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Monte Sorakte

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Die Via Flamina führt aus dem grünen Umbrien hinüber nach Latium. Sie folgt dem jungen Tiber, der sich seinen “Weg zum nahen Meer durch die Sabinerberge bahnen muß. Hat man die Enge passiert, in der das mittelalterliche Felscnnest Civita Castel-lait* auf einer weit vorspringenden Halbinsel über der zerklüfteten Landschaft steht, so taucht, wuchtig und dunkel, zur linken Hand die Berggestalt des Monte Sorakte auf. Als grauer Klotz steht er in der Landschaft, vom langen Kalksteinzug der Sabiner Berge abgesprengt. Es fällt nicht schwer, das Bild der Urzeit heraufzubeschwören, da dieser Berg als Inselklippe ans dem Meer aufragte. Dann steilte' der Riese ans Latium, dem Kernland des Römischen Reiches, empor.

Die Via Flamina ist ein glattes, graues Band durch die wellige, grüne Landschaft, der hier, im Norden Roms, noch die romantische Verlassenheit der Campagna fehlt. Am Hang des Sorakte stehen alte Ölbaumhaine, und in den wilden Wochen zwischen Herbst und Frühling, die man hier den Winter nennt, hängen oft die grauen Nebelwolken an der ragenden Gipfelspitze. Den Völkern, die hier einst siedelten, den Etruskern und Latinern, muß dieser Berg zwangsläufig als Sitz der Götter erschienen sein. Die Heiligtümer und Kulturstätten, die dieser Berg trug, gehören zu den ältesten auf dem Boden unseres Festlandes, die römischen Dichter haben ihn immer wieder besungen und jeder Italienfahrer grüßt ihn mit jener scheuen Ehrfurcht, die man stets empfindet, wenn man den Anhauch der Jahrtausende verspürt und das Nachwirken bedeutsamer Kulturen.

Heute sieht der Reisende den Monte Sorakte ein wenig anders: In das Grau seines steilen Hanges ist eine weiße Linie gezogen, große Halden frischgebrochenen Schuttes ziehen darunter zu Tal, und wer gute Augen hat, kann schon von der Autostraße aus einige dunkle Höhlenöffnungen erkennen, die sich im oberen Bergdrittel auftun. Der alte Sabinergipfel hat dem Kranz der Legenden und Tatsachen, die ihn umranken, ein neues Blatt eingefügt: Im Weltkrieg 1939 bis 1945 ist er zum „Luftschutzbunker“ geworden und schließlich, im Jahre 1943, beherbergte er das deutsche Oberkommando in Italien und seinen Befehlshaber, Generalfeldmarschall Kesselring, den „führertreuesten“ unter allen Marschällen fles „Dritten Reiches“!

Es ist eine seltsame Ironie dieses Krieges gewesen, daß der einzige Luftwaffenmarschall, der eine Heeresgruppe befehligte, am meisten unter dr Luftüberlegenheit der Alliierten zu leiden hatte. Und — am meisten „ausgebombt“ wurde. Als im Frühling 1943 die Alliierten die Landung auf Sizilien erzwangen, war der Angriff auf das deutsche Hauptquartier der Auftakt hiefür. Nach einer erstaunlich genauen Auskundschaftung legte ein Bombenhagel und „Punktangriff“ auf die Befehlsstelle nahezu jede Verbindung mit den deutschen Verbänden lahm und sicherte dadurch dem Landungsunternehmen bereits den Erfolg. Schon ein paar Monate später wurde Kesseling zum zweitenmal durch die Bomber aus seinem Sitz ausgebombt. Damals hatte er — es war nach dem Waffenstillstand Italiens und nach der Landung der Alliierten bei Salerno — sein Hauptquartier in Frascati. Diesem Gaste verdankt Frascati seine nahezu vollständige Zerstörung. Kesselrings Befehlsstellen blieben als Schutthaufen zurück, er selbst und seine engsten Mitarbeiter entgingen nur durch besonderes Glück dem Eisenregen. Nun schickte er seinen „Chef HQu.“ auf Suche nach einem bombenfesteren Unterstand. Und der fand ihn — im Monte Sorakte!

Jm Winter 1943 übersiedelte der gesamte Stab der Heeresgruppe in die Sabinerberge und wurde zu Höhlenbewohnern. Die jüngeren Stabsoffiziere hätten es lieber gesehen, wenn man „endlich mit dem Unsinn der offenen Stadt“ — wie sie es nannten — Schluß gemacht und in Rom Quartier genommen hätte. Aber man konnte sich nicht dazu entschließen und so ging der umfangreiche Generalstab der „Heeresgruppe C“ in die Grotten des Felsenhorstes Sorakte. Der preußische „Aar“ war schon flügellahm und aus diesem Adlerhorst stieß keine „unbezwingoare Luftwaffe“ mehr vor, sondern in den weitläufigen Tunnels des Berges duckte sich Görings stolze Waffe vor den alliierten Tieffliegern.

