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Mitschuld“ Österreichs am Kriege

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Die Politik der vier Besatzungsmächte in Österreich ist stark diktiert worden durch den Vorbehalt der Moskauer Erklärung vom 1. November 1943, die zwar die Wiederherstellung Österreichs in Freiheit und Unabhängigkeit verhieß, aber zugleich betonte: „daß es für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitlerdeutschlands eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann“. Dies setzt voraus, daß Österreich zu Beginn des Krieges noch als Staat existiert hat und weiter, daß es zu dieser Zeit auch noch völkerrechtlich handlungsfähig war. Denn nur Staaten und nicht Einzelpersonen — von dem Fall der als Kriegführende anerkannten Aufständischen abgesehen — können Krieg führen und nur völkerrechtlich handlungsfähige Staaten können für einen Krieg, den ihre zuständigen Organe führen, verantwortlich gemacht werden, nicht dagegen die Bevölkerung als solche.

Zur Beantwortung der Frage ist von den Vorgängen im März 1938 auszugehen.

Als nach dem dreistündig befristeten Ultimatum Hitlers vom 11. März 1938 der Bundeskanzler Schuschnigg demissioniert hatte und der Bundespräsident Miklas, Hitlers Forderung entsprechend, Seyß-Inquart mit der Bildung einer neuen Bundesregierung beauftragt hatte, rückten die deutschen Truppen, von Seyß-Inquart auf Befehl Görings „zur Aufrechterhaltung der Ordnung“ gerufen, in der Nacht vom 11. zum 12. März in Österreich ein und besetzten in wenigen Stunden das ganze Bundesgebiet. Damit war die österreichische Staatsgewalt tatsächlich (de facto) ausgeschaltet. Am 13.

März wurde das ..Bundesgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ mit sofortiger Wirkung kundgemacht und gleichzeitig von Hitler als Reichsgesetz verkündet.

War nun dieser „Anschluß“ rechtmäßig und damit rechtswirksam erfolgt?

Die Vereinigung eines Staates mit einem anderen kann erfolgen entweder im Wege Rechtens durch übereinstimmende Willenserklärungen zweier souveräner, das heißt völkerrechtsunmittelbarer, unabhängiger und in ihrer völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit unbeschränkter Staaten, sei es durch einen formellen Annexionsvertrag, sei es durch parallele Verfassungsgesetze — in beiden Fällen vorausgesetzt, daß sie von den hiefür zuständigen Organen ausgehen —, oder aber einseitig durch gewaltsame Annexion.

Im Annexionvertrag tritt der eine Staat durch Willenserklärung seiner völkerrechtlichen Vertretungsorgane seine Hoheitsrechte (die Gebietshoheit) dem anderen ab und dieser nimmt dies durch seine entsprechenden Organe an. Ein solcher förmlicher Annexionsvertrag liegt offensichtlich nicht vor.

Eine übereinstimmende Willenserklärung der beiden Staaten könnte man in dem Bundesgesetz und dem entsprechenden Reichsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vom 13. März 1938 sehen, deren erster Artikel lautete: „Österreich ist ein Land des Deutschen Reiches.“ Die Frage, ob durch diese beiden Gesetze das Deutsche Reich rechtmäßig die Gebietshoheit Österreichs erworben hat, hängt davon ib, ob die beiden Gesetze verfassungsmäßig zust*ndegekommen sind, du heißt ob sie von den staatsrechtlich zur Gesetzgebung berufenen Organen beschlossen und verkündet wurden. Für das Reichsgesetz ist diese Frage ohne weiteres zu bejahen; Hitler war als Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches zweifelsohne zum Erlaß eines

solchen Gesetzes legitimiert. Anders aber die Bundesregierung Seyß-Inquart.

Nach Artikel 62 der Bundesverfassung 1934 war das ordentliche Organ zur Beschlußfassung von Bundesgesetzen der Bundes-tg. Dieser war noch in Funktion, er hatte noch am 2. März mehrere Bundesgesetze beschlossen. Auch der Bundespräsident M i k 1 a s, dem die Unterzeichnung und Kundmachung der Bundesgesetze zustand, warnochimAmte. Denn Seyß-Inquart legte ihm am Nachmittag de 13. März das Wiedervereinigungsgesetz zur Unterschrift vor; aber Miklas verweigerte die Unterschrift. Das Gesetz trägt daher auch nur die Unterschriften der Regierung Seyß-Inquart. Der Bundespräsident hatte zwar gemäß Artikel 82 der Bundesverfassung Seyß-Inquart mit der Bildung der neuen Bundesregierung betraut; indes, diese Betrauung war nicht frei

erfolgt, sondern von einer fremden Macht, unter dem Druck der an der Grenze aufmarschierten deutschen Truppen und unter der Drohung des sofortigen Einmarsches erpreßt worden. Mithin war die Ernennung ungültig, jeder von der Regierung Seyß-Inquart gesetzte Staatsakt nichtig.

