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Digital In Arbeit

Moral der Arbeit

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Der nachstehende Aufsatz stellt ein schwerwiegendes Thema vor die Öffentlichkeit. Wer dies unternimmt — und dazu gehört ln diesem Falle auch das Blatt, das dazu das Wort gibt —, setzt sich Mifldeutungen, wahrscheinlich sogar gehässigen Anwürfen aus. „Die österreichische Furche“ kann sich durch eine solche Aussicht nicht bestimmen lassen. Es gehört zu ihrem Beruf, auch Wahrheiten zu sagen, die nicht allen gefallen. Die Autorschaft des Aufsatzes gehört einer seit Jahren in der praktischen sozialen Arbeit stehenden Frau, die sich an schweren Aufgaben und in einem großen Wirkungskreis bewährt hat. Eine österreichische Bezirkshauptmannschaft verdankt ihr den Wiederaufbau eines im letzten Krieg vollständig zerstörten Fürsorgeamtes, die Neueinrichtung des Invalidenreferats und des Jugendamtes. Erfahrung und Leistung legitimieren die Verfasserin, auf eine der empfindlichsten Stellen unseres sozialen Organismus, wie sie selbst sagt, „auf diese Wunde den Finger zu legen“.

Ende Februar 1952 meldeten die österreichischen Arbeitsämter 215.000 Arbeitslose. Diese Zahl birgt viel unverschuldetes Elend, viele trostlose Schicksale alternder Menschen, die ein Lebensalter hindurch ihren Beruf nach besten Kräften ausgefüllt haben und die am Abend ihres Lebens niemand mehr benötigt, obwohl ihre Erfahrungen oft von der jüngeren und flotteren Arbeitskraft nicht aufgewogen werden. Die Zahl der wegen ihres Alters arbeitslos Gewordenen stellt sozusagen ein fest umrissenes Kontingent dar, das zwar in Zeiten der Hochsaison um ein weniges abzusinken pflegt, im übrigen aber im Laufe des Jahres ziemlich unverändert bleibt.

Die Mehrzahl der 215.000 Arbeitslosen ist den Arbeitsämtern allerdings durch die saisonbedingten Betriebseinschränkungen — besonders der Bauwirtschaft — zugefällen. Hier handelt es sich nicht um eine eigentliche Arbeitslosigkeit, sondern um ein durch den Winter bedingtes „Aussetzen'1, mit dem die davon Betroffenen von vornherein rechnen. Diese zeitweise Arbeitslosen sind durchwegs gesunde Menschen im Vollbesitz ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit. Sie gehören zum weitaus größten Teil manuellen Berufen an und sind an körperliche Arbeit gewöhnt. Sobald die Bautätigkeit mit allen Nebenzweigen wieder beginnt, verschwinden diese Arbeitslosen aus. den Karteien der Arbeitsämter. Man könnte also die winterliche Arbeitslosigkeit als sozusagen naturgegebenes, in ihren normalen Arbeitslöhnen beiläufig berücksichtigtes Übel hinnehmen — wenn nicht doch gewisse Vorkommnisse nachdenklich stimmen müßten.

Zur gleichen Zeit, zu der die Arbeitsämter mehr als 200.000 Arbeitslose betreuten, von denen der größte Teil in Wien wohnhaft war, suchte die Stadt Wien tausende Schneearbeiter gegen normale Entlohnung, aber nur ein Bruchteil der benötigten Arbeitskräfte meldete sich. Und das in einer Stadt, in der -zigtausende sich allwöchentlich als arbeitsuchend bei den Arbeitsämtern melden und ihre Unterstützung beheben. Freilich, es wax nur eine vorübergehende Arbeits- möglichkeit, aber es war immerhin eine Möglichkeit, durch eigene Arbeit einen entsprechenden Lohn zu verdienen. Offenbar haben fast alle Arbeitslosen es vor gezogen, auf diese Arbeit und den Lohn zu verzichten und statt dessen von der Arbeitslosenunterstützung mehr schlecht als recht zu leben. Denn diejenigen, die als Schneeschaufler kamen, waren keine berufsmäßigen manuellen Arbeiter. Es waren zur Mehrheit — Studenten.

Draußen auf dem Lande hat sich eine ähnliche — man muß fast sagen — Tragödie schon in den Monaten November bis Jänner abgespielt. Auch da gab es schon zahlreiche Arbeitslose aus den Bauberufen. Aber es gab auch Zuckerfabriken, die dringend Verladearbeiter für die Zuckerrüben benötigten — und nur mit größten Schwierigkeiten fanden. Die Arbeit wurde gut bezahlt — und so verließen Knechte ihre Dienstplätze, um zu den Verladearbeiten zu gehen. Aber die Arbeitslosen kamen nicht freiwillig. Viele mußten von den Arbeitsämtern geradezu verhalten werden. Manche leisteten dem Rufe zur Arbeit — zu einer gutbezahlten Arbeit — trotzdem keine Folge und ließen sich lieber mit dem zeitweisen Entzug der Arbeitslosenunterstützung bestrafen.

