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Moskaus großes Spiel

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Moskaus neue Männer. Von Gordon Y o u n g. Thomas-Verlag, Zürich. 212 Seiten.

Mit einem Vorwort des früheren Botschafters Großbritanniens in Moskau, Sir David Kelly, versehen, hat der frühere Reuter-Korrespondent Gordon Young versucht, Biographien der maßgebenden russischen Persönlichkeiten seit Stalins Tod zu erstellen. Die Einleitung bildet eine hochinteressante Darstellung des Todes des einstmals allmächtigen Georgiers, sein überhastetes Begräbnis und damit schon ein unbewußter Hinweis auf die sensationellen Ergebnisse des stattgefundenen 20. Parteikongresses. Von den neuen Männern zeichnet der Verfasser sehr geschickt die Porträts von Malenkow, Molotow, Bul-ganin, Chruschtschew, Woroschilow, Kaganowitsch, Schukow, Mikojan, Kruglow, Wischinsky, Berija, Kuznetsow, Malik und Wassilewsky. Wichtig erscheint, daß nach der Auffassung des Experten auch die Militärs wie Schukow, Kuznetsow, Wassilewsky zur neuen Führungsschichte gerechnet werden. Diesbezüglich hat die Untersuchung des emigrierten Obersten Kalinow schon seinerzeit die Bedeutung der Armee- und Marineoffiziere unterstrichen. Wenn man den inzwischen gestorbenen Wischinsky beiseite läßt, so ergibt sich immerhin nach der britischen Sicht ein Team sehr profilierter und auch gegensätzlicher Persönlichkeiten, dem in Zukunft die Führung des sowjetischen Großreiches anvertraut ist. Die biographischen Daten, soweit als möglich bei den sehr spärlichen Quellen erarbeitet zu haben, ist ein Verdienst des Verfassers, der außerdem in einem ausgezeichneten Personenverzeichnis mit kurzen Anmerkungen ein brauchbares biographisches Werk der maßgebenden Persönlichkeiten der UdSSR geliefert hat. Verborgen bleibt naturgemäß, welche; der neuen Männer wirklich die Entscheidung über die Zukunft des Sowjetreiches bestimmen wird.

Die Sowjetunion, die baltiscnen Staaten und das Völkerrecht. Von Boris Meissner. Verlag für Politik und Wirtschaft, Köln 377 Seiten.

Der bekannte Sachkenner der osteuropäischen Geschichte und Schüler von Prof. Rudolf Laun, gibt in der vorliegenden Arbeit einen historischen und völkerrechtlichen Ueberblick über die baltische Frage im zweiten Weltkrieg. Ausgehend von dem Gedanken, daß die drei baltischen Staaten ein Bestandteil des „Cordon sanitaire“ zwischen der deutschen und der russischen Welt sein sollten, konnten sie bis 1932 eine relativ beruhigende Funktion ausüben. Aber als Bestandteil dieses doch auf die Ideen der Pariser Friedenskonferenz zurückgehenden Randstaatengürtels mußte nach 1933, als Deutschland seine Revisionsbestrebungen anmeldete, auch das Baltikum in das Spannungsfeld der Großmächte kommen. Der französische Gedanke des Ost-Locarno, der Ostpakt, die zunehmende Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen zeigten, daß hier gefährliche Spannungsmomente für die Zukunft bestanden. Dies um so mehr, als die Sowjetunion keinerlei Gelegenheit vorübergehen ließ, um ihr Interesse an den einstmals verlorenen Gebieten anzumelden. Geöffnet wurde „das Fenster nach Europa“ durch die Verhandlungen am Vorabend des zweiten Weltkrieges, als sowohl in den Besprechungen der Westmächte mit Molotow als auch in dem Abkommen mit Deutschland die baltischen Staaten eine wichtige Rolle spielten. Die Sieger blieben die russischen Diplomaten, denn im Geheimen Zusatzprotokoll vom 23. August 1939 zum sogenannten Nichangriffspakt zwischen Deutschland und der lidSSR wurde unter Punkt 1 den russischen Forderungen nachgegeben und die baltischen Staaten dem politischen Interessengebiet der UdSSR zugeschrieben. Damit war auf dem Weg der sogenannten Beistandspakte, welche 1939/40 zu einer allmählichen Umwandlung der baltischen Staaten in Sowjetrepubliken führten, eine wichtige Etappe der russischen Revisionsbestrebungen erreicht. Die vorübergehende Befreiung durch die deutschen Truppen führte nicht, wie erwartet, zur Wiederaufrichtung der Staaten, sondern zu jenen unheilvollen Experimenten, deren Initiatoren Rosenberg und seine Mitarbeiter waren. Die völkerrechtliche Untersuchung über die gegenwärtige Recht'! icc :=r von besonderein Wert, um so mehr, als sich ''irch die beharrliche Weigerung der

USA, die russische Okkupation anzuerkennen, in letzter Zeit interessante Entwicklungen über den zukünftigen Status der baltischen Sowjetrepubliken abzuzeichnen scheinen.

Die sowjetrussische Deutschlandpolitik 1945—1955. Eine Studie zur Zeitgeschichte. Von Werner Erfurt. Bechtle-Verlag, Eßlingen. 129 Seiten.

Kein Problem beschäftigt die Bürger der westdeutschen Bundesrepublik mehr als die sowjetrussische Deutschlandpolitik und damit die Frage der möglichen Wiedervereinigung. Von phantasievollen Plänen, die immer wieder ihren Ursprung im Mißverstehen der Konvention von Tauroggen haben, bis zu Wirtschaftsgesprächen, die die Fata morgana eines deutsch-russischen Großimperiums aufscheinen lassen, laufen die Varianten der Ueberlegungen. Deswegen ist die vorliegende Untersuchung (der Verfasser soll ein hoher Politiker in Bonn sein) eine bemerkenswerte Studie. In realistischer und nüchterner Betrachtung werden die beiden Hauptmotive der sowjetrussischen Politik klar herausgearbeitet. Die Verhinderung der militärischen Wiedererstarkung Deutschlands im Rahmen eines westlichen Bündnissystems und die Errichtung einer gesamtdeutschen Regierung in Berlin, die nach einem Wort Molotows „uns (der Sowjetunion) kein Kopfzerbrechen bereitet“. Die unglücklichen Formulierungen von Potsdam und das zähe Festhalten an diesem Vertrag bilden den Ausgangspunkt der sowjetischen Politik, denn nur die Potsdamer Bestimmungen sicherten einen Einfluß auf die gesamtdeutsche Entwicklung. Wie weit in der gegenwärtigen Situation die sowjetrussische Politik bereit ist, unter Umständen ihre Politiker in Pankow fallen zu lassen und vielleicht sogar Pfänder wie die Revision der Oder-Neiße-Linie in das Spiel zu werfen, kann erst die Zukunft zeigen. Das „große Spiel um Deutschland“ wird den Machthabern im Kreml jeden Einsatz wert sein, sobald sich Lücken in der westlichen Front zeigen und unter Umständen auf dem Wege der so viel diskutierten technischen Kontakte der beiden deutschen Teilstaaten eine Infiltrationsmöglichkeit besteht. Die Hintergründe dieser Absichten einmal offen dargelegt zu haben, ist ein Verdienst dieses Buches.

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