen anderer Stellen beeinträchtigt oder verletzt werden.

Die Entwicklung der internationalen Politik ist’ in- zunehmendem -Maße durch eine Verflechtung von wirt- schafts-, handels- und außenpolitischen Interessen bedingt und gekennzeichnet. Es war also imperativ, daß die Behandlung solcher Angelegenheiten vom Außenministerium geführt wird, wie das zum Beispiel bei den EFTA- Konferenzen in Stockholm und London. aber auch bei bilateralen Verhandlungen geschah und geschieht. Auch auf dem Gebiet der österreichischen Kulturpolitik im Ausland, die vom Standpunkt unserer außenpolitischen Gesamtinteressen gesehen und behandelt werden muß, wurde eine Zusammenarbeit zwischen dem Außenministerium und dem Unterrichtsministerium festgelegt.

Der persönliche Faktor

Dean R u s k, der kommende Außenminister der Vereinigten Staaten, ist vor einigen Monaten in der Zeitschrift „Foreign Affairs" für die Rückkehr zur Handhabung der Außenpolitik durch die Berufsdiplomaten und für die Abkehr von der „Gipfel“praxis eingetreten. Er wies darauf hin, daß die bisherigen Erfahrungen mit der Gipfeldiplomatie alles andere als ermutigend seien. Die allzu häufige persönliche Verwendung des ersten Mannes im Staate in der Außenpolitik sei, so erklärte Rusk, mit der Verwendung einer Droge zu vergleichen, deren Wirkung beim ersten Male stark ist, mit jedem weiteren aber immer mehr nachläßt und zu immer stärkeren Dosen — im Falle der Gipfelpolitiker zu immer drastischerem öffentlichem Auftreten — zwingt. Gerade durch dieses aber ist die Illusion von der Allmacht der Staatsführer zur Erzwingung außenpolitischer Entscheidungen recht rauh zerrissen worden. Dean Rusk wies des weiteren darauf hin, daß echte Ergebnisse in der Außenpolitik nur von mit spezialisierten Sachkenntnissen ausgerüsteten Expertengruppen erreicht werden können. Er verlangte viel höhere Anforderungen an die Schulung und strengste Auslese des diplomatischen Personals.

Die letzteren Prinzipien werden bereits seit langem in Österreich bei der Rekrutierung der Beamten des höheren auswärtigen Dienstes angewendet. Der junge Mann, der in den diplomatischen Dienst geht, weil er zu nichts anderem taugt oder weil er sich davon ein leichtes Leben verspricht, hätte heute nicht einmal den Schatten einer Chance, dort aufgenommen zu werden. Die Vorstellungen von der „lei- sure“ des Diplomatendaseins stammen aus Zeiten, in denen die Außenpolitik so etwas wie eine Familienangelegenheit des europäischen Feudaladels gewesen sein mag. Der höchst komplexe und hochorganisierte Charakter der internationalen Politik und Wirtschaftspolitik von heute, die Intensivierung multilateraler Organisationsformen und dergleichen mehr, verlangen hochqualifizierte Kräfte sowohl in den zu entsendenden Vertretungen als auch in den entsprechenden Ressortabteilungen zu Hause. Umgekehrt läßt aber die ganze Praxis des auswärtigen Dienstes, infolge der dort so häufig auftauchenden Notwendigkeit, Personal auszutauschen und zu ersetzen, keine einseitige Spezialisierung zu. Der Nachwuchs wird daher im Hinblick auf möglichst vielseitige Verwendbarkeit ausgesucht und ge schult. Die Prüfungen für die Aufnahme in den Dienst setzen Kenntnisse und Charaktere voraus, wie sie nur durch ein konzentriertes Studium und strenges Training erworben werden. Jeder Anwärter muß von vornherein ein Doktorat der Rechts-, Handelsoder Geschichtswissenschaften (letzteres aber nur in Verbindung mit dem Lehrgang für internationale Beziehungen der Wiener Universität) besitzen, ehe er zum sogenannten Examen prealable, der vorläufigen Aufnahmeprüfung, antritt. Bei dieser wird er Fragen und schriftlichen Aufgaben unterworfen, mit deren Beantwortung und Ausführung er unter anderem nachweisen muß: überdurchschnitt liche Allgemeinbildung, universelle politische Kenntnisse, die sowohl mündliche als auch schriftlich-literarische Beherrschung von Englisch und Französisch sowie einer dritten, frei wählbaren Fremdsprache, die Fähigkeit, gemachte Beobachtungen, selbst geführte oder angehörte Gespräche nahezu photographisch getreu wiederzugeben und, neben dem sprichwörtlich tadellosen Auftreten, noch anderes mehr. Ein Viertel bis zu einem Drittel der Bewerber kommt bei dieser Prüfung durch. Jene, welche passierten (das geschieht durch ein Punktebewertungssystem), werden nur provisorisch auf ein Jahr zur Bewährung aufgenommen. Sollten ihre Leistungen befriedigen, dann müssen sie eine zweite, viel intensivere und gründlichere Prüfung, die sogenannte Fachprüfung für den höheren auswärtigen Dienst, ablegen, ehe sie endgültig aufgenommen werden. Derzeit wird zusammen mit anderen Stellen ein einjähriger, spezialisierter und besonders intensivierter Studienkursus in Form eines Internats vorbereitet, welcher der Heranbildung einer Nachwuchselite aus den Absolventen von Hochschulen sowohl für den auswärtigen Dienst als auch für internationale Organisationen dienen soll. Diesen Kurs sollen auch besonders qualifizierte ausländische Teilnehmer besuchen können.

Ein zweiter Artikel soll sich mit den bisherigen Leistungen und den Konzeptionen des Außenamtes sowie mit dem bevorstehenden „Zweiten Wiener Kongreß“ der internationalen Diplomatie beschäftigen.

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