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„Mit Italien nicht rechnen“

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Präsident Nixons zweitägiger Aufenthalt in Rom und Neapel ist der fünfte Besuch eines amerikanischen Präsidenten in Italien. Merkwürdigerweise blieb lediglich Eisenhowers Visite vor elf Jahren ohne nennenswerten kommunistischen Protest. Togliatti sah in „Ike“ weniger den Amerikaner, der auf dem Rücken der damals noch deutlich rechtsstehenden republikanischen Partei ins Weiße Haus gelangte, auch nicht den Exponenten des kalten Krieges auf Seiten der sogenannten freien Welt, sondern den Helden des zweiten Weltkrieges und den Befreier Europas, nicht zuletzt auch Italiens. Im Jahre 1963, als Ikes Nachfolger Kennedy die ewige Stadt besuchte, kam es zu Zusammenstößen zwischen Polizisten und Demonstranten, auf beiden Seiten sogar zu einigen Verletzungen. Die Kommunisten protestierten damals gegen die amerikanische Südostasienpolitik. Im Handgemenge wurde einem Gorilla-Leib-wächter des Präsidenten die Pistole gestohlen. Dieser Vorfall ging als Bravourstück des flinken Diebes in die Geschichte der italienischen Kriminalistik ein.

Daß Lyndon Johnson 1967 Ziel kommunistischer Manifestationen war, versteht sich von selbst. Auch Nixons erste Visite in Rom, Ende 1969, blieb alles andere denn unwidersprochen. Seine Fahrt durch Rom hatte nicht weniger als 100 Verletzte und sogar einen Toten zur Folge.

Neu am jetzigen Widerstand gegen den Besuch eines amerikanischen Präsidenten ist die ausdrückliche Opposition vieler Linkssozialisten und Christlichdemokraten. Hatten sie bisher die „show“ der Staatsvisdte des ungekrönten Königs der NATO wie einen Wirbelwind über sich ergehen lassen, so protestierten sie jetzt kaum weniger laut als Linksextreme und Anarchisten gegen das, was sie eine „bloße Inspektionsreise“ nennen. „Nixons Aufenthalt im Quirinal, im Chigi-Palast und im Vatikan, das alles ist nur Theater, bestenfalls eine Ouvertüre“, sagten sie. „Der Besuch des amerikanischen Präsidenten gilt im Grunde genommen den hier stationierten Einheiten der sechsten Flotte und den Besprechungen mit sämtlichen amerikanischen Botschaftern des Mittelmeerraumes, die Nixon zum Appell nach Neapel bestellt hat.“ Solche Bedenken sind auch in der außenpolitischen Kommission der Kammer lautgeworden. Minister Moro versuchte war, Nixons Italienaufenthalt so schmackhaft wie möglich zu machen. Der Präsident gekommen, nicht nur, um zv sprechen, sondern auch, um zuzuhören. Er wolle nicht bezweifeln, daß Nixon in Rom ebenso herzlich empfangen werde wie — im nächsten Monat — Gromyko. Dies war ein Wink an die Adresse der Kommunisten, Nixon nicht noch mehr Steine in den Weg zu legen, um so zu verhüten, daß die Neofaschisten bei Gromykos Anwesenheit Gleiches mit Gleichem vergelten.

Auf diesem Ohr scheinen die Kommunisten allerdings taub zu sein. Sie glauben, daß die große Mehrheit des italienischen Volkes gegen Nixons Besuch und überhaupt gegen die Zugehörigkeit Italiens zum Atlantikpakt ist. Bei Protestkundgebungen m Mailand und Rom ließen sie zeh ltausende von Flugblättern mit der unmißverständlichen Überschrift „Nixon, mit Italien kannst du nicht rechnen“ verteilen. Dies war freilich , eine Anspielung auf die Wirren im Nahen Osten: Sähen sich die USA in diesem Krisenherd zur Intervention genötigt, würden die Italiener beiseite stehen und ihren Verpflichtungen, die sich aus der Mitgliedschaft bei der NATO ergeben, nicht nachkommen. Verschiedene Terrorakte auf amerikanische und pro-amerika-nische Fluggesellschaften, auf das Büro der israelischen El-Al, schließlich sogar auf zwölf Autos von hier ansässigen Amerikanern, unterstrichen diesen Willen. Vor der Kommission der Kammer nannte der kommunistische Abgeordnete Pajetta das Stelldichein mit den USA-Botschaftern eine „Provokation der arabischen Welt“. Selbst ein Angehöriger der Regierungskoalition der Sozialist Lombard!, bezeichnete die „Palästinensische Nation“ als einen unentbehrlichen Gesprächspartner bei den kommenden Verhandlungen. Nennd umschrieb Nixons Visite als einen Besuch, der im denkbar ungünstigsten Augenblick stattfand.

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