Die „OT.“ hatte im Sorakte viel zu tun und ihre Betonmischmaschinen arbeiteten noch, als das Hauptquartier bereits wieder abrückte, weil in Rom schon die amerikanischen Panzer über die Tiberbrücken fuhren. Die breiten Tunnels allerdings waren schon vorhanden: man hatte von italienischer Seite hier eine Munitionsfabrik vorbereitet und später, als der Luftkrieg bedrohlicher wurde, daraus Luftschutzstollen für die königliche Familie und für die Regierung machen wollen. In großer Eile wurden nun im Winter 1943 die vielen Stollen verbreitert und verlängert, die Auffahrtsstraße von Rignano zum Höhleneingang ausgebaut und in die Tunnels Baracken gebaut. Ein eigenes Elektrizitätswerk versorgte das weitläufige Tunnelsystem mit Strom und Licht, ein Wasserwerk und eine Warmwasserheizanlage wurden eingebaut. Also ein Adlerhorst mit recht viel Komfort. Vor die Haupteingänge der Höhlen wurden zwei Vierlingsflakgeschütze gestellt, denn die amerikanischen Tiefflieger waren verwegen genug, auch noch in die Tunneleingänge hineinzuschießen!

Die Fahrt über die steilen Serpentinen und durch die Straßentunnels war bei Tageslicht ungemütlich, denn die „Jabos“ waren blitzschnell zur Stelle. Natürlich mußte das Hauptquartier im Sorakte „streng geheim“ gehalten werden, ein eigener Sperrenposten mit Schlagbaum kontrollierte Soldbuch und Personalausweise und offiziell wußte „niemand“, wo Kesselring residierte. Da die Deutschen aber bekanntlich ein „Volk von Dichtern“ sind, wäre dadurch bald ein Unheil entstanden. Freiherr Eitz von Rübenach, der damals „Chef der Landwirtschaftsverwal-tupg“ in Italien war und weit in der Etappe, in Verona, saß, war von dem „kühnen Adlerhorst“ seines Generalfeldmarschalls, der ihn einmal zu sich bestellt hatte, so begeistert, daß er ein langes Poem darüber verfaßte und es in den deutschen Soldatenzeitungen abdrucken lassen wollte. Da schritt aber doch die Zensur gegen den Dichter ein. Eine schmerzliche Kälte gegen Kriegsliteratur, die dem Zensuroffizier das Kriegsverdienstkreuz einbrachte.

Im „Adlerhorst“ auf dem Monte Sorakte führten die Angehörigen des Stabes ein Leben, ähnlich den orthodoxen Mönchen auf dem Berge Athos. So sie den unteren Dienstgraden angehörten, sahen sie oft tagelang kein Sonnenlicht. Das Rheuma blühte in der feuchten Tunnelluft. Für die höchsten Herren kamen gelegentlich ein paar Autoladungen einer „KdF.“-Truppe hinauf, für die breite Masse, die Wachkompanie, die Fahrer und Schreiber gab es einen eigenen Filmsaal und dazu stets die neueste deutsche Wochenschau.

Die sonnenhungrigen Offiziere aber erfanden als „Ausgleichs“-Übung das Eselreiten. Im nahen, auf dem Bergrücken gelegenen Ort San Oreste wurden ein paar arme Grautiere requiriert, und nun gab es im Offizierskasino kein anderes Gesprächsthema mehr als die gerechte Verteilung der Eselritte auf den Gipfel des alten Monte Sorakte!

Der „Betrieb“ im Tunnel-Hauptquartier war jedoch imposant. In den Riesenschläuchen der Hauptstollen, die eine Gesamtlänge von 38 Kilometern hatten, liefen die dicken Wasser- und Heizrohre, sechs- und achtfache Kabelstränge führten ' in alle Gassen und Gänge dieser unterirdischen Stadt; zu armdicken Strängen gebündelt, hingen die Telephonleitungen über die Stollen, überall waren Baukolonnen der OT. an der Arbeit, um die Unterkünfte auszubauen, neue Querstollen durchzutreiben und ganze Häuser in die Tunnels einzubauen. Am Eingang des Nebenschachtes, der zu Kesselrings engerem Reich führte, stand der Sonderposten im Stahlhelm. Es fehlte nichts, in diesem Bergbau — Speiseräume und Offizierskasino waren sorgsam ausgestattet, der gute italienische Rotwein versiegte niemals und auch die Verpflegung war wesentlich abwechslungsreicher als vorne bei den Kampfeinheiten im Fiebersumpf von Nettuno oder in der Hölle von Monte Cassino. In langen Reihen standen die Wagen der Besticher in den Straßentunnels und vor den Tunneleingängen — nicht nur hohe Offiziere der Armeen und Korps, nicht nur die SS-Führer des SD. und der „Sonderdienste“, die in Rom tätig waren, nicht nur die OT.-Generale und hohen Wehr-machtsbeamte, die hier im besetzten Italien die Zivilverwaltung besorgten — auch Zivilisten fuhren „auf den Berg“: die Herren von der Botschaft in Rom und von der Mussolini-Regierung in Fasano, Beauftragte der Ministerien und des Auswärtigen Amtes, Großeinkäufer und Ausplünderer, Sonderberichter und — Spitzel.

