6661420-1960_09_07.jpg
Digital In Arbeit

Moskaus neue Waffe

Werbung
Werbung
Werbung

In seiner jüngsten Rede vor dem Obersten Sowjet hat Ministerpräsident Chruschtschow die Herabsetzung der sowjetischen Truppenstärke um ein Drittel, das heißt von angeblich 3,6 auf 2,4 Millionen Mann, angekündigt; eine Maßnahme, die, wie er erklärte, eine finanzielle Ersparnis im Ausmaß von etwa vier Milliarden Dollar jährlich bedeuten und es überdies ermöglichen werde, eine Reihe industrieller und agrar-wirtschaftlicher Großprojekte, namentlich auch in den fernöstlichen Gebieten, durch die Beistellung ausgiebig vermehrter Arbeitskräfte, in beschleunigtem Tempo durchzuführen. Von einer Schwächung des militärischen Potentials der UdSSR könne dabei keine Rede sein, wohl aber vom Gegenteil, denn eine neue sowjetische Waffe, deren zerstörende Wirkung alles bisher Dagewesene übertreffen werde, stehe vor ihrer perfekten Vollendung. Die Experten im Pentagon sind, wie man hört, nicht geneigt, diese Ansage sehr ernst zu nehmen. Damit mögen sie, angesichts der hüben wie drüben bereits vorhandenen und sicherlich hinreichend „modernen“ Massenvernichtungsmittel grauenvoller Wirksamkeit, recht haben. Um so mehr Anlaß besteht aber, sich eingehend mit der Frage zu befassen, ob nicht auch auf dem letzten Terrain, das dem Westen noch ziemlich unangefochten geblieben ist, seitdem sich die These von dem nicht einzuholenden Vorsprung der westlichen Technik als hinfällig erwiesen hat, eine großangelegte und mit Zielsicherheit vorangetragene sowjetische Offensive erwartet werden muß.

Daß da Vorbereitungen schon seit längerem im Gange waren, wurde außerhalb der unmittelbar betroffenen Länder kaum beachtet. Man verzeichnete mit Befriedigung die Zunahme des Warenaustausches zwischen der freien Welt und dem Ostblock, ohne sich im allgemeinen Rechenschaft darüber zu geben, daß nach kommunistischer Doktrin und Praxis auch der Außenhandel niemals nach rein kommerziellen Gesichtspunkten betrieben wird, sondetn>.<!we-.. seffttich<auch dem Zwesck.zu j<Üe nhat}9“dia“-' Weltmärkte in Unordnung zu bringen, die Wirtschaft der „kapitalistischen“ Staaten zu unterminieren und • dort, wie insbesondere in den wenig entwickelten Ländern, für die der ungehinderte Export oft bloß eines einzigen Produkts, oder ganz weniger, eine Lebensfrage ist, die Mißstimmung und Unruhe zu erzeugen, die der kommunistischen Agitation die Wege ebnen. Darüber haben simple ifl'yixhe und afrikanische Bergarbeiter schon vor zwei Jahren mehr gewußt, als manche englische und amerikanische Verfechter eines „Osthandels um jeden Preis“ heute noch wahrhaben wollen. Massives Dumping sowjetischen Zinns erzwang zu Ende 1958 die Schließung von über der Hälfte der malayischen und nigerischen Zinngruben, deren Arbeiter damit zu vielen Zehntausenden brotlos wurden. Ähnliche Folgen ergaben sich in Bolivien, wo auch der finanzielle Verlust besonders stark ins Gewicht fiel. Erst nach vielmonatigen zähen Verhandlungen erklärte sich die UdSSR bereit, ihre Zinnausfuhr im Jahr 1959 mit 13.500 Tonnen zu begrenzen, sie lehnte es aber kategorisch ab, dem internatio: en Zinnrat beizutreten. Ein anderes Metall, mit dem die UdSSR ungefähr um die gleiche Zeit und mit ähnlichen Auswirkungen zu operieren begann, ist Aluminium. Obwohl, wie aus den Debatten im obersten Gremium der sowjetischen KP hervorging, die sowjetische Industrie aus Mangel an diesem Material oft gezwungen war, an dessen Stelle, trotz den dadurch bedingten technischen Nachteilen und finanziellen Verlusten, andere, schwerere Metalle zu verwenden, begann die UdSSR vor etwa zwei Jahren große Mengen von Aluminium außerhalb des Ostblocks zu verkaufen und damit den Weltmarktpreis unter das wirtschaftlich gerechtfertigte und den Produktionsbedingungen freier Länder entsprechende Niveau herabzudrücken. Diese Aktionen zur Unterhöhlung des Weltmarktes blieben .nicht auf die beiden genannten beschränkt. Besonders empfindlich machten sie sich auf einem Gebiet fühlbar, auf dem eine ungefähr gleichbleibende Nachfrage und niedrige, stabile Preise von größter Wichtigkeit sind. In den ersten neun Monaten 1958 importierte die UdSSR Rohgummi im doppelten Ausmaß ihrer Einfuhren im ganzen vorhergehenden Jahr. Dies und die gleichzeitig durchgeführten Gummikäufe der Satellitenstaaten und Rotchinas trieben die Preise ständig hinauf, bis dann, als der Ostblock seine Käufe plötzlich einstellte,“ ein empfindlicher Rückschlag eintrat. Der Preisverfall dürfte sich heuer noch verschärfen, da die UdSSR beabsichtigt, wie ihre Handelsdelegation in London erklärt hat, im ersten Vierteljahr 1960 zwischen 30.000 und 50.000 Tonnen Rohgummi ins Ausland abzustoßen und ihre Eigenproduktion von synthetischem Gummi wesentlich zu erhöhen.

