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Monatslohn 120 Schilling

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Monatelang ist in Oesterreich von Oel, von Luftfahrt und vom Milchpreis gesprochen worden, lieber diese wichtigen Fragen darf ein Problem nicht vergessen werden, das augenblicklich in kleineren Kreisen heiß diskutiert wird, das aber noch immer nicht als großes, gesamtöster-reichisches Problem gesehen wird: die Bergbauernfrage.

Wie ein Blitzlicht leuchtet manches Ereignis in diese Frage hinein. Da hat bei einer Tagung der oberösterreichischen Landwirtschaftskammer der Sekretär einer Bezirksbauernkammer erklärt, er sei der Meinung, daß im Bezirk Perg etwa 300 Betriebe infolge Steilhanglage auf die Dauer nicht gehalten werden können. In einem einzigen Bezirk sind also 300 Betriebe zum Untergang verurteilt. Jene Oesterreicher, die in Agrarfragen nicht Fachleute sind, machen sich über die Zahl der Berghöfe keine klare Vorstellung. Laut Angabe des statistischen Zentralamtes Wien gibt es in Oesterreich zirka 167.000 Berghöfe, davon liegen 57.000 im Hochalpengebiet. Wir sind uns darüber klar, daß jene Berghöfe, die über Wald verfügen, finanziell im Durchschnitt nicht schlecht gestellt, daß aber alle jene Berghöfe, die keinen Wald besitzen, in einer sehr ernsten wirtschaftlichen Gefahr sind. Ich will hier einige Zahlen angeben, die von Einzelhöfen genommen sind. Es kann natürlich nicht gesagt werden, daß die Lage in allen Berghöfen die gleiche sei. Praktisch müßte jeder Berghof eigens untersucht werden. Dennoch kann von diesen Zahlen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf die Lage der übrigen Berghöfe geschlossen werden. Auf einem Berghof sind folgende Zahlen erhoben worden: Grundausmaß 30 Hektar, Gesamteinnahmen 1955 S 11.640.—. Die Ausgaben betrugen für Steuern, Versicherungen, Handwerker, Kunstdünger usw. zirka S 10.200.—. Es Verbleiben als Lohn für drei Personen (Bauer, seine Frau, eine 22jährige Tochter) die Summe von S 1430—, das heißt also, der Bauer, seine Frau und seine Tochter verdienen monatlich je zirka S 40.— bar. Das heißt, der monatliche Barlohn ist kleiner als der Tageslohn eines Industriearbeiters. Der Bauer könnte mit dieser Lohnsumme drei Monate einen Fremdarbeiter bezahlen. Die gleiche Summe ist aber für drei Arbeitskräfte der Jahreslohn. — Der Hof braucht die oben genannten drei Arbeitskräfte. Sie müssen fleißig arbeiten, können infolge der Steilhanglage keine Maschinen einsetzen, der Hof hat kein elektrisches Licht, den Kraftantrieb besorgt ein Benzinmotor, kleinere Reparaturen an den Gebäuden und Geräten macht der Bauer selbst. Es muß zugegeben werden, daß der Ertrag dieses Hofes gesteigert werden könnte, da aber der Bauer alt und überarbeitet ist, ist unter der jetzigen Lage eine Steigerung des Ertrages nicht möglich. Ein großes Hindernis einer spürbaren Ertragssteigerung ist Kapitalmangel auf dem Hof und die Unmöglichkeit des Maschineneinsatzes.

Die Tochter ist nicht bereit, den Hof zu übernehmen. In den nächsten Jahren wird die Fläche bepflanzt und der Hof dem Verfall preisgegeben. Wer könnte auch diesem Mädchen zumuten, daß es auf diesem Hof bei den angegebenen wirtschaftlichen Bedingungen ihr ganzes Leben verbringt? Sie müßte viel länger arbeiten als jeder Industriearbeiter, würde viel weniger verdienen als der schlechtest bezahlte Hilfsarbeiter.

Einige andere Beispiele: Die folgenden Zahlen sind das Ergebnis einer genauen Buchführung. Die Zahlen sind abgerundet.

