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Modellfall Trautson

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Johann Bernhard Fischer von Erlach ist am 20. Juli 1656 geboren worden. Also hätte eigentlich das abgelaufene Jahr seinem Andenken gewidmet werden sollen. Aber dieses Jahr ist durchaus im Zeichen Mozarts gestanden; die Feier unseres größten Baumeisters in der neueren Zeit hätte daneben verblassen müssen. So hat man sich entschlossen, die im Herbst in Schloß Eggenberg in Graz gezeigte große Gedenkausstellung erst heuer nach Salzburg — leider nicht während der Festspiele — und endlich, während der Musikfestwochen, auch nach Wien zu bringen.

„Viele Gedenkaufsätze werden aus diesem Anlaß erscheinen, viele große Worte werden fallen. Sie werden bloße Worte bleiben, wenn wir uns nicht Gedanken darüber machen, wie wir etwas zur Erhaltung seines Werkes tun können." Diese Sätze, die im vergangenen Jahr in der „Furche“ zu lesen waren, werden wir auch im zweiten, eigentlichen Gedenkjahre Fischers von Erlach beherzigen müssen.

Wir dürfen uns wahrhaftig darüber freuen, daß das vom Verfall bedrohte Jagdschloß Niederweiden (Engelhartstetten) nun in letzter Stunde auferstehen wird. Hier wird die Denkmalpflege, hier wird die Baukunst zu Richtmaß und Senkblei, zu Stein und Mörtel greifen, um dem Werke Fischers, um seinem Andenken zu dienen.

Wie steht es nun um das durch die geplante Verbauung mit einem Bürohochhaus schwer gefährdete Palais Trautson in Wien? Wie man hört, ist im Augenblick zunächst die ärgste Gefahr gebannt, aus dem banalen Grunde, weil vorläufig kein Geld zur Verfügung steht, hier zu bauen. Kein Geld ist der beste Denkmalschutz! Nutzen wir diese Zeit, um dem Gedanken zum Siege zu verhelfen, dem Palaste das Antlitz wiederzugeben, das Fischer ihm gegeben, ihm schenken gewollt hat!

Man wird sich erinnern, daß die Absicht, ein oder gar zwei Amtshäuser auf dem Gartengrund zwischen dem Palais Trautson und dem Palais Auersperg zu erbauen, mit einer einzigen Ausnahme, hier und anderwärts schärfstens äb- gelehnt wurde. ' yK

Es ist nūn, am Beginn des eigentlichen Fischer-Jahres, an der Zeit, noch einmal auf diese furchtbare Bedrohung unseres Stadtbildes zu sprechen zu kommen.

Zunächst ist zu sagen, daß die Platzwahl sowohl für das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen als auch für das Statistische Zentralamt äußerst unglücklich ist. Die Ausschreibung verlangt allein für das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen einen Garagierungsraum für 21 Autos (5 Lkw., 6 Pkw., 10 Jeeps). Wenn man bedenkt, daß diese Fahrzeuge einerseits nur in den Sommermonaten gebraucht werden, anderseits nur im Gelände (bei Vermessungsarbeiten außerhalb Wiens) Verwendung finden, liegt die Einsicht auf der Hand, daß ein solches Amt seinen Platz nur an der Peripherie der Stadt haben kann — etwa auf dem Landstraßer Gürtel, der verkehrsmäßig sehr günstig gelegen ist, wenn nicht gar auf dem Laaer Berg. Wenn es ein staatliches Amt gibt, das nicht an die Stadtmitte gebunden ist, dann ist es das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen. (Das alte Eichamt steht noch heute an der „Linie“, Ecke Nußdorfer Straße- Döblinger Gürtel. Das scheint uns beispielhaft.)

Zu diesem Garagierungsraum kommt noch zusätzlich der Raum für das Parken der Fahrzeuge der Parteien. Die Wettbewerbsausschreibung, die wir wiederholt als unglücklich be- zeichneten, verlangt ausdrücklich die Anlage von Parkmöglichkeiten für 50 Kraftwagen. Sie rechnet also mit einem starken Verkehr, den sie durch die Forderung, daß die Ein- und Ausfahrten nicht an der Lerchenfelder Straße liegen dürfen, etwas zu steuern hofft.

Das bedeutet mit anderen Worten; der ganze Verkehr soll sich vor der Stadt- und vor der Gartenfassade des Palais Trautson abspielen! Soll das die Ehrung Fischers von Erlach sein?

Wenden wir uns nun dem ersten der preisgekrönten Entwürfe zu.

