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Mit der Bombe leben

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Es war ein strahlender Sommermorgen, der an diesem 6. August 1945 über Hiroshima angebrochen war. Der Krieg schien weit von dieser Stadt entfernt zu sein. In Europa schwiegen seit einem Vierteljahr schon die Waffen, aber als Deutschland kapitulierte, erklärte Japan, daß es den Krieg weiterführen werde. Seine militärische Situation schien nicht schlecht. Mit Rußland, dem benachbarten Riesen, der ihm allein hätte gefährlich werden können, bestand kein Kriegszustand. Ängstlich hatten beide Mächte es in den vergangenen Kriegstagen vermieden, einander den Krieg zu erklären. Die japanischen Armeen hatten noch ungeheure Gebiete besetzt, wie große Teile Chinas, Indonesiens, Hinterindiens. Der Optimismus der Regierung von Tokio war somit nicht ganz unbegründet. Und da kam der 6. August 1945... Einer der wenigen Uberlebenden dieses Tages erzählte, er habe an diesem Morgen einen einzigen amerikanischen Langstreckenbomber am Himmel gesehen, der nicht gerade gefährlich erschien. Es war ein Langstreckenflugzeug B-29 der US-Air-Force, das eine bisher unbekannte Bombe an Bord hatte, mit dem Auftrag, sie über Hiroshima abzuwerfen.

Um 8.34 Uhr geschah dann das Unbegreifliche: die Stadt verglühte in einem Atomblitz.

Hinter dieser nüchternen Feststellung versteckt sich ein Grauen sondergleichen: Vor der Explosion der Atombombe hatte Hiroshima 400.000 Einwohner. 87.000 dieser Einwohner starben sofort, tausende waren so schwer und so grauenhaft verletzt, daß sie entweder bald oder in den nächsten Monaten oder Jahren starben, so daß diese eine Bombe rund 280.000 Menschen tötete. Wer aber überlebte, war meist so geschädigt, daß das Leben für ihn eine Qual wurde. Hibakushas werden diese Überlebenden genannt, die von vielen Fremden in einer grausamen und perversen Neugier besucht und betrachtet werden und die auch ein sonst elendes Leben führen, da sie von der japanischen Regierung nur eine Monatsrente von höchstens 700 Schilling bekommen, kaum aber durch etwas Arbeit ihr Leben verbessern können Knapp nach der Explosion der Atombombe erklärte Rußland Japan den Krieg, eine fast überflüssige Geste, die nicht von viel Heroismus zeugt. Und am 9. August fiel die zweite Bombe. Diesmal auf Nagasaki. Auf diese Stadt, die schon soviel Märtyrertum mitmachen mußte. Denn trotz aller Verfolgungen hatte sich in ihr das Christentum seit dem 17. Jahrhundert in Form einer Geheimkirche bewahrt, die ohne Bischöfe und Priester leben mußte und deren Gläubige nur zwei Sakramente empfangen konnten, das der Taufe und das der Ehe. Eine Kirche, die so lange im verborgenen lebte, bis im späten 19. Jahrhundert endlich die Freiheit schlug. 22 Jahre vor dem Fallen der Atombombe hatte ein Erdbeben die Stadt zerstört, aber das Elend dieser Tage war nichts im Vergleich zu dem Elend, das die Bombe vom 9. August schuf. Obwohl Japans strategische Lage eigentlich glänzend war, siegte gegen die Stimmen des Militärs bei der japanischen Regierung die Überzeugung, daß der Krieg verloren sei, und Japan bot die Kapitulation an. Der Krieg war auch hier zu Ende. Rußland erhielt für die wenigen Tage, in denen es sich im Krieg mit Japan befunden hatte, alles wieder zurück, was es einst im russischjapanischen Krieg verloren hatte, und der internationale Kommunist Stalin hielt von Revanche triefende nationalistische Reden gegen Japan. Mit diesem 6. August 1945 begann das Atomzeitalter, und seither müssen die Menschen in der Angst vor dem Ausbruch eines Atombombenkrieges leben. Dennoch hat die Existenz der Atombomben, so seltsam dies klingen mag, bisher den Ausbruch eines dritten Weltkrieges verhindert und der Welt schon ein Vierteljahrhundert Frieden beschert. Denn alle Kriege, die sich seit 1945 wieder abspielten, waren keine Weltkriege, sondern rollten am Rande der Weltgeschichte ab, wie der Koreakrieg, der Vietnamkrieg, der Krieg zwischen Israel und den Arabern, die Bürgerkriege in Afrika, Asien, Südamerika. Alle diese Kriege waren „kleine“ Kriege mit sogenannten „traditionellen“ Waffen. Es waren Kriege, in welche die Großen dieser Welt nur teilweise oder nur indirekt verwickelt waren. Und unter Großen dieser Welt versteht man jetzt allgemein nur noch jene Mächte, die Mitglieder des sogenannten Atomklutas sind, das heißt: die sich im Besitz der Atombombe befinden.