Die wenigen Bunkerstollen, die zu ein paar an die Bergwand geklebten Häuschen führten und daher Tageslicht hatten, waren den wichtigsten Dienststellen vorbehalten: dem Chef des Stabes und „Ia“, dem Marschall selbst, der mit ein paar Schritten, wenn die Jabos kamen, im Berg verschwinden konnte, dem Pionierführer und — der Schirrmeisterei, welche die Benzintankscheine ausgab. Hier herrschte stets lebhaftes Gedränge und — ausgedehnter Tauschhandel. Kognakflaschen, Zigarrenschachteln, Radioapparate und ähnliche „Devisen“ wurden hier in Tankscheine umgetauscht, solange die Tankwagen noch den kostbaren Stoff aus Oberitalien herunterbringen konnten. Immer zahlreicher wurden bald die rußenden Fackeln brennender, dem Angreifer verfallenen Wagen auf den Straßen durch Latium. In den letzten Wochen vor der Befreiung Roms war praktisch jeder Verkehr bereits abgeschnitten, die Verluste durch Tieffliegerangriffe wurden unerträglich. Dennoch hieß es, der Feldmarschall „auf dem Berg“ sei voll Zuversicht. Rom werde „unter allen Umständen“ gehalten und „niemlas“ würde die Wehrmacht hier zurückgehen! Die OT. hatte acht Monate lang zwei Sperriegel gebaut, die von den Albaner Bergen bis zur Tibermündung reichten. Die „Gotenstellung“ und die „B-Stellung“ sollten die Alliierten noch im Angesicht der Ewigen Stadt zum Stehen bringen. Aber Stellungen allein genügen nicht — die Truppen dafür fehlten. In den ersten Juni tagen 1944 kam die Front ins Wanken und die Römer holten die Ballkleider aus den Schränken, den Sekt ans den Kellern: sie hatten recht! Am 4. Juni mußte die deutsche Besatzung Hals über Kopf Rom verlassen und Kesselring, der am Vormittag noch von seinem Berg aus allen Kommandos befahl, unbedingt zu bleiben, hatte abends Mühe, mit seinem Troß vom Monte Sorakte herunterzukommen und sich durchzuschlagen — nach Florenz.

Die „Zentimeter“-Offensive der Alliierten tat ihre Wirkung. Auch die toskanischen Berge eigneten sich nicht für einen längeren Aufenthalt und man empfand im Hauptquartier das Fehlen der schützenden Tunnels. Das kleine Thermalbad San Andrea südlich von Parma, in den Ausläufern des Apennin, war Kesselrings Sitz im Sommer 1944. Von hier unternahm er seinen Flug zu Hitler, als er sten“ *am 19. Juli die Brillanten holen durfte. Die Tatsache, daß es dem Generalfeldmarschall der „stärksten Luftwaffe der Welt“ möglich war, sich im Morgengrauen mit einem Jagdflugzeug unbemerkt aus Italien fortzustehlen und in der Abenddäm* merung wieder glücklich zurückzukommen, wurde als großer Lufterfolg gewertet und gefeiert. Am Tag darauf explodierte im Führerhauptquartier die Bombe und Kesselring wurde blaß, als er wahrnahm, wie knapp er dem „Dabeisein“ entgangen war.

Im August 1944 war auch der Raum von Parma nicht mehr sicher genug und das Hauptquartier mußte wieder wandern. Schon seit Monaten wurde im Agno-Tal, am Südfuß der Dolomiten, unterhalb des Plateaus der „Sette Communi“ wieder gesprengt. Zum Abschied vom freundlichen Thermalbad San Andrea feierte man noch ein paar frohe Feste, wozu ein Trupp durchschnittlich begabter KdF.-Schauspielerinnen nach Kräften beitrug. Zwar hatte Göbbejs alle Schauspieler zum Rüstungseinsatz zurückberufen und jede weitere Truppenbetreuung nach dem 20. Juli verboten, aber die Generalstäbler im Thermalbad waren gegen den Minister und so war nicht nur — trotz der strengsten „Führerbefehle“ über Treibstoffsabotage — genug Sprit da, um die Mädchen von Mailand herüberzuholen oder zurückzubringen. Kesselring befahl schließlich noch, die ganze Truppe am Sender Mailand anzustellen, um sie vor dem Granatendrehen in Deutschland zu retten. Somit hat auch er sich Verdienste als Saboteur der Hitlerbefehle erworben ... !

Vom Valdagno, wo Kesselring den letzten Kriegswinter verbrachte, wurde dann noch eine Ubersiedlung vorbereitet: ins Pustertal! Hier sollte der „Oberbefehlshaber Südwest“ innerhalb der Festung „Alpen“ bis zum Endsieg durchhalten. Bloß — es kam anders —!

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