Im Oktoberheft 1956 der vom Wiener Stadtbauamt herausgegebenen Monatszeitschrift „Der Aufbau“ ist ein Aufsatz: „Wettbewerb Statistisches Zentralamt und Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen" erschienen; er bringt je. das Urteil des Preisgerichtes mit einem Lageplan und einer Schauansicht der drei preisgekrönten Entwürfe.

Zunächst der Lageplan! Die Verteidigung des amtlichen Wettbewerbes und der Entwürfe, zumal des mit dem ersten Preis bedachten Entwurfes, läßt einen „Hof 'von 70 Meter Länge und 36 Meter Breite“ entstehen, „der eine volle Sicht der' rund 80 Meter langen Gartenfront des Palais gestatten wird" (Sperrungen in der Urschrift), „zumal die Architekten... ihr preisgekröntes Projekt noch insofern modifizieren wollen, als sie die gegen das Palais gerichteten Endigungen der Flügelbauten winkelig einstaffeln werden“.

Es ist mehr als fraglich, ob bei solchem Verzicht auf Kubatur der geforderte Raum geschaffen werden könnte, ohne das Riesengebäude im Hintergrund, den rechten inneren

Flügel, noch über die beabsichtigten 35 Meter zu recken. Und werden die inneren Kanten der Flügel gekappt, so bleiben nur schmalhüftige Reste für den Blick von der Stadtseite, an dem rechten Risaliten vorbei, übrig. Auch der Blick von der „Garten"hofseite in die ausgebissenen Ecken der Flügelbauten kann nicht anders als sehr ungünstig sein. Die Trakttiefe von etwa zehn Meiern würde auf die Hälfte schwinden müssen! Werden aber die Endigungen der Flügel nicht gekappt, also verstümmelt, dann kann die Gartenfront nach Betreten des „Garten"hofes vom Standpunkt Nr. 1 unter keinen Umständen überschaut werden. Und treten wir in der zur Lerchenfelder Straße senkrechten Achse der Gartenfront näher, bis zum Beschaupunkt Nr. 2, von dem wir endlich die ganze Gartenfront überschauen zu können gehofft haben, also in etwa 40 Meter Entfernung, so werden wir gewahr, daß dies unmöglich ist, weil wir Menschen einen Sichtwinkel von 98 Grad nicht überschauen können, sondern allerhöchstens 60 Grad! Die Gartenschauwand kann eben nur aus größerer Entfernung mit einem Blick überschaut werden, sie braucht den tiefen, vorgelagerten Garten, den Fischer ihr gegeben hat.

Durchaus muß der Ansicht entgegengetreten werden, daß es, wie im Sperrdruck hervorgehoben wusde, „eine wahrhaft schöpferische Reverenz vor dem Genius Fischers von Erlach" sei, „den Flügelbau an der Lerchenfelder Straße im Erdgeschoß in einer Breite von 24 Metern durch dünne Eisenbetonsäulen in eine Halle aufzulösen, die auch dem die Straße eilig Durchschreitenden bereits einen Blick auf die Parkfront des Palais gewähren und ihn vielleicht anlocken werde, in den Parkhof einzutreten, um sich den vollen Genuß der Fassade zu vergönnen“. Richtig ist das genaue Gegenteil. Wir werden durch die leichte Halle in dem Neubau des Lycėe franęaise an der Liechtensteinstraße, die den Blick — übrigens nicht von der Straße selbst — auf die alte Donaustufe und das diese bekrönende Palais Clam-Gallas freigibt, keineswegs entschädigt für den Verlust des größten Teiles des unteren Clam-Gallas-Gartens. Was wir uns für den wiederzuerweckenden Trautson-Garten wünschen, ist aber gerade die Abgeschlossenheit gegen die Lerchenfelder Straße, die er heute, im Zeitalter des kaum erträglichen Straßenlärmes, weit mehr braucht als vor einem Vierteljahrtausend. Wenn überhaupt daran gedacht werden sollte, von der Lerchenfelder

Straße Einblick in den wiedererweckten Garten zu gewähren, so muß der Blick in der Achse der Gartenfront geführt werden, wie dies Emil Ladewig seinerzeit vorgesehen hat. Außerdem wird der Blick kaum auf die Gartenfront treffen. Er wird an den vielen parkenden Autos hängen bleiben.

