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Monumental oder Kitsch?

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Großbauten von heute werden vor allem der beiden „Muskelhunde“ am Eingang nach technischen Maßstaben beurteilt, und es ist nach einer weit verbreiteten Auffassung der Zweck, der allein die Formen zu bestimmen hat. Um so größeres Interesse wendet sich daher begreiflicherweise einem Bauwerk zu, bei dem zum ersten Male seit dem Zusammenbruch des Jahres 1945 dieser fast schon eiserne Grundsatz durchbrochen wurde. Bewußt auch auf Blickwirkung gebaut, kann man den Linzer Bahnhof wohl mit Recht als den ersten ausgesprochenen „Monumentalbau“ des neuen Österreich bezeichnen. Kaum vollendet, steht er daher auch schon im Mittelpunkt einer lebhaften Auseinandersetzung, deren Bedeutung weit über den Rahmen des bloß Lokalen hinausgeht.

Das Tempo der Vollendungsarbeiten war imponierend. Fast war man versucht, an den Begriff „kriegswichtig“ zu denken — und tatsächlich war es ja auch der Wahlkampf, der hier einmal positive Wirkungen gezeigt hat. Im Laufe weniger Wochen verschwand das häßliche Barackenviertel auf dem Bahnhofvorplatz und mit einem Schlage eröffneten sich neue Perspektiven auf neue Fassaden. Während an Stelle der niedergerissenen Baracken durch ein wahres Massenaufgebot von Arbeitskräften fast über Nacht ausgedehnte Parkanlagen entstanden, fielen auch in den beiden Haupthallen die letzten Gerüste und gaben den Blick auf Gold und Marmor frei. Noch war an der Innenausstattung die letzte Hand nicht angelegt, als auch bereits der Kampf der Geister begann. Wohl scheinen sich die Techniker über die positive Leistung der Bauleitung mit Ausnahme weniger Einzelheiten einig zu sein, um so heftigere Formen nimmt dafür der Streit der Architekten und ästhetischen Betrachter an. Er begann auf dem im Rahmen der Linzer Festwoche angesetzten öffentlichen Diskussionsabend über die städtebauliche Gestaltung der oberösterreichischen Landeshauptstadt.

Mit schwerem Geschütz eröffnete ihn ein bekannter Architekt, der in seinen temperamentvollen Ausführungen mit Kraftausdrücken keineswegs sparsam umging: Die Ausstattung der Hallen sei „Kitsch von schlimmster Sorte“, wie er vielleicht um die Jahrhundertwende einmal als schön galt. Man könne aber auch schon beim Anblick nichts Besseres erwarten, die, für Salzburg bestimmt, den Salzburgern zu schlecht, für Linz aber offenkundig gut genug gewesen seien. Im übrigen empfehle es sich, zu den beiden barocken Vasen auf dem Vorplatz, die wohl aus einem Schrebergarten stammten, auch gleich die dazugehörigen Gartenzwerge „aufzufinden“, Erst dann sei eine würdige Umrahmung für den abscheulichen Brunnen hergestellt, der ja wie das übrige auch nichts anderes darstelle, als einen mißlungenen Versuch, Gesteinstrümmer einer „tausendjährigen“ Architektur nutzbringend zu verwerten.

Diese deutlichen und an Wortkraft zweifellos sehr „barocken“ Ausführungen eine strikten Anhängers der modernen Sachlichkeit blieben freilich nicht unwidersprochen. Zunächst bezog einmal die Presse (die äußerste Linke ausgenommen) eine wesentlich positivere Stellung, auf die allerdings die Wahlzeit ihre Schatten warf, so daß stellenweise die wirklichen Probleme des Baue in den Hintergrund traten. Um so deutlicher war dafür die Einstellung der breiten Öffentlichkeit. Wer Gelegenheit hatte, die Tausende von Menschen zu beobachten, die den neuen Anlagen in den ersten Tagen nach der Einweihung ihren Besuch abstatteten, wird mit Verwunderung festgestellt haben, wie stark der Geschmack auch durchaus gebildeter Betrachter nach wie vor von barockem Empfinden getragen wird. So wurde die Ausstattung der Hallen, besonders der wirklich nahezu neubarock anmutenden Abfahrtshalle fast einhellig bewundert. Und im Falle der beiden „Muskelhunde“, nämlich der ursprünglich für die Salzburger Staatsbrücke bestimmten Löwen vor der Halle, ist immerhin zu sagen, daß sie von der Hand eines namhaften Salzburger Bildhauers stammen.

