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Mongolisches Vermächtnis

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Seit dem 26. November 1924 ist die sogenannte Aeußere Mongolei eine „Volksrepublik". In ihr eignet die Obgewalt dem Churuldan (Parlament), eigentlich aber den Mitgliedern des Politischen Büros der Kommunistischen Partei, unter denen nach Suche Bator und neben dem Ministerpräsidenten Dscha Damba der damals kaum 30jährige Tschoj Bolsan die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Zwischen 1929 und 1932 bemühten sich die kommunistischen Staatsführer, an deren Seite aus der Sowjetunion stammende Sprachgenossen, sogenannte Burjaten, als Aufseher und Lehrer wirkten, die Mongolei im Eiltempo zum sozialistischen Gemeinwesen. zu machen. Antireligiöse Propaganda trachtete. Glauben und Aberglauben in einen Sack zu werfen, die Lamas, die vor dem Umsturz 40 Prozent der männlichen Bevölkerung umfaßt hatten, ihrem Beruf zu entfremden oder zu diskreditieren und aus den zerstreuten Einzelwirtschaften Kollektive zu bilden. Dieser kämpferische Bolschewismus hatte geringen Erfolg. Er mußte sein Ungestüm mildern, als sich eine äußere Gefahr dem Lande nahte. Statt des machtlosen China richtete der japanische Vasallenstaat, die unter Pu-Ji, dem einstigen chinesischen Kaiser, begründete Mandschurei, begehrliche Blicke nach Westen. Zwischen 1932 und 1936 gab es zahllose Grenzzwischenfälle. Moskau stellte sich nun mit aller Kraft hinter die Mongolische Volksrepublik, die ja einen wichtigen Vorposten der UdSSR darstellte. Der Ministerpräsident dieses Satellitenstaates, G e n d o n, wurde in den Kreml berufen und mit ihm ein Beistandspakt verabredet, der den Japanern die Lust auf weitere Vorstöße nehmen sollte. Ein warnendes Interview Stalins mit einem amerikanischen Journalisten tat das übrige. Der Beistandspakt vom 12. März 1936 stellt bis heute die Grundlage der sowjetischmongolischen Beziehungen dar.

Moskau gewährte weiterhin den einheimischen Kommunisten in dem zu Ulan Bator gewordenen Urga Stütze und Rückhalt. Und so vollzog sich, wohl nicht unberührt von den Weltgeschehnissen, doch ungestört durch sie, durch den japanischchinesischen Konflikt und endlich durch den zweiten Weltkrieg, der ungeheure Umbruch, dessen Größe aus dem Gegenüberstellen der Ausgangssituation und des heutigen Zustandes ermessen werden muß.

Bis zum Jahre 1929 hatte sich an den traditionellen Verhältnissen der Aeußeren Mongolei wenig geändert. Die Fürsten und die Klöster besaßen rund 20 Prozent der Herden, die den Hauptreichtum des Landes darstellten. Ulan Bator war ein großes Dorf mit ärmlichen Hütten, aus denen sich der Palast des verstorbenen Bogdo Chan und ein paar Regierungsgebäude heraushoben. Es gab nur wepige Straßen, keine Eisenbahn; Autos waren eine Seltenheit. Die Presse hatte sich nicht viel über das Niveau der ersten Zeitung erhoben, die vom russischen Gesandten kurz nach dem Beginn des faktischen Protektorates begründet worden war. In diesem „Neuen Spiegel" standen Artikel über die fünf Erdteile, über den Ursprung von Donner und Blitz und über das Sonnensystem, die allesamt lebhafte Empörung bei den Anhängern des Alten hervorriefen; schworen diese doch, daß die Erde eine Scheibe sei, daß der Donner vom Zorn böser Geister herrührte und daß die fremden Länder tief unter China und der Mongolei ständen. Jetzt lag der Unterschied nur darin, daß die primitiven Belehrungen durch kommunistische Propaganda gröbster Art ergänzt wurden. Männer oder gar Frauen, die lesen konnten, waren rar, ihr Prozentsatz überstieg nicht ein Dreißigstel der Bevölkerung. Von Hygiene, von Industrie bestand auch nicht die leiseste Spur. Die mongolische Regierung unter der Leitung höchst eifriger Fanatiker fing damit an, daß sie die Fürsten und die Lamasereien enteigneten, die nomadisierenden Hirten in Kolchosen zusammenschlossen, den Außenhandel zum Staatsmonopol machten. Schon nach drei Jahren waren 175.000 Menschen in Kolchosen eingeordnet, wohl ein Viertel der nichtstädtischen Einwohner des Landes.

Doch dieser Triumph des Sozialismus, der nicht einmal in der UdSSR so schnell errungen worden war, blieb rein äußerlich. Die vom Neuen überrumpelten und zum Widerstand unfähigen Nomaden ergriffen die Flucht über die Grenze oder sie kehrten zu ihrer früheren Lebensweise zurück, sobald sie nicht da« Auge der Ueberwacher aus Ulan Bator über sich spürten. Die sowjetischen Beobachter sahen den Mißerfolg, und als in Moskau ein scharfer Kurs gegen die „Linksabweioher" und gegen angebliche oder wirkliche Trotzkysten einsetzte, wurde auch in Ulan Bator das Scheitern des forcierten Ueberganges zum reinen Sozialismus Linkshäretikern in die Schuhe geschoben. Ein mongolischer Trotzky, Danzan, wurde hingerichtet. Zwei ehemalige Ministerpräsidenten, Amor und G e n d o n, teilten später dieses Los. Eine umfängliche „Reinigung" der Partei fand statt. Und Tschoj B o 1 s a n, der Innenminister, wurde als Führer der Kommunisten mit Billigung des Kremls eingesetzt. Seit 1932 war er alleiniger, unbestrittener Gebieter im Lande.