Uebrigens liegt — und das ist freilich sehr wesentlich — die Mittelachse des Flügels an der Lerchenfelder Straße nicht in der Achse der Gartenfront; natürlich nicht, wenn man einen erheblichen Teil des von Fischer von Erlach dem Palais zugeordneten Gartens verbauen möchte!

Das zweite Bild zeigt die Ansicht von der Museumstraße. Ueber den Riesenbau im Hintergrund, an der aufsteigenden Lerchenfelder Straße, braucht kein Wort verloren zu werden. Unter allen Umständen wird man den Gartenpalast Trautson mit dem Gartenpalast Auersperg in Beziehung setzen müssen. Nun: die Hauptgesimshöhe des Palais Trautson ist 18,50 m, die Höhe der Attika 2 m, die der Figuren darüber wieder 2 m( die Gesamthöhe des Palais also, wenn man will, 22,50 m. Die Hauptgesimshöhe des Palais Auersperg dagegen ist nur 10,50 m, die Höhe des Mansardendaches des linken Eckpavillons

5m (?m + 2m), zusammen also 15,50m. Da der Gehsteig hier um 2,20 m höher liegt als vor dem Palais Trautson, ist die Verhältnismäßige Höhe um dieses Maß größer, also fast 18 m, sohin um 2,50 m (4,50 m) geringer als diejenige des Palais Trautson. Die ziemliche Entfernung der beiden Paläste läßt den Höhenunterschied nicht unangenehm erfühlen.

Ganz anders jedoch, wenn sich nun dazwischen der Neubau schieben wird. Mag dieser auch, wie versichert wird, um zwei Meter niedriger sein als das Palais Trautson, so würde er das Hauptgesims des eng benachbarten Palais Auersperg um nicht weniger als acht Meter (!) überragen. Das wäre natürlich vom Gesichtspunkt des Stadtbild- und Denkmalschutzes nicht zu verantworten. Wie die Ungarische Garde,

darf auch das unter Denkmalschutz stehende Palais Auersperg nicht erdrückt werden.

Nur eine einzige Lösung wird beiden Denkmälern gerecht: die Wiedererweckung des

Trautsongartens. Daher muß der Gedanke irgendwelcher Bauführung endgültig fallen gelassen werden. Ein neuer Wettbewerb wird ausgeschrieben werden müssen, der den von Fischer selbst geforderten und verwirklichten Garten wiederherstellt und die Sala terrena in lebendiger Form Wiedererstehen läßt. Selbstverständlich wird, da es sich hier vor allem auch um eine gartenkünstlerische Aufgabe handelt, ebenso wie in der Barockzeit, ein Gartengestalter mitherangezogen werden müssen.

Während wir dies schreiben, wird ein köstlicher Edelstein aus dem Schlösserkranze gebrochen, der einst um Wien gelegt war: das Palais Erzherzog Rainer, das Engelkirchrierische Lustgebäude. Ein unerhörter Verlust! Will der Bund, der Hüter des österreichischen Denkmalschutzes. - im Gedenkjahr des., großen.. Fischer ein seiner: köstlichsten Schöpfungen -durch. einen Riesenbau erdrücken und durch eben diesen die Auferstehung eines ganz wesentlichen Teiles dieser Schöpfung, des zugehörigen Gartens,, für alle Zeiten vereiteln? Auf seinem eigenen Grund? Das ist unmöglich! Unser österreichisches Barock darf nicht nur in Museen und Büchern konserviert werden, es muß leben! Erinnern wir uns der Worte, die unser Ünter- richtsminister im November 1956 vor der Volksvertretung gesagt hat:

„Wir müssen uns dagegen verwahren, daß die Kultur zu einer Museumsangelegenheit gemacht wird. Wir dürfen nicht glauben, daß, wenn wir auf dem Stand der Kultur unserer Väter und Großväter verbleiben, die Fremden schon hereinkommen. Der Wille- Oesterreichs, Kulturfaktor in der Gegenwart zu sein, ist die stärkste Waffe, um die Aufmerksamkeit auf 'uns zu lenken. Oesterreich ist genau so stark wie seine geistigen Potenzen, die Volksgemeinschaft lebt nicht vom Brot allein."

In der Tat: Die gerade vor zwölf Jahren so grausam zerstörte herrliche Barockstadt Dresden hat es als ihre Ehrenpflicht angesehen, den Zwinger wiederaufzubauen, mit dem dazugehörigen Garten natürlich. Unsere Ehrenpflicht, im Ehrenjahre unseres Fischer, ist es, seinen Palast, seinen Garten auferstehen zu lassen, den Wiener Mirabellgarten.

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