Grundausmaß Rohertrag Aufwand Reinertrag pro ha pro ha pro ha in Schilling

1. 19 ha 5500 4700 800

2. 12 ha 2800 3050 Defizit 350

3. 31 ha 6600 7200 „ 600

4. 27 ha 2500 3900 „ 1400 Die Verschiedenheit des Rohertrages und des

Aufwandes ergeben sich aus der Verschiedenheit der Lage der einzelnen Höfe. Es kann gesagt werden, daß alle diese Höfe von Bauern bewirtschaftet werden, die gewissenhaft und modern wirtschaften. Die Aufstellung zeigt, daß auf diesen Höfen, wenn der Bauer seine Arbeitsstunden berechnet, das Ergebnis seiner Wirtschaft in drei bis vier Fällen ein Defizit ist. Das heißt also, daß der Bauer praktisch seine eigene Arbeit nur mit einem ganz geringen

Stundenlohn entlohnen kann, wenn er nicht die Substanz des Hofes angreifen will. Würde er die Arbeit von Fremdarbeitern durchführen lassen, dann wäre die Wirtschaft so passiv, daß der Hof zugrunde gehen müßte. Die Aufstellung zeigt, daß der Bauer und seine auf dem Hof arbeitenden Kinder, obwohl sie länger arbeiten als jeder Industriearbeiter, weniger Lohn für sich nehmen können, als der mindest bezahlte Hilfsarbeiter der Industrie.

Hier geschieht an einem großen Teil unseres Volkes ein himmelschreiendes Unrecht. Ueber-legen wir, daß es etwa 167.000 Berghöfe gibt. Daß Industriearbeit so schlecht bezahlt würde, ist einfach nicht mehr möglich, weil sofort die Gewerkschaft eingreifen würde. Warum tut unser Volk gerade den fleißigen Beigbauern dieses Unrecht an?

Welche Folgen werden sich ergeben?

Es ist nicht zu erwarten, daß die jungen Menschen auf diesen Berghöfen die Einstellung des Vaters, der trotz aller Nachteile :iuf seinem

Hof geblieben ist, übernehmen, daß sie bereit sind, länger als der Industriearbeiter mit einem kleineren Lohn als dieser zu arbeiten. Immer mehr junge Leute werden aus der Landwirtschaft in die Industrie abwandern. Frankreich hat diese Katastrophe in Hunderttausenden von Fällen erlebt. Seit etwa 100 Jahren sind in Frankreich zirka 3 Millionen Bauernhöfe verlassen worden. Seit 15 Jahren etwa 700.000 Höfe. Der Boden wird von anderen Bauern extensiv bewirtschaftet oder liegt heute brach. Die Höfe sind verfallen. An den großen Straßen Frankreichs kann man Hunderte von verfallenen Höfen sehen. Diese Ruinen sind eine gewaltige Anklage.

Wenn in Oesterreich nicht etwas sehr Einschneidendes geschieht, werden viele unserer Bergbauern gezwungen sein, von ihren Höfen abzuwandern.

Auch der Flachlandbauer hat eine viel längere Arbeitszeit als der Industriearbeiter. Man kann erleben, daß der Bauer auf dem flächen Land um 4 Uhr seine Arbeit beginnt und um 20 Uhr vom Traktor steigt. Der Flachlandbauer wird diese überlange Arbeitszeit eher durchstehen, weil seine Arbeit besser bezahlt wird als die Arbeit des Bergbauern.

Dazu kommt, daß die Wohnung der Bergbauern in vielen Fällen wahre Elendsquartiere sind, Schlafzimmer wie düstere feuchte Keller. Man muß solche Wohnungen anschauen, damit man spürt, daß hier das Wohnungselend im großen und ganzen ebenso groß ist wie in der Stadt. Bauernsöhne schlafen in nicht wenigen Fällen nicht in einem Zimmer, sondern ruf der Diele, manche sogar auf dem Dachboden.

Für den Bergbauern ist es auch sehr bedrückend, daß er seine Kinder viel zu früh zur Arbeit einspannen muß, weil er allein die Arbeit nicht tun kann und weil er Dienstboten einfach nicht bezahlen kann. Selbst Flachlandbauern sind gezwungen, ihre Kinder sehr frühzeitig mit schwerer Arbeit zu belasten. Der Schreiber dieser Zeilen hat folgendes vor einigen Wochen selber mitangesehen:

An einem Sommertag, einige Zeit vor 6 Uhr, fährt ein Bauer mit einer großen Fuhre Gras heimwärts. Hinter dem Wagen gehen seine zwei „Arbeiter“ — ein Knabe und ein Mädchen. Der Knabe trägt die Sense, das Mädchen einen Rechen. Beide buchstäblich halbe Kinder. Um 6 Uhr, da ihre Alterskolleginnen und Kollegen in anderen Berufen noch schlafen, haben sie ihren ersten schweren Arbeitsgang schon vollendet, sie haben eine große Fuhre Gras gemäht und aufgeladen. Wundern wir uns, wenn diese junge Menschen — so bald es ihnen möglich ist — vom Bauernhof weggehen, weil sie spüren, daß ihnen eine ungerechte Last aufgeladen wird? Der Schuldige an dieser Ungerechtigkeit ist aber nicht der Vater, denn, da er keine Arbeitskräfte bekommt, muß er — wenn er den Hof nicht vernachlässigen will — seine jungen Kinder mit dieser schweren Arbeit zu früh belasten.

