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Moralische Gnomen

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Es war eigentlich grundsätzlich nichts Neues, was aufflog, als vor ein paar Jahren ein Arbeiter bei Aufräumarbeiten in einer Schweizer Bank zur Vernichtung bestimmte Papiere aufgelassener Konten fand und an die Israelitische Kultusgemeinde weitergab. Es war aber unter anderem Anstoß dafür, daß seit Früh jähr 1996 der Jüdische Weltkongreß und die US-Archive laufend Dokumente veröffentlichen, die anhand von Details erkennbar machen, was grundsätzlich bekannt war - daß in eidgenössischen Banken 52 Jahre nach Kriegsende noch Werte lagern, die vor dem und während des Krieges dort deponiert wurden, Gold aus den Banken besetzter Länder, Zahngold von KZ-Opfern, Sparbücher und Wertpapiere, deponiert von Menschen, die ihr Vermögen vor dem Zugriff der Nationalsozialisten in Sicherheit bringen wollten, Gold des NS-Regimes zur Finanzierung der Feldzüge oder auch zur eigenen Versorgung der Funktionäre nach dem verlorenen Krieg. Und bekannt war auch, daß die Schweizer Banken, sehr zurückhaltend ausgedrückt, wenig getan haben, mögliche Erben früherer Berechtigter auszuforschen, um ihnen ihr Vermögen auszuhändigen.

Nun wird die Schweiz von ihrer Vergangenheit eingeholt. Die Schweizer mußten sich mangelhafte Vergangenheitsbewältigung vorwerfen lassen, was sie nicht gerne hörten. Dabei kam auch zur Sprache, wie wenig human sie mit den jüdischen Flüchtlingen umgegangen waren, als diese versuchten, sich über die Grenze zu retten. Der Spruch „Das Boot ist voll” stammt von dort. Also ein Stück Zeitgeschichte, das einer wissenschaftlichen Aufarbeitung wert ist.

Aus einer wesentlich größeren Auswahl drei Bücher: „Die Schweiz, das Gold und die Toten” von Jean Ziegler, „Geheimdepot Schweiz - Wie Banken am Holocaust verdienen” von Peter Ferdinand Koch und „Das Gold der Juden - Die Schweiz und die verschwundenen Nazi-Milliarden” von Tom Bower.

Jean Ziegler, sozialdemokratischer Parlamentarier und Soziologe an der

Universität Genf, betont selbst, daß er kein objektives Werk verfassen woll-' te. Auch tituliert er die Schweizer Bankiers ständig als Gnomen und läßt an seiner Abneigung ihnen gegenüber keinen Zweifel (allerdings hat er auch entsprechend schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht). Als subjektives Buch eines Moralisten ist sein Werk ernst zu nehmen.

Tom Bower, englischer Ex-Anwalt und Journalist, stützt sich auf britische und amerikanische Verhandlungsprotokolle. Seine Sympathie gehört den „Kreuzrittern” - der Gruppe um Roosevelts Finanzminister Henry Morgenthau, die schon während des Krieges die in der Schweiz deponierten NS-Vermögen in die Hand bekommen wollte. Sie stießen auf den Widerstand der Verantwortungsträger in Washington und London, die auch mit Morgenthaus Plänen für ein Nachkriegseuropa nichts zu tun haben wollten: Deutschland war darin die Rolle eines entindustrialisierten Agrarstaates zugedacht.

Peter F. Koch schließlich recherchierte mit der Gründlichkeit des Spiegel-Redakteurs die Spuren der Akteure von einst, ihre Werdegänge sowie die Wege, auf denen das Geld in die Schweiz kam, die es bereitwillig aufnahm. Die Bilder ergänzen optisch, wenn auch mitunter etwas boulevardmäßig.

Den Schweizer Bankiers und Politikern wird von vielen Seiten vorgeworfen, sie wären nicht gezwungen gewesen, mit den Deutschen zusammenzuarbeiten, weil Hitler nie daran gedacht habe, die Schweiz militärisch einzunehmen. Sie sei ihm als Kontaktstelle zum neutralen und feindlichen Ausland sowie als Lieferant zu wichtig gewesen. Das stimmt aber nur zum Teil, am ehesten für den späteren Verlauf des Krieges. 1940 verfügten die in Ostfrankreich stationierten deutschen Gebirgstruppen bereits über Karten der Schweiz, und zwar bis auf Batterieebene herunter, wenn auch unter Verschluß. Das heißt nicht, daß die Angriffsabsicht bereits vorhanden gewesen war. Sie hätte aber angesichts Hitlers Sprunghaftig-keit durch einen Zwischenfall ausgelöst werden können. Das dürften die Schweizer Politiker wohl auch gewußt haben, weswegen sie trachteten, durch vorsichtiges Agieren mögliche Anlässe zu vermeiden.

Ein weiterer Vorwurf zielt auf die Anfälligkeit der Schweizer Handelnden für braunes Gedankengut und ihre Sympathien für die Bankierskollegen im Reich. Auch da standen die Schweizer nicht allein. Seit 1933 riß der Strom der Besucher aus London, Warschau und Paris in der Reichskanzlei nicht ab. Es gab selbstverständlich auch in der Schweiz Zeitgenossen, die trotz aller demokratischen Tradition an autoritären Formen Gefallen fanden.

Alle drei Autoren bieten eine Fülle Material, vor allem bei Koch spannend wie im Krimi, wobei sich die Ereignisse vielfach überschneiden. Spannend wird es auch, wenn man zwischen den Zeilen feststellen kann, was der Autor wohl nicht deutlich sagen will: wie auch die USA die Schweiz unter Druck setzten - bis zur Drohung, alle Lebensmittel- und Rohstofflieferungen abzuschneiden.

Dunkle Punkte, für die es keine Milderungsgründe gibt, bleiben die Abweisung der Flüchtlinge sowie die mangelnde Bereitschaft nach dem Krieg, die Frage der „nachrichtenlosen Konten” zu klären. Die „Kooperation” mit Deutschland während des Krieges enthält viele Facetten, verständliche wie fragliche. Für das Verhalten gegenüber den Flüchtlingen und gegenüber jüdischen Vermögenserben, das durchaus Züge einer bewußten Unterschlagung annahm, gibt es keinerlei Entschuldigung. Da waren die „Gnomen von Zürich” tatsächlich moralische Gnomen.

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