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Mit Weinlaub und Trauben...

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Eine Straße durch das Marchfeld würde auf keinerlei Schwierigkeiten stoßen. Es wäre gleichgültig, ob sie einige Meter weiter links oder rechts verläuft, ob sie sechs oder acht Meter brek ist. Das Marchfeld ist groß, und für die Anlage einer Straße werden allein Gründe der praktischen Notwendigkeit und Rentabilität eine Rolle spielen; Rücksichten anderer Art werden (abgesehen von der Schonung gewisser Grundstücke) nicht zu nehmen sein.

Die Wachau aber ist eng, und es ist keineswegs gleichgültig, wo und wie eine Straße durch sie gebaut wird. Die Wachau ist eine alte Kulturlandschaft, und ein Straßenbau kann auf Schritt und Tritt Kostbarkeiten zerstören. Hier werden Rücksichten jeder Art, nicht bloß auf die. Wünsche einzelner Grundstuckbesitzer, sondern auf die der Allgemeinheit — und die Wachau ist eine Angelegenheit nicht nur der Wachauer, sondern ganz Oesterreichs — zu nehmen sein.

Es schien lange Zeit, als sei man sich der Besonderheit dieses Straßenbaues nicht bewußt, als halte man es für dasselbe, eine Straße durch das Marchfeld oder durch die Wachau zu legen. Es begann damit, daß man keine Architekten für die Gesamtplanung der Straße heranzog, sondern an drei Stellen — einmal bei Stein, dann bei Weißenkirchen und schließlich bei Emmersdorf — mit dem Bau begann (obwohl das kaum 2 Prozent der Gesamtbaukosten gefordert hätte). Man würde schon irgendwie durchkommen. Erst als die Oeffentlichkeit auf das große Projekt aufmerksam wurde und sich Stimmen der Kritik zu Wort meldeten, wurde das Versäumte nachgetragen. Es werden jetzt für die neuralgischen Punkte verschiedene Trassenführungen erwogen, ehe die Detailver-bauungspläne erstellt werden.

Die Wachau ist eine alte Kulturlandschaft. Genügt es bei einem Straßenbau durch das Marchfeld, einen Experten des Naturschutzes zur Seite zu haben, der etwa an gewissen Stellen eine Bepflanzung des Straßenrandes mit bestimmten Baumarten vorschlägt, so wird ein solcher Naturschützer — so wichtig seine Tätigkeit auch ist — im Falle der Wachau-Straße nicht ausreichen. Neben ihm werden außer planenden Architekten auch Kulturschützer, Experten der Landeskunde und Geschichte, den Technikern zur Seite stehen müssen.

Schon die Frage des Trassenverlaufes darf auf keinen Fall den Ingenieuren und den Wünschen der Grundstückbesitzer allein überlassen werden (denn jeder möchte die Straße haben, aber auf dem Grunde des Nachbars). Soweit wie nur irgend möglich wird man dem Verlauf der alten Wachaustraße folgen müssen; schon jetzt ist man bei Wösendorf stellenweise ohne ausreichenden Grund von ihr abgewichen. Nur dort, wo eine Erweiterung der zweifellos viel zu schmalen alten Straße ausgeschlossen erscheint, sollte eine neue Trassenführung erwogen werden.

Die Existenz der Donauuferbahn, die gut in die alte Kulturlandschaft eingepaßt wurde und nirgends - störend wirkt, beweist, daß man die Errungenschaften der Technik und Zivilisation durchaus mit der Landschaft zu einem harmonischen Bild vereinen kann. Schon vor fünf Jahrzehnten konnte man das; sollte es heute nicht erst recht möglich sein? Ueberlegt man die Lösungen, die beim Bau der Bahn gefunden wurden, so wird man erkennen, daß es vielfach nur eine Lösung für die neue Trassenführung gibt: die bergseitige Tunnellösung. Eine solche Unterfahrung ist etwa in Dürnstein vorgesehen und dürfte hier auch ausgeführt werden. Was aber für Dürnstein recht ist, sollte für Sankt Michael billig sein. Dort sind eine alte Wehrkirche und der kleine Ortsfriedhof, der einer der schönsten Oesterreichs ist, in ihrer Einzigartigkeit bedroht. Während jetzt die Friedhofsmauer auf ein schmales Obstgärtchen unmittelbar am Donauufer abfällt, würde sie dann in den Straßengraben der Wachaustraße (die inzwischen offiziell abgetane Bezeichnung „Uferrollbahn“ fällt einem da wieder ein) münden. Völlig ausscheiden aus der Diskussion muß ein Modell, das einen „Stadtbahnviadukt“ am Fuße der Wehrkirche vorsieht.

