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Moskau bläst zum Sammeln

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Mit Erscheinen der neuen „Zeitschrift des Internationalismus“, die den Titel trägt: „Probleme des Friedens und des Sozialismus“, hat der Kreml den Grundstein zu einer neuen kommunistischen Internationale gelegt. Zwar ist noch keine Nachfolgeorganisation der Komintern gegründet, die neue Zeitschrift stellt jedoch ein für alle kommunistischen Parteien verbindliches Organ dar. Chruschtschow will anscheinend das ideologische Auseinanderfallen der Parteien des Weltbolschewismus, wie es nach denfXX. Parteitag der KPdSU festzustellen war, abbremsen und durch die neu geschaffene Monatsschrift eine einheitliche Parteilinie vorzeichnen.

Wenn in Moskau auch noch keine der Komintern ähnliche Organisation geschaffen wurde, springen die Parallelen doch ins Auge. Auch ein Vergleich mit der 1947 gegründeten Kominform drängt sich auf. Immer, wenn Moskau ein „gemeinsames Kampforgan“ für die kommunistischen Parteien herausgab, verfolgte der Bolschewismus einander entsprechende Ziele. Die erste „Zeitschrift des Internationalismus“ war die „Kommunistische Internationale“, redigiert im Moskauer Kreml (später in Petrograd und dann wieder in Moskau) und verlegt im Petrograder Smolny (später in Moskau) unter der Verantwortung Sinowjews. Das erste Heft der „Kommunistischen Internationale“ erschien im Mai 1919. Lenin gründete damals seine Internationale, um eine Konsolidierung der kommunistischen Parteien, zu erreichen. Sein Ziel wr es, die verschiedenen europäischen kommu-

nistischen Organisationen auf eine einheitliche

Linie festzulegen.

Neben der Konsolidierung im eigenen kommunistischen Lager sollte die Komintern vor allem die Revolution in Europa vorantreiben. Um eine straffe und schlagkräftige Organisation zu schaffen, verloren die europäischen Kommunisten ihre nationale Unabhängigkeit und wurden zu Sektionen der Komintern. In dem Einleitungsschreiben für den ersten Kongreß, das an die Kommunistische Partei Deutschlands gerichtet wurde, hieß es unter Punkt 15:

„Der Kongreß muß den Namen ,Der erste Kongreß der Kommunistischen Internationale' annehmen, wobei die einzelnen Parteien zu ihren Sektionen werden ...“

In jenen Jahren sprachen die Führer des Kommunismus noch wenig von der Koexistenz, damals redete man offener. Das Ziel des Bolschewismus umriß seinerzeit Sinowjew:

„Der Sieg des Kommunismus in ganz Deutschland ist durchaus unvermeidlich. In nächster Zeit wird es noch vereinzelte Niederlagen geben... Der endgültige Sieg wird trotz alledem der roten Farbe bleiben... Es kann vielleicht so kommen, daß in Amerika der Kapitalismus ein paar Jahre neben einem kommunistischen Europa weiter existieren wird. Es kann vielleicht so kommen, daß sogar in England der Kapitalismus noch ein Jahr oder das andere neben dem Kommunismus weiter existieren wird, der über das ganze europäische Festland den Sieg davongetragen haben wird. Aber für lange ist eine solche Symbiose unmöglich ...“ Dieses Ziel verfolgte der Kreml unter der Führung Lenins. Dieses Ziel verfolgte er auch unter der Führung Stalins. Und Chruschtschow hat dieses Ziel noch nie bestritten. Zur Beleuchtung der Situation von 1958 sei bemerkt, daß die Komintern — zumindest in den ersten Jahren ihres Bestehens — Europa als Mittelpunkt der Weltrevolution ansah und daß die Zeitschrift „Die Kommunistische Internationale“ zunächst nur in vier Sprachen, Deutsch, Russisch, Französisch und Englisch, erschien.

