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Mitunternehmertum

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Seit Jahrzehnten wird von der sozialen Krise geredet. Diese Krise besteht, hat aber vielleicht schon ihren Höhepunkt überschritten. Wir wissen, daß sie wesentlich geistige Ursachen hat und kennen sie auch. Der erste Schritt zu ihrer Ueberwindung wird immer eine geistige Neueinstellung sein, die aber, wenn sie echt ist, praktische Folgen haben müßte.

Sehr oft hören wir heute: „Das Sozialprodukt muß neu und gerechter verteilt werden“, und gleichzeitig wird bei tatsächlicher bedenklicher Nivellierung die große Ungleichheit der Einkommen als eigentliche Wurzel der sozialen Krise bezeichnet; aber niemand kann den gerechten und verbindlichen Verteilungsschlüssel angeben. Dagegen steht die „westliche“ Auffassung: „Das Sozialprodukt muß durch freie Marktwirtschaft oder durch vernünftige Planungsmaßnahmen gesteigert werden, dann werden alle ihr menschenwürdiges Auskommen haben.“

Darüber hinaus gibt es die neue Einsicht: der Mensch muß in den Mittelpunkt der Wirtschaft gestellt werden, dann werden sich viele der gesellschaftlichen Schwierigkeiten von selbst geben. An allen drei Meinungen ist etwas Richtiges, und in richtiger Anwendung ließe sich viel gewinnen. Es gibt solche Versuche; und von einem, der in Deutschland seit Jahren von sich reden macht, soll hier berichtet werden.

Wie bekannt, wird seit 1948 in Deutschland unter dem Firmenschild „soziale Marktwirtschaft“ das Wirtschaftsleben neu aufgebaut. Und es ist auch bekannt, daß seit 1948 die deutsche Wirtschaft einen ungeahnten Aufschwung erlebt hat, der mit einigem Recht als das deutsche Wirtschaftswunder bezeichnet wird.

Trotzdw steht die. Realisierung des Wortes „sozial“ noch in den Anfängen.

Allerdings ist es bereits zum Gerneinphtz geworden, daß der Unternehmer nicht nur kaufmännische und technische Aufgaben hat, sondern, und sogar in erster Linie, soziale. Und tatsächlich ist es so weit, daß der jährliche Sozialbericht zum besonderen Stolz des Unternehmers gehört und ein gesunder Wettbewerb auf diesem Gebiet entstanden ist. Da durch das Mitbestimmungsrecht bei Kohle und Eisen der gewerkschaftliche Arbeitsdirektor eine gesetzliche Einrichtung geworden ist, will die übrige Industrie dieser Entwicklung den Wind aus den Segeln nehmen und hat von sich aus den Sozialdirektor eingerichtet, der allerdings der Unternehmensleitung verpflichtet ist. In kleineren Betrieben ist auch oft der Unternehmer selbst sein eigener Sozialdirektor. Es wird sehr viel getan für Altersversorgung, Unfallschutz und Gesundheit der Betriebsangehörigen, Erholungsheime, Lehrlingsbildungsstätten, Werkwohnungsbau und Arbeitersiedlung. Es gibt betriebliche Beihilfen bei Familiengründung, Krankheit, Geburten und Todesfällen über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus. Aus meiner Erfahrung als Betriebspsychologe kann ich sagen, daß der durchschnittliche freiwillige Sozialaufwand in Deutschland, heute zirka 25 bis 30 Prozent der Lohn- und Gehaltssumme beträgt. Daneben ist „human relations“ das große Schlagwort geworden. Es gibt kaum einen Betrieb, der sich nicht in irgendeiner Weise um die menschlichen Beziehungen im Betriebsleben bemüht.