Blickt man die lange Front des Gebäudes entlang, so fällt auf, daß es eigentlich einige mehr oder weniger organisch aneinandergefügte Gebäude sind, die sie bilden. Die volle Symmetrie wurde nicht erreicht. Dies mag wieder die Gegner axialer Baugestaltung versöhnlich stimmen, ist aber weniger auf deren Einfluß, sondern vielmehr auf die im stillen schon von manchem bedauerte Tatsache zurückzuführen, daß einige Gebäudeteile des alten Bahnhofs stehenblieben und aus Sparsamkeitsgründen in den Neu bau eingefügt wurden. Wenn man bedenkt, daß diese selbst schon das nicht sehr glückliche Produkt der Modernisierung eines noch älteren Baues darstellten, und dann den Blick der neuen Mittelhalle zuwendet, so muß man zugeben, daß der sarkastische Titel einer jüngst erschienenen Zeitungskritik „Vom Klopfbalkon zur Reichskanzlei“ leider nicht ganz unberechtigt ist. Ungeteilt ist die Ablehnung des neuen Springbrunnens. Dieses „Belastetendenkmal“, wie es der Volksmund heute schon nennt, war ursprünglich auf keinem der zahlreichen Modelle zu sehen, sondern wurde erst wenige Monate vor der Bauvollendung neu in den Plan eingefügt. Hier trifft das bissige Wort von der „Trümmerverwertung“ leider wirklich restlos zu, denn an dieser Schöpfung ist nicht nur die krönende Figur des Schalenträgers „belastet“; so soll der tragende Säulenstumpf aus braunem Marmor für ein italienisches Siegesdenkmal bestimmt gewesen sein und die Quadern an Sockel und Einfassung würden„ wenn Steine reden könnten, sicher ihrer Verwunderung Ausdruck geben, daß sie heute ein Brunnendenkmal schmücken, obwohl sie für den profaneren, aber auch nützlicheren Zweck einer Autobahnbrücke bestimmt gewesen wären. — Das Schrecklichste an allem ht jedoch die planlose und von den einfachsten Regeln der Ästhetik unbeschwerte Art, mit der diese einzelnen Bestandteile übereinandergetürmt wurden. Alles in allem ein Bau, der, klassizistisch in seinem Material, alles eher als klassische Proportionen aufweist, andererseits aber doch wieder zu banalsymmetrisch ist, um etwa als Ausdruck surrealistischer Versuche gelten zu können.

Hier muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß Dinge von künstlerischem Wertanspruch nicht in „Wahlterminen“ ausgeführt werden können und daß bei solchen Werken Künstler in Muße, aber nicht Baufirmen in Rekordtempo arbeiten sollten.

Zunächst geht es aber noch um wichtigere Dinge. Es wurde ja erst das Bahnhof- g e b ä u d e vollendet und dringende Probleme bleiben der nächsten Bauetappe Vorbehalten. Noch ist der Bahnhofvorplatz trotz Brunnen und schöner Parkanlage ein Torso. Immer noch durchziehen in seinem rückwärtigen Teil die zahlreichen Geleise des Lokalbahnhofs ein Gelände, dessen Verbauung noch weniger schön ist, als es die beseitigten Amtsbaracken waren. Erst nach der geplanten Zusammenlegung beider Bahnhöfe wird es möglich sein, dieses ausgedehnte Gelände verkehrstechnisch aufzuschließen und die notwendige zweite Straßenverbindung zum Stadtinneren zu schaffen.

Diese städtebaulichen Lösungen entsprechen vor ollem dem Wunsch der Linzer, während den Durchreisenden die baldige Erstellung der noch immer fehlenden Bahnsteigdächer wohl noch vordringlicher erscheinen dürfte. Freilich besteht auch für diese bereits ein hochmoderner Entwurf, aber damit ist es, wie das Salzburger Beispiel zeigt, nicht getan. Oft genug hört man daher die Frage: „Wird es nach den gewaltigen Anstrengungen der letzten Jahre gelingen, die nächste Bauetappe in absehbarer Zeit in Angriff zu nehmen?“ . Dafür spricht wenigstens ein wichtiger Grund: es handelt sich dabei um wirklich nahezu unaufschiebbare Notwendigkeiten, die einfach geschehen müssen.

Über alle Kritik hinweg aber bleibt das geschaffene Werk doch eine beachtliche Leistung des Wiederaufbaus.

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