Nun berief sich allerdings das Wieder-vereinigungsgesetz in seiner Präambel auf das Ermächtigungsgesetz vom 30. April 1934, womit der Nationalrat (unter gleichzeitiger Bestätigung der am 1. Mai 1934 in Kraft tretenden Bundesverfassung 1934) die Bundesregierung ermächtigt hatte, die zur Durchführung der neuen Verfassung notwendigen Gesetze und Verfassungsgesetze zu erlassen. Es wäre aber absurd, anzunehmen, der Nationalrat hätte damit die Bundesregierung ermächtigen wollen, auch ein Gesetz zu erlassen, das in diametralem Gegensatz zu der eben bekräf-tigtenBundesverfassung stehen würde. So enthüllt sich die Berufung auf das Ermächtigungsgesetz als vergeblicher Versuch, dem Staatsstreich vom 13. März den Ansdicin der Legalität zu geben.

Daraus ergibt sich:

Das österreichische Wiedervereinigungsgesetz war verfassungswidrig, weil es von einem unzuständigen Organ, nicht vom Bundestag, erlassen und vom Bundespräsidenten nicht unterzeichnet worden ist, sondern allein von der Bundesregierung Seyß-Inquart, deren Bestellung, weil unter Zwang erfolgt, ungültig war. Und selbst wenn sie legal erfolgt wäre, dann wäre das Gesetz trotzdem verfassungswidrig, weil der Regierung Seyß-Inquart die gesetzliche Ermächtigung zu einem solchen Gesetz fehlte.

So ist das Gesetz rechtsunwirksam geblieben. Das bedeutet aber: Österreich hat damit nicht auf seine Souveränität verzichtet.

Nun könnte man allerdings in den beiden Wiedervereinigungsgesetzen eine Art Zessionsvertrag mit Offerte im Bundesgesetz und Annahme durch die wörtliche Wiederholung der Offerte im Reichsgesetz erblicken. Hier käme es dann wieder darauf an, ob die Regierung Seyß-Inquart zum Abschluß eines solchen Vertrages völkerrechtlich legitimiert war. Nach der Bundesverfassung (Artikel 78,1) stand wie die völkerrechtliche Vertretung so auch der Abschluß von Staatsverträgen ausschließlich dem Bundespräsidenten zu; nur nicht gesetzesändernde und nidit politische Verträge konnte die Bundesregierung mit Ermächtigung des Bundespräsidenten abschließen. Daß ein Vertrag, der über Sein oder Nichtsein eines Staates entscheidet, nicht unter diese Ausnahme fiel, liegt auf der Hand. Mithin war die Bundesregierung allein nicht zum Abschluß eines solchen Vertrages befugt, der allein zuständige Bundespräsident aber verweigerte die Unterschrift. Somit ergibt sich: auch die beiden Gesetze, als Zessionsvertrag aufgefaßt, konnten die Hoheitsrechte Österreichs auf das Deutsche Reich nicht übertragen.

Es liegt also weder ein rechtswirksamer Vertrag noch eine rechtswirksame übereinstimmende Willenserklärung vor. Mithin ist der Anschluß nichts anderes als Annexion gewesen, das heißt die einseitige und gewaltsame Ausdehnung der Staatsgewalt auf das Gebiet eines anderen Staates unter Verdrängung der bisherigen Staatsgewalt. Sie erfolgt in der Regel als Abschluß kriegerischer Besetzung als „debellatio“, die einen völkerrechtlich anerkannten Erwerbstitel bildet — oder aber durch Okkupation unter Androhung oder Einsatz von Zwangsmitteln, vornehmlich militärischer Natur, die aber noch nicht ohne weiteres einen Erwerbstitel gewährten.

Der Rechtititel der „debellatio“ wurde durch den Verzicht Österreichs auf jeden militärischen Widerstand verhindert, so daß es nicht zum Kriege kam. So blieb die nicht-kriegerische Eroberung, die sich durch den Einmarsch der deutschen Truppen vollzog. Auch die weiteren völkerrechtlichen Merkmale sind gegeben: der „Animus domini“, die Absicht, das Staatsgebiet ständig zu beherrschen, und die „detentio“, die tatsächliche Ausdehnung der Staatsgewalt auf das ganze Staatsgebiete und deren dauernde Sicherung (Effektivität) durch die alsbaldige Einführung der Reichsgesetze und die Umformung der Verwaltung durch Degradierung Österreichs zu einem bloßen Verwaltungsbezirk des Reichs.

Während der Verzicht im Wege Rechtens erfolgt und auch die kriegerische Eroberung einen völkerrechtlichen Erwerbstitel gibt, ist die nichtkriegerische Annexion zunächst ein rein tatsächlicher Vorgang: durch die Annexion war Österreichs Staatsgewalt zunächst faktisch ausgeschaltet, lediglich suspendiert, indem den verfassungsmäßigen Organen die Möglichkeit genommen war, sie auszuüben und für Österreich als Völkerrechtssubjekt handelnd aufzutreten.

Es fragt sich nun, ob diese rein tatsächliche Okkupation gleichzeitig oder später irgendeine Legalisierung erfahren hat, so daß dann die Staatsgewalt Österreichs nicht nur der Ausübung nach gehemmt, sondern zum Erlöschen gebracht wurde, mithin Österreich auch de jure als Staat und Völkerrechtssubjekt untergegangen ist.