Auch von amerikanischer Seite wird für „human relations“ viel getan. Es gibt Vorträge und Kurse für Betriebsleiter und Meister, Beratungsdienste und Beratungsstellen, und die Arbeitgeberverbände haben

sich der Sache angenommen. Es gibt in Deutschland sozialpolitische Zeitschriften für die Betriebsarbeiter, die von den Arbeitgeberverbänden bezahlt, werden, und fast jeder größere Betrieb hat eine Werkzeitung die. dem sozialen Frieden im Betrieb, der Aufklärung und Weiterbildung dienen soll.

Seit dem Gewinnbeteiligungsversuch der Zeiß-Werke in Jena steht die Ertragsbeteiligung immer noch im Vordergrund der Diskussion, und außer der. Duisburger Kupferhütte, die durch die Publikation von Doktor E. Kuss bekannt geworden ist, gibt es heute in Deutschland sehr viele Betriebe, die ein Ertragsbeteiligungssystem in irgendeiner Form eingeführt haben. — Doch nach wie vor stehen die Gewerkschaften scharf gegen alle diese Versuche, von Unternehmerseite ein neues Partnerschaftsverhältnis im Betrieb zu finden, und bezeichnen sowohl freiwillige Sozialleistung wie auch die Ertragsbeteiligung als Ausschüttung vorenthaltenen Lohnes. — Tatsächlich ist die .Quote der, Ertragsbeteiligung immer relativ willkürlich festgelegt und natürlich im Ermessen der Unternehmensleitung. — Neu und viel mehr ist der Versuch eines Geschäftsführers und Teilhabers der Paul-Spindler-Werke in Hilden/Rheinland, Gert Spindler, der vor zwei Jahren in seinen Werken — Textil- und. chemische Industrie — das Mitunternehmertum eingeführt hat. Bereits vor einem Jahr hat er seine Gedanken in einem Buch „Mitunternehmertum“ veröffentlicht, und in wenigen Monaten wird im Leo-Lehnen-Verlag, München (Franke, Bern) ein Erfahrungsbericht von ihm * erscheinen: „Zwei Jahre Mitunternehmertum in der Praxis.“

Die Grundidee ist, ernst zu machen mit der Partnerschaft, den patriarchalischen Gedanken endgültig zu begraben und den „Herr-im-Hause“-Standpunkt aufzugeben. Spindler hat in seinen Betrieben eine Demokratie eingeführt, die allerdings nicht mit der sozialistischen Forderung der überbetrieblichen Wirtschaftsdemokratie verwechselt werden darf. Spindler wollte von den abstrakten Begriffen und dem Gegensatz Kapital und Arbeit loskommen. Er will die Arbeit nicht mehr als Kostenfaktor ansehen, den arbeitenden Menschen in den Mittelpunkt stellen und ihn, sei er Geschäftsführer, Angestellter oder Handarbeiter, zum Besitzer machen. Der richtige Gedanke, Mitbestimmung setzt Mitbesitz voraus, veran-laßte ihn, jeden seiner Mitarbeiter zum Mitbesitzer zu machen. Mit jedem Werksangehörigen wurde ein Mitunternehmervertrag geschlossen, und es gibt keine wichtige wirtschaftliche Entscheidung, die die Gesamtbelegschaft betrifft, die nicht von allen Mitarbeitern letztlich entschieden wird. — Dazu gehört viel Mut, Energie und Organisationstalent. Natürlich gab es viele Schwierigkeiten bei dieser Revolution von oben. Widerstände gab es bei den anderen Unternehmern, selbstverständlich bei den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, die ja bei echter betrieblicher Partnerschaft weitgehend überflüssig werden. Interessant war auch der Widerstand der leitenden Angestellten des eigenen Unternehmens, die ihre bisherige Autorität bedroht sahen. — Durch systematische Vorbereitung und Aufklärung mit allen verfügbaren Mitteln konnten aber alle Widerstände überwunden werden, und die erste große Entscheidung der gesamten Mitarbeiterschaft: Mitunternehmertum, ja oder nein, fiel mit überwältigender Mehrheit für das Mitunternehmertum aus. — Es soll hier nicht der organisatorische Aufbau dieser neuen Betriebsform dargelegt werden (alle Interessenten werden auf die bald er-