Noch ist nicht entschieden, wie die Straße an einzelnen Stellen verlaufen wird. Aber man hört die Ansichten verschiedener Grundstückbesitzer, die bei der bergseitigen Lösung einen Streifen ihrer Obst- oder Weingärten verlieren würden, daß nur die Uferlösung in Frage käme. Hier müßte im Interesse der Allgemeinheit mit Enteignung vorgegangen werden, auch wenn der einzelne, wirtschaftlich gesehen, eine Einbuße erleidet. Ein starres Führen des Straßenbandes dem Ufer entlang würde die Wachau völlig verunstalten. Schon wirtschaftlich gesehen, würde eine Uferstraße die Wünsche der Wachauer, die sich von ihr eine Hebung des Fremdenverkehrs und des Weinumsatzes erwarten, nicht erfüllen; denn was ist ein Strom, wenn man ihn seiner Ufer beraubt? Wo wird der Fremde rasten, wenn ihm kein Streifen bleibt, von dem aus er dem Strom zusehen kann, wie er stetig dahinfließt?

Man darf durch eine Kulturlandschaft nicht einfach ein Straßenband legen, wo es am einfachsten und billigsten käme; sonst wird das ganze Projekt sinnlos. Eine Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt, das ja in erster Linie zuständig wäre, diesem Standpunkt Nachdruck zu verleihen, hat man bewußt gemieden und Ansätze scheitern lassen. Hier, bei der Trassenführung, hat die sogenannte „künstlerische Ausgestaltung“ zu beginnen; nicht beim Ersinnen von Kuriositäten, wie es leider geschehen ist.

Als man zum ersten Male vom Projekt der Wachaustraße hörte, hatte der damalige Präsident der Gesellschaft bildender Künstler, Professor Karl Maria May, nichts Eiligeres zu tun, als es im Namen des Künstlerhauses zu begrüßen. Dafür durfte er einen Vertreter zur Mitberatung der sogenannten „künstlerischen Ausgestaltung“ nominieren; es war dies Professor Dr. Peydl. Auch der Wachauer Künstlerbund wird an ihr seinen Anteil haben. Und wa$ ist bisher geschehen? Man hat sich die Wachau einmal „gründlich angesehen“, Photographien und „Motive gesucht“. Und hat einem Landeskundler, dem bewährten Dozenten Dr. K. L e c h n e r, die undankbare Aufgabe angehängt, einen Vorschlag für die kulturgeschichtlich-künstlerische Ausgestaltung der Wachaustraße zu erstatten. Dieser Vorschlag, der seine Aufgabe erst nach Fertigstellung der Straße in der Vergebung von Aufträgen für Großplastiken für den Straßenrand gekommen sieht — Professor Dr. Peydl soll dann einen entsprechenden Wettbewerb organisieren —, enthält eine mit Liebe und Umsicht zusammengestellte Liste der Denkwürdigkeiten der Wachau. Das Ganze sieht ein wenig nach einem Ablenkungsmanöver von der Kernfrage, der Trassenführung, aus. Oder wollte man in peripheren Einzelheiten seinen guten Willen zeigen, und nach dem in Oesterreich herrschenden Prinzip, daß bei großen Bauunternehmungen auch etwas für hotleidende Künstler getan werden müsse, hier diverse kleine Aufträge — für Freunde des Künstlerhauses, und solche, die es noch werden wollen, versteht sich — in Aussicht stellen? Wie immer. Das Ergebnis war grotesk. Gewiß ist es ein ausgezeichneter Gedanke, die Besucher der Wachau mit den dort beheimateten Sagen und Märchen bekanntzumächen; aber das muß in geeigneter Form geschehen.

Der Vorschlag für die kulturgeschichtlichkünstlerische Ausgestaltung der Wachaustraße Stein—Emmersdorf sieht im einzelnen vor: Die Errichtung von Straßenzeichen und Wegtafeln, die ein „W“ als Kennzeichen der Straße tragen sollen. Das „W“ soll mit Weinlaub und Trauben verziert werden. O „W“ ... — Plastiken, Reliefs, Fresken, Mosaiken und Schrifttafeln sollen auf die geschichtliche sowie auf die volks- und kulturkundliche, vielleicht auch auf die kunstgeschichtliche Bedeutung der Straße und der durchfahrenen Orte hinweisen. An Großplastiken sind vorgesehen ix. a. in Emmersdorf ein Donauweibchen oder eine Donaunixe (ä la Lorelei, denn, was die am Rhein haben, das haben wir noch lange), mit Kind und Fischer, weiter einige Wächter-figuren, in der Nähe von St. Johann ein krähender Hahn. Fehlen nur noch — im Thorak-Stil — eine überdimensionierte Venus von Willendorf und Weinstöcke aus Marmor mit faustgroßen Trauben...