Noch etwas sehr Hartes: Viele alte Leute auf den Berghöfen müssen trotz ihres Alters noch ungebührlich viel und hart arbeiten, weil viel zu wenig Dienstboten vorhanden sind. Erst in diesen Tagen sah ich eine alte Frau von 76 Jahren, die tief gebeugt am Herd stand, täglich das gesamte Essen für den Hof kocht, das Geschirr und den Garten zu versorgen hat, weil die junge Frau die Arbeit einfach nicht bewältigen kann. Das Problem Bäuerin ist ja schon oft erörtert worden. Viele dieser Bergbauernfrauen und auch viele Bäuerinnen auf Flachlandhöfen sind Magd und Knecht, Hausfrau und Mutter. Es gibt wohl keinen Stand in Oesterreich, der so viel arbeiten muß als die Frauen auf unseren Bauernhöfen.

Diese Umstände: schlechte Entlohnung, schlechte Wohnung, zu frühe Belastung der Kinder, schwere Arbeit der alten Leute, zu lange Arbeitszeit, Ueberlastung der Bäuerin werden dazu führen, daß viele Bergbauern ihren Hof verlassen werden, weil der Lebensstandard auf dem Bauernhof in keiner Weise Schritt halten kann mit dem Lebensstandard der anderen Schichten unseres Volkes.

Das Abwandern von Bergbauernfamilien aus den Berghöfen würde für unsere Heimat unabsehbare Folgen haben. Denn Statistiken beweisen klar, daß die Bergbauernfamilien immer noch die kinderreichsten Familien sind. In Oesterreich werden in den Orten die unter 500 Meter liegen, jährlich pro 1000 Einwohner im Durchschnitt 11 Kinder geboren. In Orten die über 1000 Meter liegen, pro 1000 Einwohner jährlich 23 Kinder. Außerdem wissen wir, daß diese Kinder auf den Berghöfen zu gesunden, kräftigen und lebenstüchtigen Menschen heranwachsen. Wenn diese kinderreichen Familien aus den Berghöfen abwandern, würden sie im Tal sich den anderen Familien angleichen und der Kinderreichtum wäre schon in der nächsten Generation nicht mehr vorhanden. Darum muß die Lage der Bergbauern zu einem großen Anliegen des gesamten österreichischen Volkes werden. Wir können es nicht verantworten, daß eine große Gruppe von Menschen ungebührlich schwer und lange arbeiten und schandvoll gering entlöhnt wird!

Was kann getan werden?

Es ist wohl selbstverständlich, daß durch die Gewährung der Kinderbeihilfe, eventuell Altersversorgung, durch die Erhöhung des Milchpreises dieses Problem nicht gelöst wird. Diese Dinge bringen dem Bergbauern eine spürbare Erleichterung seiner Lage, aber keine Lösung des Problems. Vor allem auch deshalb, weil infolge der Technisierung der Flachlandbetriebe der Unterschied zwischen Flachlandbetrieb und Bergbauernbetrieb immer größer wird.

Immer wieder hören wir die bequeme Lösung: den Grund aufforsten, die Menschen in das Tal führen und in der Industrie beschäftigen. Diese Lösung hat den gewaltigen Nachteil, daß gerade die kinderreichsten Familien entwurzelt werden. — Vielleicht ist bei manchen Höfen eine andere Lösung nicht mehr möglich. Das aber bedeutet Verlust wertvoller Familien. Darum sollte diese Lösung erst dann genannt werden, wenn eine andere nach reiflicher Ueberlegung nicht mehr gefunden werden kann. Es kann heute wohl niemand sofort eine befriedigende Lösung des Berg-bauernproblems geben. Sie muß aber mit aller Kraft gesucht werden, bevor die Entwicklung zu einem nationalen Unglück führt. Ausschüsse, bestehend aus Bergbauern, Flachlandbauern, Agrarfachleuten und Fachleuten der Wirtschaft zusammen mögen ernst und intensiv nach einer Lösung suchen. Das gesamte österreichische Volk aber muß diese Frage zum großen gemeinsamen Anliegen machen. Die Arbeiten der Ausschüsse werden nur dann Erfolg haben, wenn das Volk diese Frage auch ernst nimmt und eventuelle Beschlüsse, die Opfer auferlegen, verständnisvoll billigt. — Das Gespräch über die Bergbauernfrage darf nicht mehr verstummen.

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