Ich weiß, man macht sich nicht beliebt, wenn man den Finger auf diese Wunden legt, und jeder, der es tut, muß damit rechnen, als Feind der Arbeiterschaft hingestellt zu werden, als ein Außenseiter, der die in langen Kämpfen erworbenen und heiß verteidigten Rechte des arbeitenden Menschen anzutasten wage.

Trotzdem gehören diese Dinge einmal beim Namen genannt, trotzdem gehören sie einmal in ihrer ganzen Widęrsinnig- keit beleuchtet. Nicht, um die Rechte der Arbeiterschaft anzutasten, sondern u m der Ehre der Arbeit selbst willen, um des Ethos der Arbeit willen, um willen von Werten, die langsam, aber sicher zerstört zu werden drohen, aus einer mißverstandenen Überbewertung der einen und Geringschätzung der anderen Arbeit heraus. Es ist widersinnig, wenn Menschen, die von Jugend auf schwere körperliche Arbeit leisten, auf einmal eine vielleicht sogar leichtere Arbeit verweigern, weil diese Arbeit außerhalb ihres engeren Wirkungskreises liegt, weil sie in die Zeit ihrer jahrelang gewohnten, saisonbedingten Arbeitslosigkeit fällt, die sie geradezu als einen Bestandteil ihrer mühsam erworbenen Rechte betrachten. Es ist widersinnig,

wenn Arbeiter, die ohne Murren schwerste Erdarbeiten bei Bauten, Bachregulierungen, Straßenanlagen usw. leisten, jede Arbeit in der Landwirtschaft verweigern, dies auch dann, wenn die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft besser sind als auf einem anderen Arbeitsplatz.

Ein Hilfsarbeiter erklärte sich auf vieles Zureden des Arbeitsamtes bereit, einen Arbeitsplatz in der Landwirtschaft anzunehmen. Er erhielt täglich dreißig Schilling Barlohn und die ganze Kost, also wöchentlich einhundertachtzig Schilling bar und ohne Abzug, dazu die ganze Kost. Die Sozialabgaben trug der Bauer. Der Sonntag war frei. Am Samstag bekam der Mann noch Lebensmittel (Milch, Mehl, Schmalz, Eier, Fleisch) mit nach Hause. Er hatte für seine Frau und ein Kind zu sorgen. Für sein Kind bezog er außer dem Lohn die staatliche Kinderbeihilfe. Die Arbeit war, wie heute überall in maschinell eingerichteten landwirtschaftlichen Betrieben, nicht übermäßig schwer, die Arbeitszeit zwar länger als in einem gewerblichen Betrieb, aber immerhin so bemessen, daß eine angemessene Ruhezeit verblieb. Man sollte glauben, unser Mann hätte zufrieden sein können. Seine Frau versicherte wiederholt, daß es der ganzen Familie dank der vielen Zubußen und der guten Kost, die der Mann erhielt, noch nie so gut gegangen sei. Und trotzdem hat der Mann die Arbeit aufgegeben. Er selbst begründete diese Arbeitsniederlegung damit, daß er nicht daran denke, ständig in der Landwirtschaft zu arbeiten; er werde den B au, ern „nicht den Trottel machen". Heute arbeitet unser Mann in einem Lagerhaus. Die Arbeitszeit ist nur 48 Stunden wöchentlich. Dafür erhält er wöchentlich 173 S Lohn ausbezahlt und hat keine Verpflegung und keine Zubußen, dafür aber öfter einmal Hunger, wenn es zum Frühstück wieder einmal nicht gelangt hat. Vielleicht ist er jetzt trotzdem glücklich, denn er ist ja jetzt ein Hilfsarbeiter und kein Landarbeiter, der den Bauern „den Trottel macht“!

In einem Agrarland wie Österreich ist die Einstel lung weitester Kreise zur Landwirtschaft geradezu unverständlich. Man hat diese Tatsache immer damit zu erklären versucht, daß die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft eben zu schlecht seien. Diese Ansicht ist heute in den meisten Fällen überholt. Der Landarbeiter, der den Großteil seiner Entlohnung in Naturalien für sich und seine Familie erhält, ist heute durchwegs wirtschaftlich mindestens so gut, wenn nicht besser gestellt als der Industriearbeiter. Man kann sich des Ein drucks nicht erwehren, daß die restlose Hingabe des Landwirts an seine Arbeit es ist, die so manchem einfachem Arbeiter die Arbeit in der Landwirtschaft verleidet. Der Bauer lebt sein eigenes bäuerliches Jahr, sein ganzes Leben ist vom frühen Morgen bis zur Nachtruhe eng mit seiner Arbeit verknüpft. Nicht wenige der sogenannten Hilfsarbeiter wünschen aber nicht mehr, mit ihrer Arbeit zu verwachsen, sie betrachten die Arbeit vielmehr als notwendiges Übel, als ein Pensum, das man täglich möglichst sdrrell hinter sich bringen muß, um möglichst bald Herr seiner Freizeit zu sein, einer Freizeit, mit der man dann oft nichts Rechtes anzufangen weiß.