Plastiken an der Straße sind ein Unfug. Insbesondere wenn es sich um eine geschichtlich gewordene Landschaft handelt; Marterln, Kruzifixe, Madonnen und Kapellen am Wegrande haben ihre Vergangenheit und sind organisch aus dem Boden und dem Geist der Bevölkerung gewachsen und mit ihm fest verwurzelt. Realistisch-derbe Plastiken, die dem Fremden die Geschichte verdeutlichen sollen, haben da nichts zu suchen. Wenn heute im Freien Plastiken aufgestellt werden, so müssen sie auch aus Stil und Geist unserer Zeit sein; und solche Plastiken werden sich nicht zur Fremdenverkehrswerbung eignen, sondern gehören in eine moderne Industrielandschaft, vor ein Fabrikgelände oder eine soziale Wohnsiedlung. Bei der Wachau aber handelt es sich — dies kann nicht oft genug betont werden — um eine alte Kulturlandschaft. Während wir ein modernes Industriegebiet erst durch unseren Geist zu einer neuen Kulturlandschaft formen müssen, haben wir bei einer alten Kulturlandschaft nichts hinzuzufügen. Hier heißt es, das auf uns Gekommene zu erhalten, zu bewahren, zu schonen. Es ist grundverkehrt, hier etwa alte Bäume umzuschneiden und an ihre Stelle die Plastik eines Baumes zu setzen.

Auch Fresken, Reliefs und Mosaiken, die man heute an alten Häusern anbringen möchte, wären ein Fremdkörper und nur fehl am Platze. Man muß sich da schon einen anderen Weg ausdenken, auf das Rosengärtlein von Aggstein und Blondcl von Dürnstcin hinzuweisen. Die Schaffung von — einfach und schlicht gestalteten — Tafeln an der Straßenmauer scheint uns dagegen ein durchaus gangbarer Weg. Auch die Anbringung von in Stein gehauenen Stadt- und Maiktwappen am Eingang der einzelnen Ortschaften ist eine in jeder Hinsicht glückliche Idee.

Eines darf nicht vergessen werden: Zur künstlerischen Ausgestaltung einer Straße gehört nicht das Aufstellen zweifelhafter Kunstprodukte und die Errichtung von Straßentafeln, sondern die Erhaltung einer ursprünglichen Umgebung und das Einpassen in die Landschaft. Auch die Mauern, die man zuweilen an den Seiten der neuen Straße wird aufführen müssen, werden dem Charakter der Landschaft* und der in ihr enthaltenen alten Weingartenmauern in Material und Gestaltung entsprechen müssen. (Es bleibt anzuerkennen, daß gerade hier schon Hoffnungsvolles geschehen ist. Probcmaucrn wurden errichtet, bis man zu jener Unregelmäßigkeit fand, die die Verwendung heimischen Gesteins nahelegt. Das Einpassen in die Landschaft wird aber auch eine Aufgabe des aktiven Naturschutzes sein. Man wird die schönen Auen nicht nur erhalten müssen, sondern rechtzeitig mit Silber- und Schwarzpappeln und Silberweiden aufforsten müssen. Pappeln und Weiden sind kurzlebige Baumarten und verlangen eine ständige Erneuerung. Erfolgt eine solche Durchsetzung mit neuen Beständen, so können die alten dann nach 20, 30 Jahren gefällt werden. Dann wird an den Dämmen zvfm Strom hinunter eine Fugenbepflanzung durch in das Mauerwerk versenkte Erde in Säcken mit Sträuchern sehr vorteilhaft sein. Vieles davon ist geplant, und wir hoffen, daß es auch geschehen wird. Daneben wird aber von anderen Plänen gesprochen: bei Weißenkirchen-Wöscndorf soll eine Au abgeholzt und ein — Fußballplatz errichtet werden. Eine Reihe weiterer Schwarzpappeln sollen das Schicksal ihrer berühmten Schwestern von Weißenkirchen teilen, da sie von der Kernfäule bedroht seien. (In Wien sind alle Bäume, die gefällt werden sollen, gaskrank, in der Wachau haben sie die Kernfäule.) Wir hoffen, daß diese Pläne nicht verwirklicht werden.

Die künstlerische Ausgestaltung der Wachaustraße ist eine Sache, die man während des Baues, in Trassenführung und Anlegung, im Auge haben muß. Nachträglich ist das, was geschehen ist; und das, was versäumt wurde, nicht mehr gutzumachen. Auch nicht mit Weinlaub und Trauben ...

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