Und die Mitglieder dieses Atomklubs wissen, daß ein Krieg untereinander ein furchtbares Pokerspiel ist. Denn jeder weiß, daß ein dritter Weltkrieg mit dem Abwurf der Atombombe beginnen muß. Denn jeder Krieg beginnt dort, wo der frühere aufhörte. Der erste Weltkrieg begann mit Feldgrau, Schützengräben und Maschinengewehren, mit denen der russisch-japanische Krieg aufgehört hatte. Der zweite Weltkrieg begann mit Flugzeugen und Tanks, mit denen wieder der erste geendet hatte. Und der dritte müßte mit dem Abwurf von Atombomben beginnen, da doch der zweite mit diesen aufhörte. Die Frage ist nur, wer in einem solchen dritten Weltkrieg als erster die Atombombe wirft und damit die entscheidende Runde gewinnt. Die Supermächte haben seither ungeheure militärische Systeme aufgebaut, von denen die normalen Sterblichen kaum etwas ahnen, deren einziger Zweck es ist, bei Ausbruch eines dritten Weltkriegs einige Sekunden vor dem andern die Atombombe abzuwerfen. Und da trotz aller Sicherheitsvorkehrungen, trotz aller Spionage keine der Supermächte weiß, ob sie wirklich die erste mit dem Abwurf der Bombe sein wird, gehen sie erst gar nicht auf dieses Hasardspiel ein, sondern bewahren, wenn auch zähneknirschend, den Frieden. Es ist ein Frieden aus Angst. Und diese Angst wird nur übertroffen durch die Angst, daß eine andere Macht eines Tages auch die Atombombe haben könnte und sich dann nicht mehr an die Regeln des Atomklubs halten könnte.

Seit dem 6. August 1945 muß die Welt „mit der Bombe leben“. Und sie lebt seither mehr oder minder in Frieden. In einem Frieden aus Angst. Warm aber wird die Welt endlich erkennen, daß der echte Frieden nicht aus Angst geboren sein darf, sondern aus einem echten Willen zum Frieden? Aber solange dieser Idealzustand nicht erreicht ist, ist dieser Friede aus Angst doch noch besser als gar kein Friede:

Denn Hiroshima und Nagasaki sollen sich nicht wiederholen.wickeln und Botschafter-Demarchen zu veranstalten.

Aber wird dieses Argument genügen, die Ratifizierung des nunmehrigen Scheel-Vertrages im Bundestag zu erreichen?

Die CDU/CSU steht auf dem Standpunkt, daß dieser Vertrag eine Zweidrittelmehrheit erfordert und stützt sich auf die Gutachten bedeutender bundesdeutscher Juristen. Die Regierung glaubt, nur eine einfache Mehrheit zu benötigen und stützt sich auf ihren „Verfassungsminister“ Gen-schen und seine Experten. Aber sogar im Fall der Abstimmung mit einfacher Mehrheit sind nur wenige FDP-Abgeordnete notwendig, um Brandt und Scheel eine Parlamentsniederlage zu bescheren — und sie damit zu blamieren. . Wag aber, wenn' der Verfassungsstreit nicht bereinigt wird, der Vertrag doch mit einfacher Mehrheit ratifiziert wird, die CDU/CSU die Verfassungsklage erhebt und der Bundesverfassungsgeriichtshof gegen die Regierung entscheidet? Nachdem der Vertrag völkerrechtlich etwa schon in Kraft getreten ist? Immerhin kann die SPD nicht einmal nationale Interessen beschwören — hat sie doch gegen den 1952 beschlossenen Deutschlandvertrag gleichfalls — erfolglos — Verfas-sungsklage erhoben. Das alles deutet darauf hin, daß die deutsche Innenpolitik zu einer herbstlichen Schlammschlacht werden wird. Und es kann durchaus sein, daß tatsächlich schon bald nur mehr ein einziger klärender Weg offenbleibt: der Weg der Bundesdeutschen zu den Wahlurnen — zum erstenmal seit Bestehen der Bonner Republik noch vor dem Ende der Legislaturperiode. Und wenn man Demoskopen noch irgendwie trauen darf, haben Brandt und Scheel kaum eine Chance ...

Die Konsequenzen für die europäische Szene allerdings dürfen nicht übersehen werden; ein Mißerfolg der Verhandlungen mit Bonn kann auch im Kreml Nachwirkungen haben. Es dürfte kein Zufall sein, daß schon mehrere Kreml-Größen gerade an dem Kontakt mit den Deutschen scheiterten: Berja etwa 1953 (wie neue Kreml-Forschungen ergeben), Malenkow wahrscheinlich 1955, Chruschtschow sicher 1964 (kurz vor seinem geplanten Bonn-Besuch). Die „Falken“ in Moskau warten auch jetzt auf den Mißerfolg: sie haben schon immer gesagt, daß den Deutschen nicht zu trauen sei — und den Status quo — so mögen sie sagen, schützen Sowjetpanzer und Mig-Staffeln besser als Verträge mit den unheimlichen Partnern vom Rhein. Dann mag aber der neue Geist von Gromykos Datscha ebenso in die Geisterbahn wandern wie der Geist von Rapallo — und der Pakt zwischen Stalin und Hitler. Dabei hätte Europa einen neuen Beginn nach 50 Jahren leidvoller Historie verdient.

Aber leider spricht — ist man auch gutgläubig — wenig dafür, daß Scheels Vertrag dieser neue Beginn ist...

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