Schuld an dieser Mißachtung der bäuerlichen Arbeit ist allerdings vielfach der Bauer selbst. Wenn der Bauernsohn, statt auf dem elterlichen Hof zu arbeiten, es vorzieht, zur Gendarmerie zu gshen oder eine Beamtenlaufbahn einzuschlagen, wenn die Baüarntochter beileibe nicht einen Bauern, sondern einen Beamten oder „Studierten" heiraten muß, dann tut sich hierin eine so deutliche Mißachtung der bäuerlichen Arbeit kund, daß man von dem Arbeiter der meistens nichtbäuerlichen Kreisen entstammt, eine andere Einstellung gar nicht erwarten kann.

Nun muß aber in aller Deutlichkeit einmal festgestellt werden:

Solange man für gewisse manuelle, aber angemessen bezahlte Arbeit keine Arbeitskräfte findet, solange in einem Agrarland wie Österreich gutbezahlte Arbeitskräfte für die Landwirtschaft einfach nicht aufzutreiben sind, so daß die Landwirtschaft gezwungen ist; sogar Ausländer als hochbezahlte Saisonarbeiter ins Land zu bringen, solange kann man von einer echten Arbeitslosigkeit nur mit starker Einschränkung sprechen.

In dieser Beziehung verdient eine bedeutsame Erscheinung festgehalten zu werden. Die geringschätzige Beurteilung gewisser Arbeiten bleibt fast ausnahmslos einer verhältnismäßig kritiklosen und daher für jeden schlechten Einfluß zugänglichen Masse Vorbehalten. Gerade in den letzten Jahren hat es sich immer wieder gezeigt, daß geistig hochstehende, aus irgendwelchen Gründen vorübergehend ihres eigentlichen Berufes beraubte Menschen, ohne zu zögern, jede manuelle Arbeit, die sich ihnen bot, anpackten. Wie viele ehemalige Lehrer und andere Beamte fand man als Bau- und Straßenarbeiter; Akademiker arbeiteten, ohne sich dessen zu schämen, in der Landwirtschaft. Sie alle trugen an dem zeitweisen Verlust ihres Berufes schwer, aber sie freuten sich trotzdem, eine Arbeit gefunden zu haben, die ihnen eine ehrliche Existenz ermöglichte. Fast keiner von ihnen hat späterhin, auch nachdem er in seinen eigentlichen Beruf zurück- gekehrt war, verächtlich von der Arbeit gesprochen, die ihm Brot gab und ihm über die bitterste Zeit hinweghalf. Wie viele Studenten haben sich ihr Studium nur mit schwerer manueller Arbeit ermöglicht! Sie haben die Arbeit als existenzerhaltende Kraft kennen und lieben gelernt und werden sich ihrer nie schämen.

Es ist schon so: Nur der Emporkömmling schämt sich seiner Mutter, die im einfachen Arbeitsgewand daherkommt; der am eigenen Können und an eigener Kraft Gereifte wird sie nie vor den Menschen verleugnen, selbst wenn er selbst ein König würde und die Mutter ihm im Bettelgewand begegnete.

Diese Erscheinung beweist aber eines: die Geringschätzung gewisser Arbeiten beruht nicht etwa auf einem . geringen wirtschaftlichen Ertrag, sondern auf einem Mangel an sozialer Erziehung in leider breiten Bevölkerungsschichten, in denen Arbeit nicht mehr als leben- und staatserhaltende Kraft, sondern als notwendiges Übel und das Lied von der Arbeit als ein veralteter Text betrachtet wird. Österreich besitzt eine wohlausge- bildete soziale Gesetzgebung, und wir sind stolz, sie zu besitzen. Aber wird diesėr Besitz und die Verpflichtung, diė daraus jedem erwächst, überall richtig verstanden?“ Allzuviel hat man sich daran gewöhnt, alles vom Staate zu erwarten und zu verlangen. Sozialgesetze haben stützende Förderung zu sein, die zum kräftigen Gebrauch der eigenen Glieder anregen. Niemals dürfen sie zu Krücken werden, die die eigenen Glieder ersetzen wollen und sie damit verkümmern lassen. Hier ist noch eine sehr ernste Erziehungsarbeit von der berufenen Körperschaft zu leisten. Sie zu versäumen, hieße sich am Gemeinwohl und vor allem an dem Recht der Arbeiter vergehen, die ihre Pflicht tun.

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