Das Völkerrecht kennt hiefür zwei Formen: zunächst das Plebiszit, durch das ein Volk sich mit der Einverleibung seines Staatsgebietes in ein anderes einverstanden erklärt. Dem Grundgedanken dieses Prinzips entspricht aber nur eine Volksabstimmung vor dem Übergang der Staatsgewalt, nicht aber, wenn diese bereits tatsächlich beseitigt ist und die Volksabstimmung unter der Macht der Bajonette jenes Staates erfolgt, der das größte Interesse an dem Ausgang der Abstimmung hat. So war denn auch die unter stärkstem Druck vollzogene Volksabstimmung vom 16. April 1938 über den Anschluß mit ihrem im voraus feststehenden 98pro-zentigen Ausgang eine Farce, nicht aber der Ausdruck der wahren Volksmeinung; denn es steht fest, hätte die für den 15. März 1938 von dem Bundeskanzler Schuschnigg ausgeschriebene Volksabstimmung stattfinden können, dann hätten sich bis zu 80 Prozent gegen Hitler ausgesprochen. Dies wußte Hitler und darum mußte sie mit Waffengewalt verhindert werden.

Auch von einer Legalisierung durch freiwilliges Sichfügen kann keine Rede sein, da das österreidiische Volk in seiner Mehrheit alsbald durch eine beispiellose Gewaltdiktatur geknebelt wurde, die nur eine stumpfe Unterwerfung zuließ, die aber doch sdion von Anfang an und je länger desto mehr den

Widerstand immer weiterer Kreise auslöste. • Trotz alledem hätte die Annexion völkerrechtlich noch geheilt werden können durch die Anerkennung der Mächte. Diese kann in zwei Arten erfolgen: als „de-jure-Anerkennung“, das heißt ausdrücklich oder durch schlüssige Handlungen erfolgende Erklärung, die Rechtmäßigkeit der Annexion nicht bestreiten zu wollen, und als bloße „de-facto-Anerkennung“, das Hinnehmen der Tatsache, ohne sie als rechtmäßig anzusehen. Eine ausdrückliche de-jure-Anerkennung hat nur Italien ausgesprochen, umgekehrt einen formeilen Protest nur Mexiko beim Völkerbund eingelegt. Die übrigen Mächte haben durch die Umwandlung ihrer Gesandtschaften in Wien in Generalkonsulate die Einverleibung Österreichs stillschweigend de facto anerkannt. Wenn nun auch die spätere Teilnahme Englands und Frankreichs im Münchener Abkommen über die Abtretung des Sudetenlandes und der Nichtangriffspakt Rußlands mit Deutschland ab tillschweigende de-jure-Anerkennung angesehen werden kann, so steht doch fest: eine de-jure-Anerkennung ist von der weitaus überwiegenden Mehrheit der Staaten, insbesondere von Nordamerika, nicht erfolgt. Mithin kann von einer Anerkennung durch die Völkerrechtsgemeinschaft, ja nicht einmal aller Großmächte, die die Annexion legalisiert hätte, nicht die Rede sein. (Übrigens kann weder eine de-jure-Anerkennung noch eine solche de facto seitens anderer Staaten eine Haftung Österreichs begründen. „Die Furche“.)

Aus alledem folgt: Die Annexion Österreichs schuf mangels eines völkerrechtlichen Erwerbstitels nur einen de-facto-Zustand, Österreich blieb de jure bestehen, konnte aber seine Staatsgewalt tatsächlich nicht ausüben.

Auf diesem Standpunkt stehen auch die Großmächte. In der Moskauer Erklärung vom 1. November 1943 und erneut in der am 12. Februar 1945 erfolgten Verkündunz der Beschlüsse von Jalta stellten sie fest, daß

der „Anschluß“ Österreichs an das Deutsch Reich, weil erzwungen, völkerrechtlich rechtswidrig und deshalb rechtsunwirksam war, daß Österreich trotz der deutschen Besetzung als selbständiger Staat, also de jure fortbestanden hat, wenn es auch de facto während dieser Zeit seine Hoheitsrechte nidit hat ausüben können. Daraus folgt weiter, daß die Reditskontinuität gewahrt, das am 27. April 1945 wiedererstandene Österreich identisch mit dem Österreich von 1938 ist.

Wenn nun Österreich in der Zeit vom 13. März 1938 bis zum 27. April 1945 zwar rechtlich fortbestand, aber völkerrechtlich nicht handlungsfähig war, dann konnte es auch nidit in den Krieg eintreten, kann es nidit für die kriegerischen Handlungen seiner Staatsbürger verantwortlich gemacht werden, die ja zum Wehrdienst und zu Rüstungsarbeiten gepreßt wurden.

Somit steht die Mitverantwortlichkeit Österreichs, wie sie in der Moskauer Erklärung vorausgesetzt wird, sowohl mit den geschichtlidien Tatsachen wie mit dem Völkerrecht in Widerspruch.

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