Auch im Sektor Holz und Zellulose hat sowjetisches Dumping wiederholt Preisrückgänge bis zu 25 Prozent und mehr ausgelöst. Nach den gemachten Erfahrungen ist nicht zu bezweifeln, daß der Wirtschaft der freien Welt weitere Einbrüche solcher Art und mit vielleicht noch weiter reichenden Folgen in einer wachsenden Zahl wichtiger Produktionszweige bevorstehen. So ist die UdSSR derzeit zum Beispiel dabei, große Quantitäten Wolle, unter anderem in Uruguay, aufzukaufen, obzwar ihre Eigenproduktion rapid ansteigt und in einigen Jahren, so wird in Moskau behauptet, jene Australiens, des bisher größten Wollproduzenten, überflügelt haben wird. Ebenso ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß sich die Ankündigung des sowjetischen Ministers für Geologie, die UdSSR werde bald mit den übrigen Diamanten produzierenden Ländern auf dem Weltmarkt in Konkurrenz treten, als zutreffend erweist. Was eine solche Konkurrenz bereits sehr deutlich in Erscheinung treten ließ, und fast immer zum .empfindlichen Schaden des nichtkommunistischen Geschäftspartners, ist der Handel mit Erdöl und mit Baumwolle. Beides wird von der UdSSR in der Regel zu sehr attraktiven Preisen angeboten — Öl meist um 10 Prozent, Baumwolle sogar um 15 bis 20 Prozent unter dem Weltmarktpreis —, aber bei der Berechnung der im Kompensationsweg übernommenen Waren hält sich Moskau mehr als schadlos. So mußten die Birmanen unlängst entdecken, daß ihnen bei der Abwicklung eines scheinbar günstigen Kompensationsgeschäftes mit der UdSSR ein Verlust von 10 bis 30 Prozent des wahren Wertes der von ihnen gelieferten Waren-erwachsen ist:-Eilte ährilich' uff--' liebsame Überraschung“, wenn auch verschfe-'-dener Art, mag den Brasilianern bevorstehen, die kürzlich im Rahmen eines auf drei Jahre abgeschlossenen Handelsabkommens der UdSSR Kaffee im Wert von 18 Millionen Dollar gegen Lieferung von Rohöl, Ölprodukten, Bohrgeräten und Weizen verkauft haben. Da nun die Russen auch als „Sowjetmenschen“ keine Kaffeetrinker geworden sind, ist nur anzunehmen, daß Moskau bei passender Gelegenheit einen Kurssturz auf dem Kaffeemarkt herbeiführen will. Nicht anders sind die umfangreichen Baumwollkäufe zu erklären, die von der UdSSR in letzter Zeit wiederholt im Nahen Osten getätigt worden sind, obwohl ihre Eigenproduktion den Inlandbedarf bereits vollkommen deckt. Hier liegt die sowjetische Absicht, ein äußerst wirksames Druckmittel, in erster Linie gegen die Vereinigte Arabische Republik, in Reserve zu halten, besonders klar auf der Hand.

Bis vor etwa fünf Jahren beschränkte sich Moskau in seiner angeblichen Sorge um das Wohl der sogenannten unterprivilegierten Völker darauf, sie mit Agenten und kommunistischer Propaganda zu überschwemmen, während die materielle Beistandsleistung gänzlich dem Westen, den Vereinigten Staaten vor allem, überlassen blieb. Ab 1954 begann sich das ein wenig zu ändern. Bis Ende 1958 betrug die Summe der von der UdSSR unter dem Titel „Auslandshilfe“ bewilligten Kredite rund 1600 Millionen Dollar, wozu im Jahr 1959 noch weitere 900 Millionen kamen. Typisch für die „Pferdefüße“, die mit diesen Anleihen verbunden wurden, war das im Vorjahr erfolgte sowjetische Angebot der Errichtung von zwei Spitälern in Libyen, unter der Bedingung, daß sowohl die Einrichtung wie der ärztliche Stab dieser Spitäler von der UdSSR gestellt würde.

Es mehren sicb> stark die Anzeichen, daß Moskau daran geht, dem Westen auch im Bereich greifbarer Hilfe beim Aufbau unterentwickelter Länder den Rang streitig zu machen, ebenso wie dies auf dem Gebiet des Welthandels bereits in Angriff genommen wurde; getreu den Worten W. I. Lenins, des Altmeisters kommunistischer Strategie: „Es gibt eine größere Kraft als der Wunsch, der Wille und der Entschluß jeder beliebigen der feindseligen Regierungen oder Klassen — sie besteht in den allgemeinen Weltwirtschaftsbeziehungen, die sie zwingen, auf diesem Weg mit uns in Verbindung zu treten...“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung