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Mit „Lawinensdiutz“

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„Auf dem Wiener Rindermarkt wurden heute ...“„... der Durchschnittspreis erhöhte (ermäßigte) sich bei..Wohl selten zuvor wurden die amtlichen Preise bei Lebendvieh mit so großer Aufmerksamkeit in den vom Wahlkampf geschüttelten Sekretariaten der beiden Großparteien gelesen wie in diesen Tagen. Mit der Plakatierung von angeblich horrenden Preissteigerungen begonnen hat eindeutig die „Konsumentenpartei“ SPÖ: Ihr Vorsitzender gab bei seiner mißglückten „Konfrontation“ mit Bundeskanzler Dr. Klaus im TV den ergriffen lauschenden Zu-sehern bekannt, daß der Lebenshaltungskostenindex in den letzten 45 Monaten um 14,4 Prozent insgesamt in die Höhe geschnellt sei, so Fleisch um 15 bis 20 Prozent, Brot um 27 Prozent, Milch um 36, Mieten um 28 Prozent und Bahntarife bis zu 100 Prozent

Mit einemmale war klar, daß der Vorsitzende der SPÖ sein Glück nunmehr in der Preisschlacht suchen werde, wie es gewiegte Kenner schon unmittelbar nach der 9,3pro-zentigen DM-Aufwertung und der nicht erfolgten Änderung der Schilling-Parität prophezeit hatten. Der Augenblick war diesem Vorhaben günstig. Auf Grund massiver Lohnforderungen der Bäckereiarbeiter usw. waren die Preise einiger staatlich subventionierter Grundnahrungsmittel doch ganz erklecklich in die Höhe geklettert. Der Verbraucherpreisindex für das Kapitel Ernährung stieg zwischen 1968 und 1969 im Jahresdurchschnitt um 3,4 Prozent, für Wohnungen um 6,6 Prozent, für Verkehr Ende 1969 um 5,2 Prozent. Im einzelnen stieg der Preis zwischen 1968 und 1969 für Schwarzbrot um 2,2 Prozent, für Weißbrot um 2 Prozent, für Milch um 1,8 Prozent, für Butter um 0,4, für Rindfleisch und Schweinefleisch um je 2,3 Prozent.

„Lawinenschutz“ kontra „konzertierte“ Aktion

Kreiskys Start an der Preisfront folgte eine Ladung von Aussendungen der Arbeiterkammer, des Gewerkschaftsbundes und schließlich sogar eine SPÖ-Pressekonferenz zum Thema „Preislawine und Lawinenschutz“. Und die ÖVP sah sich überrascht, an einer ihrer verwund-

barsten Stellen getroffen, einer ernsten Gefahr für den Wahlsieg am 1. März gegenüber. Denn wenn es um die Preise geht, dann läßt der Österreicher nicht mit sich spaßen! Wenngleich nur als „Wahlnebenfront“ angesehen, verkannten die Verantwortlichen in Regierung und Partei nicht die Gefährlichkeit der sozialistischen Propaganda. So entschloß sich die ÖVP in der Folge zu einer „konzertierten“ Aktion gegen die sozialistischen Preishysteriker. Finanzminister Koren — „kein Amateur — ein Prof.“ — erklärte auf einer Wahlversammlung unmißverständlich, die Preishysterie werde in der Folge auch dort zu Preisauftrieben führen, wo nicht die geringste Veranlassung dafür bestehe. Einen Tag später folgten zwei bewußt optimistisch gehaltene Prognosen dies Handels- und des Innenministers. Beide sahen in der anhaltenden Ver-billigung der Lebendviehpredse bei Schweinen einerseits und in einer vorübergehenden Sperre der Schlachtviehexporte anderseits einen Silberstreifen am düsteren Preishorizont. Das Landwirtschaftsministerium konnte auf Grund der Ferkelzählung vom Dezember 1969 feststellen, daß in den nächsten Monaten um rund 100.000 Schweine mehr auf den Markt kommen werden. Schließlich wurde stichhältig bewiesen, daß die seit 1965 erfolgten Preiserhöhungen bei Gütern des täglichen Bedarfs durch die Lohnsteigerungen weit mehr als wettgemacht wurden. Und das sind die Tatsachen:

• Für ein Kilogramm Brot mußte im Jahre 1965 die Arbeitszeit von 15 Minuten aufgewendet werden, 1969 hingegen nur 13 Minuten;

• ein Kilogramm Rindfleisch wurde vor fünf Jahren in 2,02 Stunden ver-dienit, 1969 bereits in 1,38 Stunden;

• einen Kühlschrank gibt es heute schön nach 87,55 Standen; vor fünf Jahren mußte noch 275,50 Stunden dafür gearbeitet werden; und

• ein VW-Käfer, der im Preis von 37.850 Schilling auf 44.500 Schilling gestiegen ist, wird heute dennoch in 1726 Standen Arbeitszeit verdient, während er 1965 noch 2034 Stunden erforderte.

In diesem Zahlenvergleich spiegelt sich die reale Kaufkraftsteigerung aller österreichischen Bevölkerungs-

schichten wider, eine Tatsache, die von der SPÖ-Propaganda bewußt verschwiegen wird.

„Preisbrecher“ Konsum

Nicht vergessen darf man in der Argumentation auch auf die unzähligen Erhöhungen von Tarifen, Gebühren, Entgelten und Abgaben, die unter dem Firmenschild einer verantwortungsvollen Finanzpolitik von sozialistischen Bürgermeistern oder Finanzreferenten ausgeheckt wurden. Star all dieser Finanzgenies ist zweifelsohne Wiens Vizebürgermeister, der sich im Wahlkampf für die Landtagswahlen in Wien rühmte, nicht 50 — wie die ÖVP es behauptet hatte —, sondern sogar 65 Erhöhungen seien in den letzten vier Jahren unter seiner Finanzherrschaft beschlossen worden. Auch nach der Wahl setzte Wien diese Politik fort: September 1969: Erhöhung der Heizkosten bei ferngeheizten Gemeindebauten um 20 Prozent; 1. Jänner 1970: Erhöhung der Spitalsgebühren um 10 Prozent; 1. Jänner 1970: Einführung der U-Bahn-Steuer. Der nächste Schlag war die Ankündigung, eine Reihe von Gebühren und Tarifen sei nicht mehr kostendeckend und müsse daher erhöht werden. Darunter würden die Wassergebühren, die Kanalgebühren, die Markt-und Schlachthofentgelte usw. fallen. Nicht zu vergessen auch die Absicht, die Wiener Autofahrer mit Hilfe von Parkometern und einer „Laterndl-parksteuer“ das Gruseln zu lehren, von einer Einführung der Baulandsteuer ganz zu schweigen.

Der sozialistisch geführte Konsum wieder ist unter der Last des aufgestauten Bürokratismus nicht in der Lage, durch vorbildliche Preisgestaltung als „Preisbrecher“ zu wirken. Ein vor wenigen Tagen durchgeführter Vergleich für den Preis von1 einem Kilogramm Äpfel der gleichen Sorte und Qualität ergab, daß der Konsum gegenüber den Naschmarktpreisen um 60 Prozent im Hintertreffen lag. Ein weiterer Beweis: In Salzburg betrug am 27. Jänner der Preis für ein Kilogramm Kantwurst, gekauft bei der Firma Reiter (Wurstfabrikant in Salzburg), in allen Spar-Filialen 65 Schilling, im Konsum hingegen 70 Schilling.

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