Mehrfache Besuche in Moskau vermehrten sein Ansehen und sicherten ihm ständigen Kontakt mit den Leitern des Weltkommunismus. Stalin berief ihn mehrmals nach Moskau, veranstaltete zu seinen Ehren Bankette und tat alles, um die Autorität des linientreuen Mannes zu stützen. Das Bild des feisten Mannes mit dem urmongolischen Gesichtszügen, in der sowjetischen Mustern nachgebildeten Uniform, die Brust voller Orden, wurde bei den Zeitungslesern der UdSSR sehr populär. Daheim war er der von seiner Umgebung gefürchtete und von den einfachen Leuten in den zerstreuten Jurten scheu verehrte unumschränkte Herr, der — wie einst Dschingis-Chan — durch Schrecken Gehorsam erzwang, doch als aufgeklärter Tyrann das materielle Wohl, die straffe Ordnung hütete. So brachte er die Mongolische Volksrepublik etwa auf das Niveau einer asiatischen Bundesrepublik der UdSSR.

Der Marschall war auf seine Schöpfung sehr stolz. Man hat ihm in dem Halbdutzend Zeitungen, die in Ulan Bator und in den kleineren Orten erscheinen, täglich ein Loblied gesungen. Um sich sah er nur demütige Bewunderung und die große Sonne, das Wohlwollen des Kremls, glänzte ob seinem Haupte. Von einer Leistung Tschoj Bolsans aber sprechen unbefangene Sachkundige mit ungeheuchelter fachlicher Anerkennung. In einem Lande, das uralte militärische, besonders kavalleristische Ueberlieferungen hat, wo aber bis vor etwa 20 Jahren nur regellose Banden mit veralteten Flinten umherstreiften, die vor jedem besser organisierten Gegner, sogarvor Chinesen und schon gar vor weißen oder roten Russen auseinanderliefen, hat er eine Armee von 100.000 Mann organisiert, die im Partisanenkrieg gegen die Japaner, als Kader für „Freiwillige" in der Armee Mao-Tse-Tungs und in Korea Beweise ihrer Brauchbarkeit geliefert hat. Kein Land der Welt hat einen so hohen Prozentsatz seiner Einwohnerschaft, etwa ein Zehntel, unter Waffen. Ob man Tschoj Bolsan dafür loben soll, gehört allerdings in ein anderes Kapitel.

Zu Moskau und zu Ulan Bator hat man sich freilich. weder darüber noch über den Wert der politischen und wirtschaftlichen Einrichtungen kritisch den Kopf zerbrochen, die der Marschall seinen Erben hinterläßt. Als er am 26. Jänner 1952, also vor nunmehr genau zwei Jahren, an einem schweren Nierenleiden starb, das sowjetische Aerzte vergebens durch eine Operation zu heilen versucht hatten, wurde er in einer förmlichen Apotheose durch ganz Rußland und Sibirien heimgeleitet. Der Sonderzug wurde auf allen größeren Stationen durch Behörden und Volk begrüßt. In Ulan Bator Choto aber dauerten die Trauerfeierlichkeiten vier Tage.

Der mongolische Marschall ruht wie Lenin in einem Mausoleum, das zum nationalen Wallfahrtsort geworden ist und das zu den Lamasereien in wirkungsvollen Wettbewerb tritt.

Als Hüter des Vermächtnisses Tschoj Bolsans aber waltet ein mongolischer Malenkow namens Cedenbal. Dieses Oberhaupt der Regierung von Ulan Bator hat inzwischen zweimal Moskau besucht. Im August und im September 1952 weilte er dort; er wurde von Stalin empfangen und nahm an Dreiergesprächen teil, denen auch eine chinesische Delegation zugezogen war. Das Ergebnis der Konferenzen haben wir in einem Pakt zu erblicken, der von Cedenbal und Tschu En-Lai am 4. Oktober 1952 zu Peking unterfertigt worden ist. Der auf zehn Jahre abgeschlossene Vertrag, der, ohne Einzelheiten festzusetzen, die engste „Zusammenarbeit" zwischen den Volksrepubliken China und Mongolei verheißt, bedeutet praktisch die Rückkehr des zweiten dieser Staaten in die Einflußsphäre des Himmlischen Reiches. Mao-Tse-Tung hat damit von Moskau ein wichtiges Zugeständnis erlangt. Allerdings sind die Bande, die das Land Tschoj Bolsans an die Sowjetunion knüpfen, fest geblieben. Cedenbal ist zum Leichenbegängnis Stalins, im März 1953, wiederum im Kreml erschienen. Daß aber fortan Peking gegenüber Moskau in der Mongolei die Vorhand behauptet, steht außer Zweifel. Und das löscht in mancher Hinsicht die Bestrebungen Tschoj Bolsans und seines Vorgängers Suche Bators aus, die sich ursprünglich lieh nach Rußland gewendet hatten, um die chinesische Oberherrschaft abzuschütteln. Doch wie es in einem militaristischen Lustspiel der Wilhelminischen Zeit hieß: „Unter Kameraden ist das alles eins"; unter Genossen ist es eins, ob die Parolen unmittelbar aus dem Kreml kommen oder über Peking. Wird dies in aller Zukunft so bleiben? In dieser Ungewißheit wurzelt das große Fragezeichen, das wir heute hinter Tschoj Bolsans Vermächtnis anbringen müssen.

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