Völlig überraschend und ohne daß der Grund zunächst sichtbar wurde, löste Stalin im Mai 1943 die Komintern auf. Noch heute wird vielfach behauptet, Stalin habe seine wichtigste Organisation auf Grund von Interventionen der mit ihm verbündeten Westmächte liquidiert. Das stimmt nicht, denn das hieße die Wirkung mit der Ursache verwechseln. Die Auflösung kam nicht nu- für die der Komin“rn angeschlossenen Parteien urrorbereitet, auca die Westmächte wußten vorher von nichts. Selbstverständlich erreichte Stalin in den Augen seiner Verbündeten einen Vertrauenserfolg, als er den gefürchteten bolschewistischen Infiltrationsapparat auflöste. In Wirklichkeit vollzog Stalin jedoch keine Aenderung der Strategie, sondern lediglich eine Aenderung der Taktik. In der am 15. Mai 1943 in Moskau veröffentlichten Erklärung über die Auflösung hieß es unter anderem: „Diese Form (der Komintern) wurde ... ein Hindernis für die weitere Stärkung (1) der nationalen Arbeiterparteien ...“

Stalin bereitete mit der Auflösung der Komintern den Boden vor, um in den Nachkriegs-wirren Volksfrontregierungen in den europäischen Ländern zu„ ermöglichen. Unter dem Motto einer „antifaschistischen Einheitsfront“ sollten die kommunistischen Parteien an den heu zu bildenden Regierungen teilnehmen. Der enge Rahmen der Komintern mußte zu jener Zeit nach Stalins Ansicht gesprengt werden, weil er der neuen Situation hinderlich war. Es galt, neue Massenbewegungen in den europäischen Ländern zu schaffen, an deren Spitze sich zur gegebenen Zeit die jeweilige kommunistische Partei stellen sollte. '

Mit der Auflösung der Komintern hatte Moskau die Zügel schleifen lassen. Doch Stalins Spekulation erwies sich zum größten Teil als falsch. Die Verhältnisse im westlichen Europa stabilisierten sich schneller, alsuVWx ihm-,wais-tet worden war. Die europäische Revolution kam durch die Volksfronttaktik nicht zustande. Doch war die Rote Armee tief nach Europa eingedrungen. Die Sowjetunion hatte mit Hilfe der Armee (und nicht durch die Volksfronttaktik) einen Schritt nach vorn getan, auf die Weltrevolution zu. Was Lenin mit der Gründung und Stalin mit der Auflösung der Komintern erreichen wollte, die „Diktatur des Proletariats“ nach Europa zu tragen, gelang nur teilweise.

Im Jahre 1947 — vier Jahre nach Auflösung der Komintern — hatten sich die Verhältnisse grundlegend geändert. Die „höhere Stufe der revolutionären Situation“ war zurückgeschlagen. Die Volksfronttaktik war nicht mehr brauchbar, eine straffe Organisation war notwendig geworden. Deshalb schuf Stalin im Herbst 1947 eine Ersatzorganisation für die Komintern: „Das Informationsbüro der Kommunistischen und Arbeiterparteien.“

Stalin sah sich gezwungen, die eroberten Gebiete zu konsolidieren. Der Satellitenkranz mußte in das bolschewistische System eingemauert werden. Er brauchte eine Organisation und eine „Zeitschrift des Internationalismus“, die in der Lage waren, die neuentstandenen „Diktaturen des Proletariats“ unter die Vorherrschaft Moskaus zu zwingen. Doch nicht nur nach innen wollte Stalin seine Herrschaft festigen, er beabsichtigte — genau wie Lenin 1919 — die bolschewistische Revolution weiter nach Europa zu tragen. Dazu benötigte er — unter den neuen Bedingungen — eine schlagkräftige Organisation.

Die Zeitschrift des neuen Zusammenschlusses der Kommunistischen Parteien hieß: „Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie“!. Noch immer richtete sich die Stoßkraft auf Europa. Noch immer sah man in Moskau — wie zu Lenins Zeiten — Europa als erste Etappe der bolschewistischen Weltrevolution. Die neun in der Kominform zusammengeschlossenen Parteien waren ausschließlich europäische Sektionen Moskaus. Bezeichnenderweise erschienen die ersten Nummern von „Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie“ nur in drei Sprachen: Russisch, Französisch und Englisch. Am 1. November 1948 kam eine Ausgabe in deutscher Sprache dazu (weitere Sprachen folgten später).