scheinende Veröffentlichung des Initiators selbst verwiesen), aber einiges ist doch noch zu sagen. — Der Start dieses Experimentes war sehr erschwert, durch die allgemeine Textilkrise, in die das Unternehmen kurz nach der Einführung des Mitunternchmer-tums geriet. Die Ertragsausschüttung mußte ausfallen oder vielmehr entschied sich die Belegschaft für eine Aufstockung der Pensionskasse, da beides nicht ging. Bald mußte zur Kurzarbeit übergegangen werden und dann war es unumgänglich, 200 Arbeiter zu entlassen.

Man kann sich denken, daß es viele Kreise gab, die über diese Schläge frohlockten, aber gerade durch diese gemeinsamen Verluste und Opfer ist eine echte Betriebsgemeinschaft erwachsen. Da jedem die Finanzlage des Unternehmens bekannt war, wurden die nötigen Maßnahmen nicht mehr als Unternehmerwillkür, sondern als gemeinsames Schicksal angesehen, das so gut wie möglich gemeinsam getragen werden muß. Die Entlassungen wurden von Kommissionen aus Betriebsangehörigen vorbereitet und nach

sozialen Gesichtspunkten vorgenommen und jedem Entlassenen der Anspruch auf Wieder- “ einstellung verbürgt, da auch sein Anteil vertragsmäßig auf ein Jahr im Unternehmen verblieb. Selbstverständlich ist die Leistung gestiegen, es wurde rationeller, besser und eifriger gearbeitet, die Verbesserungsvorschläge, haben sich vervielfacht und dem Unternehmen viele Vorteile gebracht. Jeder weiß eben, er arbeitet für das gemeinsame Wohl und nicht für eine unbekannte Kapitalistengruppe. Besonders aber ist für den Arbeiter die vielleicht eintönige Arbeit eine andere geworden. Wir kennen das Problem der Vereinsamung am Arbeitsplatz — „seine acht Stunden abarbeiten“ — und dann beginnt erst das Leben ... Vielleicht ist es das größte Verdienst dieses Unternehmers, einen neuen Berufsgedanken zu vermitteln und die tödliche geistige Leere des Arbeiters auszufüllen.

Die Zurechnung der Ertragsbeteiligung wird nicht mehr vom Unternehmer festgelegt, sondern von den Mitarbeitern nach der Lage des Unternehmens mitentschieden und im Verhältnis der Lohn- und Gehalts-

summe errechnet. Die Grundlage ist eine moderne wissenschaftliche Arbeitsplatzbewertung, die auch wieder unter Mitwirkung aller eingeführt wurde.

Viele Fragen des Betriebslebens sind durch dieses neue System tatsächlich gelöst worden; allerdings wäre es voreilig, einen Versuch als neues, allgemeingültiges Rezept und Wunderheilmittel anzupreisen. Der Unternehmer wird immer eine Sonderstellung haben, wenn er sich durch Ideen und Tatkraft als Unternehmer qualifiziert, doch werden ihm Hilfe und Anregungen von seinen Mitarbeitern nur willkommen sein. Aber vieles wird sich noch entwickeln müssen und neue Probleme werden auftauchen. Auch dürfte zum Erfolg bei den Spindler-Werken nicht nur das neue System, sondern vor allem die Persönlichkeit Gert Spindlers beigetragen haben, der es verstand, Vertrauen zu wecken und durch Lauterkeit zu erhalten. Und es muß noch viel Herzensträgheit überwunden werden, um dem neuen Versuch eine breitere Bahn zu schaffen. Aber wir müssen uns freuen, daß jemand es gewagt hat, und wir wollen hoffen, daß Spindler nicht allein bleibt.

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