Das „Informationsbüro der Kommunistischen und Arbeiterparteien“ hatte allerdings nie die Bedeutung der Komintern erlangt. Durch den Bruch Titos mit Stalin stand das Kominform seit seiner Gründung unter einem ungünstigen Zeichen. Im Zuge der Koexistenzpolitik Chruschtschows wurde es dann auch im April 1956 offiziell aufgelöst. Die Zeitung „Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie“ stellte ihr Erscheinen ein. Zwei Jahre experimentierte Chruschtschow mit seiner Koexistenzpolitik herum. Doch genau wie Stalin mit seiner Volksfronttaktik, so scheiterte Chruschtschow mit seiner Politik.

Die „Massenbasis“ des Weltbolschewismus soll in der jetzigen Etappe eingeschränkt werden, zugunsten einer straffen Organisation. Zwar wird es wahrscheinlich keine „Komintern“ mehr geben. Die Führer des Weltbolschewismus haben aus der Geschichte gelernt und werden die Schmalspurpolitik Lenins, der mit allen und jeden Organisationen Kleinkrieg führte, nicht wiederholen. Der kommunistische Stoßkeil der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird sich kaum mehr durch engstirnige Bedingungen die Hände binden. Wo es für die KP nützlich erscheint, wird sie die „Aktionseinheit der Arbeiterklasse“ unterstützen, damit rechnend, die Oberhand zu gewinnen, und wo es geboten erscheint, die „Einheit der Partei“ zu verteidigen, wird sie den „Revisionismus“ verdammen. Aus dieser Tatsache heraus wird die alte Komintern nicht mehr auferstehen. Was jedoch angestrebt wird, ist eine Organisation, die für die kommunistischen Parteien der Welt eine straffe und einheitliche Führung ermöglicht, dabei anderseits so elastisch bleibt, daß Moskau immer die Möglichkeit hat, „fortschrittliche Elemente“ mit vor seinen Karren zu spannen.

Die neueste und dritte zentral gesteuerte internationale Zeitschrift des Bolschewismus, die in den letzten Augusttagen mit der ersten Nummer erschienen ist, zeigt deutlich, daß Moskau in der Tat seine Tätigkeit auf die ganze Welt ausgedehnt hat. Chruschtschow kämpft wiederum

— wie schon Lenin und Stalin — nach zwei Seiten. Im Vordergrund steht die Konsolidierung der kommunistischen Parteien. Die auseinanderstrebenden Satelliten sollen durch ein ideologisches Band zusammengehalten werden. Die Moskauer Zentrale ist bemüht, die verschiedenen Ansichten über die Frage des „eigenen Wegs zum Sozialismus“ auf einen Nenner zu bringen.

Die zweite Aufgabe besteht darin, die bolschewistische Revolution in alle Länder der Erde zu tragen. Es zeugt von der „Weltaufgeschlossenheit“ der Monatsschrift „Probleme des Friedens und des Sozialismus“, daß die erste Ausgabe bereits in 16 Sprachen erscheint. Zwar überwiegen die europäischen Sprachen bei weitem (Russisch, Tschechisch, Polnisch, Rumänisch, Bulgarisch, Ungarisch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Schwedisch und Deutsch), aber neben diesen europäischen Sprachen erscheint die Zeitschrift auch in chinesischer, vietnamesischer und koreanischer Sprache. Zudem sollte man nicht verkennen, daß in vielen ehemaligen Kolonialgebieten europäische Sprachen ohne weiteres verstanden werden.

Der Anfang einer neuen kommunistischen Internationale ist gemacht. Es fehlt nur noch das Moskauer „Konsultativbüro“, das man ja bereits im vorigen Jahr, während der 40-Jahr-Feier der Oktoberrevolution, gründen wollte.

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